Professor Unrat. Heinrich Mann
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Matrosen hatte etwas gefunden:
»Hei makt sick 'n Jux, Pieter, hei will di uzen!«
Darauf legte er den Kopf in den Nacken und lachte, glucksend und
dröhnend, aus schwarz geöffnetem Rachen. Die andern stießen sich an und
machten es dann ebenso. Dem Heuerbas schien es zwar keineswegs, als ob
dieser Fremde sich lustig machte; aber er sah den Respekt in Gefahr, den
seine Kunden vor ihm haben mußten: diese Leute, die er verdang, die er
den Kapitänen aufs Schiff lud, zusammen mit Zwieback und Ginever. Er
verfiel unvermittelt in eine künstliche Wut, färbte sich wild, schlug
auf den Tisch und streckte einen gebieterischen Finger aus.
»Herr! Ich hab' mehr zu tun, ich bün Ihr Aap nich! Sehn Sie sich mal die
Tür an, da achter Ihnen is sie!«
Und als Unrat noch einen Augenblick betäubt auf seinem Platz blieb, traf
der Mann Anstalt, hinter seinem Tisch hervorzukommen. Unrat klinkte
rasch die Tür auf. Der Papagei schrie ihm nach: »Duhn supen!« Die
Matrosen brüllten vor Lachen. Unrat schloß die Tür.
Er bog scharf um die nächste Ecke und entkam aus der Hafengegend in
stille Straßen. Er zensierte das Vorgefallene.
»Dies war ein Fehler. Dies war -- freilich nun wohl -- ein Fehler.«
Die Künstlerin Fröhlich mußte auf einem andern Wege ausfindig gemacht
werden. Unrat sah sich die Begegnenden daraufhin an, ob sie etwas von
ihr wüßten. Es waren Lastträger, Dienstmädchen, der Laternenanzünder,
eine Zeitungsfrau. Mit dem Volk war keine Verständigung möglich: er
hatte die Erfahrung gemacht. Auch lud ihn sein jüngstes Erlebnis dazu
ein, bei der Anknüpfung mit Unbekannten vorsichtig zu sein. Weiser war
es, nach einem schon vertrauten Gesicht sich umzusehen. Aus der nächsten
»Grube« tauchte eben eines auf, dem Unrat noch voriges Jahr mit wütender
Betonung lateinische Verse zugeschrien hatte. Der Schüler, der »seins«
nie »präpariert« hatte, schien jetzt Handlungslehrling zu sein. Er
näherte sich mit einem Packen Briefe in der Hand und sah geckenhaft aus.
Unrat ging auf ihn zu, machte schon den Mund auf, wartete nur noch auf
den Gruß des jungen Menschen. Der aber erfolgte nicht. Der ehemalige
Schüler sah dem Professor höhnisch in die Augen und ging dicht an Unrats
zu hoher Schulter vorbei, wobei auf seinem blonden Gesicht das Grinsen
erschrecklich breit ward.
Unrat verschwand rasch in die »Grube«, woher der andere gekommen war. Es
war eine der nach dem Hafen sich senkenden Straßen; und da sie
abschüssiger ging als die andern, hatten sich hier zahllose Kinder
zusammengefunden, um in kleinen Wagen mit vollen Rädern, lärmenden
»Bullerwagen«, den Berg hinabzufahren. Die Mütter und Mägde standen auf
dem Bürgersteig, erhoben die Arme und riefen zum Abendessen; aber die
junge Welt stürzte unablässig, kniend in ihren Wagen oder die Beine in
der Luft, mit wehenden Halstüchern, über die Ohren geklappten Mützen und
zum Jubeln offnen Mündern, holpernd das Klinkerpflaster hinunter. Unrat
mußte, wie er die Straße überschritt, Sprünge machen, sonst geriet er in
die Deichsel. Um ihn her spritzten Pfützen auf. Aus einem
vorüberrasenden Wagen rief plötzlich eine durchdringende Stimme:
»Unrat!«
Unrat zuckte zusammen. Sofort wiederholten einige andere das Wort. Diese
Bürger- und Volksschüler hatten seinen Namen wohl von den Gymnasiasten
erfahren; und andere, die gar nicht wußten, was gemeint war, schrien
mit. Durch den Sturm hindurch, der sich gegen ihn erhoben hatte, mußte
Unrat die steile Straße erklimmen. Keuchend erreichte er einen
Kirchplatz.
Das war ihm wohl alles geläufig; die ehemaligen Schüler, die ihn nicht
grüßten, sondern angrinsten, die Straßenjugend, die ihm seinen Namen
nachrief. Nur hatte er heute in seinem Eifer nicht damit gerechnet: denn
jetzt schuldeten die Leute ihm eine Antwort. Wenn sie früher ihre
Vergilverse nie gekonnt hatten, mußten sie nun wenigstens über die
Künstlerin Fröhlich Bescheid wissen!
Unrat kam auf den Markt und an einem Tabakshändler vorbei, einem Schüler
von vor zwanzig Jahren, von dem er zuweilen ein Kistchen bezogen hatte;
-- nur zuweilen: er rauchte nicht stark, er trank selten; er hatte
keines der bürgerlichen Laster ... Die Rechnungen dieses Mannes waren
regelmäßig überschrieben: Herrn Professor U --, und dann erst war aus
dem U ein R gemacht. Ob das böse Absicht oder Gedankenlosigkeit war,
hatte Unrat nie feststellen können; aber er verlor auf einmal den Mut,
den Laden zu betreten, dessen Schwelle er schon berührt hatte. Der Mann
da drinnen war ein widersetzlicher Schüler, der nicht zu »fassen« war.
Er schlich eilig weiter. Es regnete nicht mehr; der Wind trieb die
Wolken fort. Die Gaslaternen flackerten rot. Schief über einen Giebel
lugte