Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936. Conrad H. von Sengbusch
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936 - Conrad H. von Sengbusch страница 10
Berufsstart als Praktikant, 1953
Praktikant, das war im Gegensatz zu heute kein leichtes Brot! Gearbeitet wurde grundsätzlich ohne jede Bezahlung. Auf der Werft galt das Motto: „Der Praktikant ist in unserem Betrieb nur auf der „Durchreise“. Ihm geht es nur um die Bescheinigung, die er zum Studium benötigt. Wenn er später sein „Patent“ hat, wird er uns schikanieren. Also, Leute, schont ihn nicht, und lasst ihn schuften bis zum Umfallen.“ Für die letzten zwei Worte galt auf der Werft eine andere, drastischere Sprachregelung, die ich hier nicht wiedergeben möchte, das aber nur der Vollständigkeit halber... Jedenfalls war diese Aussage die einhellige Meinung der Werftarbeiter bis zum Meister. Und damit sind wir schon beim besagten 1. April 1953.
Frage ich meinen Bio-Taschenrechner, dann meldet der mir für den damaligen Mittwoch die folgenden Daten: Körperlich – flau, gefühlsmäßig – harmonisch und geistig – kreativ. Wie im Horoskop war da ein bisschen Wahrheit enthalten, besonders, was „körperlich – flau“ anbetrifft. Wer beginnt schon einen neuen Lebensabschnitt völlig unbeteiligt?
Mützelfeldtwerft
Es war ein Arbeitstag, und wir mussten auf der Hut sein. Der Meister und die Gesellen wollten ihre Gaudi haben und hatten schon die Fallstricke für die „greenhorns“ ausgelegt, um uns „Neue“ in den April zu schicken.
Wir „Neuen“, das waren Heinz Sch. (14), Uwe S. (15), Joachim v. G. (16) und ich, Conrad H. v. S. (17). Pünktlich um 07.00 Uhr hatten wir uns zum Dienstantritt bei dem Meister der E-Werkstatt zu melden. Für die Arbeitskleidung, bestehend aus einem blauen Overall, einer Mütze und festem Schuhwerk hatten wir selbst zu sorgen, wie uns zuvor mitgeteilt wurde.
Meister L. lässt sich mit wenigen Worten kaum beschreiben, aber ich habe bei ihm viel gelernt, und da er schon lange nicht mehr unter uns weilt, will ich objektiv sein. Er war ein Original, ein Hüne von Gestalt, etwa zwei Meter groß, sehnig und hager, das war seine äußere Statur. Wie viele große Menschen, ging er stets ganz leicht nach vorne gebeugt, immer auf der Hut, sich nicht an den Decksbalken und den niedrigen Schotten der Durchgänge auf den Schiffen den Kopf zu stoßen. Der „harte Hut“ der heutigen Werftarbeiter war damals noch unbekannt. Sein ebenso hageres Gesicht war geprägt von einer riesigen Nase. Die kleinen, zurückliegenden, listigen Augen, versteckt hinter buschigen Augenbrauen und zeitweise einer dunklen Hornbrille, sahen alles! Seine Haut war faltig, ledern und von dunklem Teint, den langen Hals zierte ein herausquellender Adamsapfel, und aus dem stets offenen rot karierten Flanellhemd lugte eine tierische Behaarung. Seine mächtigen Pranken, die hart zupacken, aber auch blitzschnell Ohrfeigen verteilen konnten, rundeten das äußere Erscheinungsbild ab. Meister L. trug zur Sommer- und Winterszeit eine fladengroße Marineschirmmütze, und wo einst das Hoheitszeichen befestigt war, schmückte nun das rot-weiße Werftabzeichen die Kopfbedeckung. Auch seine Kleidung blieb über Jahre gleich: Er hatte eine rote und eine grüne Cordstoffjacke. Das war der „Parka“ der frühen 50er-Jahre. Als Hose kannte ich bei ihm nur die dunkelblaue Marine-Klapphose mit dem „40er-Schlag“.
Meister L.´s Sprache war das Plattdeutsche in der Variante, wie sie im „Nassen Dreieck“ zwischen Cuxhaven, Bremerhaven und Stade gepflegt wurde, und man tat gut daran, sich ebenso auszudrücken. Es erleichterte den Umgang mit der Kundschaft der Fischer und Küstenmotorschiffer ungemein. Anderenfalls konnte es vorkommen, dass die Fischer uns zum Meister zurückschickten mit der Bemerkung „Mit em köönt wi ni snacken“.
Unser Meister war auch einem guten Schluck nicht abgeneigt, womit er aber gut umgehen konnte und was sich kaum vermeiden ließ. Auf der Werft bot sich dazu reichlich Gelegenheit. Unser internationales Publikum hatte roten Wodka aus Polen, Genever aus Holland, Aquavit vom Feinsten aus Dänemark und guten schottischen Whiskey, den die Isländer mitbrachten. So gab es dann immer irgendeine Gelegenheit, auf den Havaristen irgendetwas zu bereden. Hatte sich der Meister im Allgemeinen unter Kontrolle, so konnte er aber zeitweise auch zum Despoten werden, wenn die Proben zu reichlich ausgefallen waren. Dann konnte er unkontrolliert aufbrausen und warf uns Brocken an den Kopf, die dem untersten Level der nicht zimperlichen Werftsprache entlehnt waren. Zeitweise begegnete er uns aber durchaus auch mit väterlichen Regungen, die aber an seiner Autorität nie zweifeln ließen, so dass niemals auch nur einen Hauch von Vertrautheit oder menschlicher Nähe aufkam. So gab es Momente, in denen er über eine gute Portion an norddeutschem Mutterwitz verfügte, den niemand diesem Bärbeiß zugetraut hätte. An ihm war vielleicht ein Segelschiffskapitän des 19. Jahrhunderts verloren gegangen, und so wählte er zu seinen Altgesellen und Vorarbeitern ähnlich knorrige Naturen aus.
Meister L. war fortan unser „kleiner Gott“, der uns voll in der Hand hatte und dem wir uns bedingungslos zu unterwerfen hatten. Eine eigene Meinung zu vertreten, das bedeutete „Meuterei“ und war von vornherein schädlich.
So klingen mir seine Begrüßungsworte für uns Lehrlinge noch in den Ohren:
„Ich will aus Euch ja nur anständige Menschen machen!“
„Wer klaut oder aufsässig ist, fliegt raus!“
„Wo kein Schnee liegt, wird im Laufschritt gegangen!“
„Wenn ich den Klingelknopf drücke, hat der am nächsten stehende Lehrling sofort bei mir zum Befehlsempfang zu erscheinen!“
„Meinen Raum betritt der Lehrling ohne Mütze!“
„Bin ich nicht in meinem Raum und klingelt das Telefon, dann hat der am nächsten stehende Lehrling sofort das Gespräch anzunehmen und mich so lange auf dem Werftgelände zu suchen, bis ich gefunden und informiert bin!“
Eine Personenrufanlage gab es natürlich nicht, und der Meister hinterließ nie, wohin er ging. So suchten wir ihn oft eine Stunde und mehr, klapperten die Messen und Eignerkammern der Havaristen ab oder durchstöberten die Fischkutter. Oft klopften wir an Türen, hinter denen sich Besatzungsmitglieder gerade in inniger Umarmung mit einem Mädchen vergnügten und bekamen prompt die Tür ins Kreuz oder saftige Flüche entgegengeschleudert. Hatten wir dann endlich den Meister bei einer Whiskey- oder Wodkaprobe gefunden, dann reagierte er oft unwirsch, so dass wir uns schleunigst verzogen.
Den vorläufig letzten Spruch zur Begrüßung hätte ich fast vergessen:
„Am Montagmorgen liegen hier die Berichtshefte vor, sauber in 75°-DIN-Schrift geschrieben, Einweisung beim Budenviz! Und sollte ich jemals einen von Euch mit einer Zigarette im Maul sehen, dann schlage ich sie ihm so tief in den Hals, dass sie nicht mehr herausguckt.“
Raue Sitten kommen da auf uns zu, vermerkten wir im innerlichen Zwiegespräch.
Von nun an war ich mit meiner Blechmarke, die mir morgens der Pförtner gegeben hatte, für die Werft die Nummer „594“ und für die Gesellen „Adenauer“. Was konnte ich dafür, dass meine Eltern mich einst „Conrad“ nannten?
Nach der „Begrüßung“ durch den Meister wurden wir den Gesellen zugeteilt. Das Verfahren ähnelte dem in der Schule, wo die sportlichen Asse die Mannschaft aufstellen und dabei alle Schüler erfassen müssen. Auf der Werft wurde der Aspirant danach taxiert, wie er dem Gesellen fortan dienlich sein konnte, also nach Körperbau, Alter, Gesicht, Sympathie und Englischkenntnissen.
Bei dem Auswahlverfahren hatte ich Glück und landete bei dem Altgesellen Hans M. Hans war ein älterer Ostpreuße des Jahrgangs „05“, wie man damals sagte. Er hatte in seiner Jugend noch bei einem Krauter auf dem Lande das Klempnerhandwerk erlernt und sich später für das daraus hervorgegangene Elektrohandwerk entschieden. Mit seinen 48 Jahren war er über