Götzendämmerung I. Jörg Werner

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Götzendämmerung I - Jörg Werner Götzendämmerung I

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gefiedertes Gesindel und perfekte Werbeträger.“

      „Und was weiter?“

      Der Alte suchte den Augenkontakt zu Herrn Taschke, der zwischen Entsetzen und Lachen hin- und hergerissen wurde. „Engel sind letztlich nichts weiter als selbstherrliche Beamte eines außer Kontrolle geratenen himmlischen Verwaltungsapparates, könnte man kritisch ausführen“, führte der Guru aus.

      „Der Herr vernachlässigt seine Aufsichtspflicht?“

      „Der Herr hat damit nichts zu tun, es ist der Vorstand, also die Erzengel, die Mist bauen, nicht der Aufsichtsratsvorsitzende.“

      „Religiöse Spitzfindigkeiten. Für mich bleiben die Engel mystisches, gefiedertes Gesindel, das bei vielen hier sitzt“, der Jungkreative klopfte sich demonstrativ auf die Mitte seiner Stirn, „und nicht heraus will.“

      „Jawohl, das Gesindel muss heraus“, lachte die junge Dame in der Runde. Die Werber bestellten eine weitere Runde Glühwein und riefen spontan: “Heraus, Gesindel, heraus.“

      Der Guru sorgte für Ruhe und ergriff wieder, gütig lächelnd, das Wort: „Früher, als die Menschheit sich noch mit Hingabe für höhere Wahrheiten die Schädel von Angesicht zu Angesicht eingeschlagen hat, da haben die Engel noch direkt mitgemischt. Keine Vision, keine Offenbarung ohne Engel. Je gewaltiger der Auftrag, je größer der Irrsinn, umso grandioser der geflügelte Bote. Kaum ein notwendiges Massaker zur Verbesserung der Welt ohne Berufung auf die Anweisung der himmlischen Beamten. Bei jeder ernsthaften Religionsgründung mit Wahrheitsmonopol, umfangreichem Feindbild und raumgreifendem Völkermord war die Berufung auf Engel eine Notwendigkeit. Heute halten die sich eher zurück. Doch die geheime Instanz hinter den Kulissen der Geschichte sind die Engel. Machen sie sich das klar, junge Dame und die Herren.

      Johannes, Mohammed, Jeanne d‘Arc, Rasputin, Lawrenti Beria, George W. Bush, Osama Bin Laden, um nur mal einige zu nennen, alle hatten sie Begegnungen mit Engeln, zumindest haben sie das behauptet.“ Der Alte gluckste vor Vergnügen.

      „Unsere Engel kennen keine Gnade“, trötete da unvermittelt eines dieser jungen Werbegenies los.

      Herr Taschke verschüttete etwas Glühwein und fegte die Insel seiner Wahrnehmung leer. Der riesige aufgeblasene Engel über dem Verkaufsstand gegenüber zerrte an den Halteseilen, als wolle er unverzüglich fliehen. Dafür hatte er volles Verständnis.

      Das Engelkonklave an seinem Stehtisch orderte eine weitere Runde Wein und riss ihn mit einer Frage aus seiner angenehm aufkeimenden Unzurechnungsfähigkeit.

      „Was fällt ihnen denn zu Engeln ein, mein Herr, so ganz spontan, meine ich?“

      Die Dame in der Gruppe junger Wilder schaute über den Stehtisch und probierte sich in psychologisch fundierter Marktforschung. Nur blöd, dass sie ausgerechnet an Herrn Taschke geraten war.

      „Rilke“ schleuderte der über den Tisch und schwieg ansonsten.

      „Wie, Rilke? Hört sich nach Schokoriegel an, ungarischer Markt vielleicht.“

      „Ein Dichter, Rainer Maria Rilke, geboren 1875 und gestorben irgendwann in den Zwanzigern, soweit ich mich erinnere.

       Auf einem schmalen Schollenhügel

       Kniet, ganz versteckt im hohen Mohn

       Mit staubigen, gebrochnem Flügel

      Ein Engel aus rohem Ton …“, rezitierte der alte Werbeguru zufrieden, „… war es das, worauf sie anspielten, mein Herr?“

      „Nein, eher auf Rilkes Zeile: Ein jeder Engel ist schrecklich, passt irgendwie besser in ihr Konzept.“

      Der alte Fuchs kicherte, während die Kreativen an seinem Tisch dazu übergingen, das Geschlecht ebendieser Engel zu erörtern.

      "Große Flügel bedürfen großer Titten."

      "Wer sagt, dass Engel weiblich sind?"

      "Die Kunden, wer kauft Spiele, in denen es um die Macht geht, hä?"

      "Männer, große Jungen und ewige Versager!"

      "Eben, und die wollen große Titten, deshalb kennen unser Engel keine Gnade, sind bewaffnet und haben Superbusen, kapiert?"

      "Konsequente Kommunikation der Preis-Leistungs-Botschaft nennt man das."

      Herr Taschke folgte den zwingend formulierten Gesetzen des Marktes mit zunehmendem Entsetzen. Die Werbefritzen gaben sich so gnadenlos wie ihre Engel. Die Logik der Marketingschlacht kannte weder Freund noch Feind. Das Trommelfeuer banaler Botschaften verwandelte den gesunden Menschenverstand in eine Kraterlandschaft. Über den Gräben der Vernunft wehte der Geruch von geilem Geiz und herrschte purer Optimismus. Doch die Karawane der Werbefritzen zog unerbittlich weiter, stieß ins Herz der Finsternis vor, dort, wo die Kräfte der nackten Gier herrschten. Für diesen Teil der Expedition bedurfte es eines Führers, Leitfigur genannt.

      "Wir brauchen eine Leitfigur."

      "Haben wir doch in dem Engel mit den riesigen Flügeln und so."

      "Was heißt und so?"

      "Na, die Oberweite von der geflügelten Tussi und das Flammenschwert."

      "Kein Flammenschwert. Das ist vollkommen retro, was wir brauchen, ist was Zeitgenössisches. Einen Plasmawerfer vielleicht."

      "Und wie sieht der aus, der Werfer?"

      Der Weihnachtsmarkt rings um Herrn Taschke war dem kulturellen Untergang geweiht, ein neuer Zeitgeist zog mit Macht in Gestalt der jungen Generation am Horizont herauf. In Zukunft würden die Holzengel aus dem Erzgebirge nicht mehr musizieren, sondern ultimative Massenvernichtungswaffen tragen, die lieben Kleinen würden gierige runde Kulleraugen bekommen und unter dem Christbaum ethnische Säuberung spielen. Die Moderne versprach ihren eigenen exquisiten Horror, ihn gruselte.

      "Der Plasmawerfer ähnelt einem Neutronentransmitter, ist aber filigraner und eleganter im Design."

      "Meine Herren, sie verlieren das Wesentliche aus den Augen."

      Der alte Werbefuchs steuerte die jungen Wilden wieder auf den rechten Kurs zurück.

      "Die zentrale Frage lautet: Woher nehmen wir einen glaubwürdigen Engel für die Kampagne? Wir brauchen ein unverbrauchtes Gesicht. Einen Engel mit Format und Ausstrahlung. Wofür soll unser Modell stehen, was ist die zentrale Botschaft unseres Engels an die Kundschaft?"

      „Gewalt ist unverzichtbar.“

      „Für was?“

      „Na, um die Welt zu retten und die unteilbare Wahrheit zu verkünden.“

      „Richtig.“

      „Genau“.

      „Hätte ich nicht besser formulieren können.“

      Herr Taschke stürzte umgehend den Inhalt eines der herumliegenden Schnapsfläschchen hinunter, um nicht in unkontrollierte Zuckungen auszubrechen. Die Wirklichkeit übertraf jede Fernsehsendung.

      „Fein,

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