Die Sprache des Traumes – Eine Darstellung der Symbolik und Deutung des Traumes – Teil 3 – bei Jürgen Ruszkowski. Wilhelm Stekel
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Nun ziehen wie auf Kommando alle Insassen des Wagens einen Schuh aus, und jeder hält mir einen Schweißfuß vor die Nase.“
Wenn wir von der Geburts- und Mutterleibsphantasie absehen, entpuppt sich Herr X. Z. als ein schwerer Krimineller. Er kämpft mit bewussten Mordideen. Er fürchtet, er könnte den Onkel oder die Mutter erschlagen. Er ist sehr fromm. Aber seine Seele ist schwarz wie die mit Kohlenabfallen übersäte Straße. Seine bösen Gedanken (auch die homosexuellen!) verfolgen ihn. Er kommt in die Mühle. Es ist die Mühle Gottes. Diese Mühlen mahlen langsam, aber sicher. Sein Gewicht (seine Sündenlast) treibt die Mühle. Er wird vertrieben... Er kommt in die „fliegende Post“. Es ist die Post, die Himmel und Erde verbindet. Er soll zahlen, d. h. seine Sünden büßen. Er hat erotische Sünden. (Drei Heller = das Genitale!) Seine Sünden und Missetaten stinken gegen Himmel (Schweißfüße). Der Kondukteur ist der Tod... Die Radstube geht auf das Rädern der Verbrecher. Das Wasser ist Blut... Das wacklige schwere Klavier ist die Mutter, die er erschlagen hat. Der Bach symbolisiert hier das Blutbad. Er geht über die Mutter und den Onkel hinweg...
Damit schließe ich diese verbrecherischen Träume. Die Menschen müssen Verbrechen träumen, um sie nicht zu begehen. Hebbel sagt: ,,Dass Shakespeare Mörder schuf, war seine Rettung, dass er nicht Mörder zu werden brauchte.“
Auch die Neurotiker retten sich vor dem Verbrechen durch ihre Träume. Meine Analysen haben mir immer aufs Neue bewiesen, wie tief das Kriminelle in allen Menschen schlummert. Wir von des Gedankens Blässe angekränkelten Kulturmenschen haben allen Grund, bescheiden zu sein. War es doch Goethe, der den Satz aussprach: „Ich habe niemals von einem Verbrechen gehört, das ich nicht hätte begehen können.“
Für die Psychoanalyse ist die Kenntnis des Kriminellen von der allergrößten Bedeutung. Wir werden selten eine Neurose vollkommen heilen können, wenn wir nicht den geheimen Verbrecher im Menschen berücksichtigen. Sowohl die Todessymbolik als auch die Symbolik des Kriminellen haben mir die wertvollsten Dienste bei der Auflösung schier unlöslicher Angstzustände und Zwangserscheinungen geleistet. Eines steht für mich fest: Das quälende Schuldbewusstsein des Neurotikers stammt aus diesen Quellen und kann nur auf diese Weise gelöst werden, dass man den Kranken auf das allgemein Typische und Menschliche dieser Phänomene aufmerksam macht. Auch begreifen wir erst jetzt die überragende Bedeutung des religiösen Komplexes. Die Religiosität ist das Negativ der Kriminalität. Alle Neurotiker sind reuige Sünder und fromme Büßer!
* * *
„Auferstehung“ und zum zweiten Male sterben
„Auferstehung“ und zum zweiten Male sterben
„Was heißt Leben? – Leben – das heißt:
Fortwährend etwas von sich abstoßen,
das sterben will. Leben – das heißt grausam und
unerbittlich gegen alles sein, was schwach
und alt an uns, und nicht nur an uns, wird.
Leben – das heißt also: ohne Pietät gegen
Sterbende, Elende uns Greise sein?
Immerfort Mörder sein? –
Und doch hat der alte Mose gesagt:
Du sollst nicht töten!“ Nietzsche
Wenn die Psychoanalyse keinen anderen Erfolg erzielt hätte, als uns belehrt zu haben, wie fest die Bande sind, die uns an unsere Eltern binden, so hätte sie schon Großes geleistet. Vater und Mutter waren uns nie leere Begriffe, sie galten als das Heiligste, was wir besaßen. Jetzt wissen wir, dass sie das Stärkste sind. Der psychische Infantilismus ist das wichtigste Kennzeichen der Neurose. Die Kranken beharren hartnäckig auf ihrer infantilen Form des Lustgewinnes. Das macht die Grundlage jener unerschütterlichen Treue aus, mit der die Neurotiker an ihren infantilen Idealen hängen. Manche Erscheinungen sehen ja aus wie das Gegenteil: Empörung, Unabhängigkeit, Rücksichtslosigkeit den Eltern gegenüber. Wer mit der merkwürdigen Eigenschaft der Bipolarität aller Symptome vertraut ist, wird sich darob nicht wundern. Er wird die gegenteilige Erscheinung als den Versuch ansehen, sich aus diesen Banden zu befreien. (Adler würde diese Erscheinungen als männlichen Protest gegen das weibliche Empfinden der Hingebung auffassen.)
Haben die Lebenden schon eine so ungeheure Gewalt über uns (Vergleiche Jung: „Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen“ (Jahrbuch 1).), so scheint die Herrschaft der Toten manchmal noch tyrannischer zu sein. Wie viele neurotische Symptome sind nur „nachträglicher Gehorsam“ oder „nachträglicher Trotz“. Also immer Reaktionen auf die Imperative der Erzieher. Der Tod kann hie und da diese Imperative lösen. Wir sehen Menschen frei werden, wenn eine der imperativen Gewalten der Jugend stirbt (Vergleiche die Ausführungen Sadgers über Konrad Ferdinand Meyer. (Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens Nr. 59, J. F. Bergmann. Wiesbaden.)). Manchmal tritt jedoch das Gegenteil ein. Der Tod versteinert die Imperative und macht sie unlösbar. Die armen Menschen stehen dann unter der Herrschaft unlöslicher (affektaktiver) Imperative, gegen die die intellektuelle Einsicht nie aufkommen kann. Selbstverständlich wird der Versuch unternommen, diese Imperative der Toten zu durchbrechen. Mit mehr oder minder Glück. Am besten gelingt es, wenn ein neuer starker Affekt die Neurotiker beherrscht. Die neue Liebe muss die alte töten. In diesem Sinne ist die Übertragung das stärkste Heilmittel...
Dann erst sterben dem Neurotiker seine Toten. Sie müssen eben erst noch einmal psychisch sterben, ehe er frei wird. Die Psychoanalyse besorgt diese notwendige Arbeit.
In den Träumen erscheint dieses Problem der Befreiung von den Imperativen der Toten in einer sonderbaren Form. Die Toten sterben noch einmal. Wir werden später bei der Besprechung des Gefühls des Fremden im Traume und im Leben sehen, dass die Lebenden in einem solchen Falle dem Träumet fremd vorkommen. Die Macht der Lebenden soll dadurch gebrochen werden, dass sie zu Fremden gemacht werden.
Die Macht der Toten erlischt, wenn sie zum zweiten Male sterben. Eigentlich: sie sollte erlöschen. Denn diese Träume zeigen uns ja nicht Tatsachen, sondern nur Wünsche, nicht Vorstellungen, sondern nur Übergänge an.
Wir wollen das Problem „Zum zweiten Male sterben“ jetzt an einigen Beispielen im oben angeführten Sinne erläutern:
Fräulein Omega träumt:
(463) „Papa, Mama und ich saßen im Wohnzimmer. Mir war, als ob die obere Holzwand unseres Glasschrankes brannte, und als ob ein kleines Loch in dem Boden sei, durch das Feuer in den Schrank auf das Porzellan fallen würde. Ich vergaß aber den Schrank, mein Blick war auf Vater gefallen, der sah auf einmal so merkwürdig aus. Sein Kopf fiel nach hinten im Sessel, sein Gesicht war auf der einen Seite ganz rot, die Nase war weiß wie gepudert, die Augen aber schlossen sich und markierten auffallend Vaters Totengesicht, man sah förmlich das Antlitz in den Tod übergehen, das Brechen der Augen.“
Die Neurose der Träumerin ist durch die übergroße Liebe zum Vater bedingt. Wie in einem Glasschranke ein kostbares Porzellan bewahrt wird, so behütete sie dieses Empfinden, und ihre letzten Jahre seit Vaters Tode waren ein Hindämmern gewesen, eine stete Andacht für den teuren Toten. Ihre Liebesbedingung sind ältere verheiratete Männer. Sie hätte wiederholt heiraten können