Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936. Conrad H. von Sengbusch

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Schiffselektriker – Werft, Schiffe, Seeleute, Funkbuden – Jahrgang 1936 - Conrad H. von Sengbusch

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stellte sein Taschenmesser unter dem Grinsen der Prüflinge für die Prozedur zur Verfügung. Vor unseren Augen und überwacht vom Kollegium wurden nun die Siegel erbrochen, das Kuvert geöffnet und die Prüfungsaufgaben an die Tafel geschrieben. Es standen mehrere Themen zur Auswahl, so dass das Pensum in der vorgegeben Zeit für alle Fächer zu schaffen war.

      So nahm dann die Prüfung über mehrere Tage ihren Lauf. Glück hatte ich in Russisch, denn ich war ja von 1947 bis 1949 in einer westdeutschen Schule und hatte dort keinen Russischunterricht gehabt. Es hatte sich aber in der Zwischenzeit nichts Wesentliches getan, wie ich zu meiner Freude feststellen konnte. Wir waren nämlich trotz vieler Anläufe immer nur bis auf Seite 18 unseres Standardwerks „Mein russisches Lehrbuch“ gekommen. Wohl gemerkt, das war das Lehrbuch für das fünfte (!) Schuljahr, und wir waren doch die 8. Abschlussklasse! Der Grund war, dass die 1945 eilig ausgebildeten Neulehrer auch nur bis Seite 18 gekommen waren und nur über ein minimales Grundwissen im Russischen verfügten. Dann gingen sie, wie es die Planwirtschaft vorsah, zu weiterbildenden Kursen oder stellten fest, dass ihre Schwerpunkte wo anders lagen. Neue Junglehrer wurden ausgebildet, und die fingen dann auch wieder ganz von vorne an, bis auch sie bei Seite 18 ankamen. Planwirtschaft in Reinkultur! Schließlich lernten wir zur Abwechslung mal ein russisches Gedicht und natürlich den Text des Liedes „Kalinka“. Bei der Prüfung brauchte ich nur eine kurze Textstelle vorzulesen, ebendieses Gedicht aufzusagen und den Text von „Kalinka“ vorzutragen. Es reichte in der Benotung gerade noch für ein „ausreichend“. In anderen Schulen der DDR mag es anders gewesen sein. Schließlich erkannte man auch in Berlin, dass es im Russischen mancherorts noch Defizite gab und sich der Plan so nicht umsetzen ließ. Man kam dann auf den glorreichen Gedanken, die Baltendeutschen, die als Flüchtlinge auf dem Gebiet der DDR lebten, mit in das Bildungswesen einzubeziehen. Immerhin waren diese Menschen meistens noch im zaristischen Russland zweisprachig aufgewachsen. So kam meine Tante, Anni B., noch zu Ehren, als Russischlehrerin eingesetzt zu werden. Bei der gymnasialen Bildung an den ostdeutschen Schulen war Russisch die erste Fremdsprache, gefolgt von Französisch und Englisch. Latein gehörte auch noch dazu, ja, den Schülern wurde damals einiges mehr als heute abverlangt.

      Alles hat einmal ein Ende, auch die Prüfungen. Im größten Ballsaal der Stadt, „Pohland´s Lokal“, aus dem später das Kulturhaus der Stadt wurde, wurde die Zeugnisübergabe nochmals zum gesellschaftlichen Ereignis, zu dem auch die Familie eingeladen wurde. Mein Vater war nicht dabei, hatte er sich als Reichsdeutscher aus dem Baltikum doch schon 1946 nach Westdeutschland abgesetzt, was nicht ohne Konsequenzen für meinen späteren Lebensweg bleiben sollte... Mein Name wirkte damals auf manche Lehrer wie ein rotes Tuch, zumal ein kleines Prädikat vor dem Namen mich schon einer Kaste zuwies, unter der die Arbeiter und Bauern Jahrtausende gelitten hatten. In der Schule hieß ich dann folgerichtig bei den Mitschülern auch immer nur „Der Oodl“. So schrieb dann auch mein Lehrer noch den kleinen Nachsatz in mein Zeugnis vom 22. Juli 1950: „Conrad gibt sich Mühe, er könnte jedoch mehr leisten.“

      Die nächste Entscheidung stand schon an: Oberschule oder Beruf? Arbeit gab es damals in der DDR genug. Und so kamen die Genossen der Berufsberatung schon zu Beginn der Abschlussklasse in die Schule, um die Berufswünsche der 13- oder 14-jährigen Schüler zu notieren und zu registrieren, um sie dann umgehend in das System der Sozialistischen Planwirtschaft integrieren zu können. Ich meldete die Absicht, später einmal zur Oberschule gehen zu wollen. Selbst als Angehöriger einer ehemals privilegierten Schicht hätte ich da unter Umständen noch eine Chance gehabt. Aber auch im Land der Arbeiter und Bauern ging nichts ohne Gegenleistung. Der alte lateinische Spruch oder besser die deutsche Übersetzung „Ich gebe, damit Du gibst“, war auch bei den Funktionären bekannt. Die wussten natürlich, dass mein Vater einst Inhaber einer Mechanischen Seilerei und Netzfabrik und von Beruf Textilingenieur war. Auch sein Fachwissen auf dem Gebiet der Monofile oder Kunstfasern schien in der DDR bekannt zu sein. Genau solche Leute wurden damals im „Zellwollwerk Schwarza“ benötigt. „Ja, käme Dein Vater in die DDR zurück, könntest Du zur Oberschule gehen“, sagte man mir. Mein Vater tat mir den Gefallen aber nicht, waren seine Brüder doch gerade erst aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Es gab eben zu viele Beispiele, wo Angehörige auch unserer Familie in die Sowjetunion verschleppt worden waren und niemals oder erst nach 1950 wieder zurückkamen.

      Da ich von 1947 bis 1949 bei meinem Vater in Geesthacht lebte und direkt an der Elbe aufwuchs, interessierte ich mich sehr für den Schiffbau. Vielleicht spielten da auch die Gene mit, denn meine Vorfahren im Baltikum waren erfolgreiche Großkaufleute und Reeder gewesen. Also notierten die allwissenden Berufsfindungsfunktionäre: Conrad H. von S., Schiffbauer, Warnowwerft Warnemünde, Lehrlingsheim mit Internat. Alles war damals in der DDR bis ins Detail geregelt. Selbst eine Kontrollkarte wurde gleich angelegt, so dass nach der Schule kaum Zeit verging, um in den Arbeitsprozess und in die Reihen der Werktätigen aufgenommen zu werden.

      Der Neubeginn in Westdeutschland, 1950-1953

      Irgendwann erkannten wohl auch meine Eltern, dass es für das Wohl der vier Kinder nicht förderlich war, nun schon mehr als vier Jahre getrennt zu leben und hatten sich entschlossen, die Familie wieder zusammenzuführen. Gewiss, mein Vater hatte es in den Nachkriegsjahren zu keinem Wohlstand gebracht, hatte aber sein Auskommen bei einem Institut in Cuxhaven gefunden. Er fristete sein Dasein als „Technischer Angestellter“, wobei er stets in neue Forschungsvorhaben der Langzeiterprobung von Nylon- und Perlongarnen eingebunden war. Wie das Leben so spielt, war mein Vater im Krieg u. a. Obermeister seines Fachs im damaligen Gau Danzig-Westpreußen, wohin man uns Reichs- und Baltendeutsche umgesiedelt hatte. Und nun war sein Institutsleiter der Mann, den er früher in seinem Betrieb ausgebildet hatte...

      Kurzum, in monatelanger Arbeit verpackte meine Mutter unseren ganzen Hausrat in 20-kg-Pakete, die wir Tag für Tag zur Post schleppten: Die Nähmaschine, der Volksempfänger, Bettzeug, Kleidung, Geschirr und was noch alles dazugehörte, alles wurde in imprägnierte Gasplanen aus Ölpapier, die es damals noch aus Wehrmachts-Restbeständen gab, verpackt. Alles kam wie durch ein Wunder ohne Verlust in Cuxhaven an, wo es mein Vater in den Lagerräumen des Instituts stapelte.

      Irgendwie fiel aber einem Funktionär bei unserem Postamt in Zeulenroda auf, dass da offenbar eine Familie „rübermachen“ wollte, wie es so schön in der Thüringer Mundart hieß. Das wurde uns zugetragen, und da galt es nun, keine Zeit mehr zu verlieren. Meine Mutter verkaufte damals für ganze 300 Westmark zwei ihrer ererbten Felder und machte damit sicher einen großen Fehler. Aber wer konnte damals schon wissen, dass es nochmals eine Wiedervereinigung geben könnte?

      Bei Nacht und Nebel verließen wir mit dem Auto meines Onkels Zeulenroda und fuhren nach Berlin. Hier überschritten wir, nur mit dem Nötigsten ausgestattet und zusätzlich noch ein paar Blumentöpfen zur Tarnung in der Hand, unter den Augen der Volkspolizisten am Bahnhof Friedrichstraße die Grenze nach Westberlin. Wir quartierten uns bei einer windigen Wirtin in der Potsdamer Straße ein, die als erstes West-Bargeld sehen wollte. Jahre später erfuhr ich von Berliner Arbeitskollegen, dass es nicht die beste Gegend gewesen war, wo wir Logis genommen hatten. Nun begann für meine Mutter der Kampf um Flugkarten, um aus Berlin nach Westdeutschland zu gelangen. Dazu bedurfte es einiger Besuche bei der englischen Kommandantur. Schließlich schaffte sie es, uns im Rahmen der Familienzusammenführung mit der PANAM ausfliegen zu lassen. In Berlin am Tauentzien bekam ich damals übrigens meine ersten „Samba“-Schuhe mit dicker Kreppsohle, wie sie damals ultramodern waren.

      In Cuxhaven angekommen, hatten wir es nicht weit zur Wohnung, die ein reiner Behelf war: Im unmittelbar am Bahnhof gelegenen „Haus Atlantik“, in dem unten das große Fahrrad- und Radiogeschäft Schult untergebracht war, hatte mein Vater unter der Adresse Lehmkuhle 2 drei Büroräume angemietet, die alle mit einer Zwischentür

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