Sinnvoll zu betrachten. Geshe Kelsang Gyatso

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Sinnvoll zu betrachten - Geshe Kelsang Gyatso

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Standpunkt unserer Dharma-Praxis aus ist es wichtig, daß wir jetzt Angst vor den niederen Bereichen der Wiedergeburt entwickeln und nicht erst zum Zeitpunkt unseres Todes. Die Angst, die uns jetzt vorsichtig handeln läßt, ist hilfreich, aber die Angst, die beim Tod entsteht, ist es ganz und gar nicht. Was nützt es, daß wir unsere Nichttugend bedauern, wenn wir dem Herrn des Todes von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen oder bereits die Qualen der Hölle erleiden? Das einzig Vernünftige, das jetzt zu tun ist, ist das Praktizieren der Methoden, die uns vor zukünftigem Leiden bewahren. Wir sollten unseren Geistesstrom reinigen, bevor die Früchte unserer Nichttugend reifen, denn wenn diese Früchte einmal gereift sind, ist es selbst für einen Buddha zu spät, uns zu helfen. Buddhas beschützen Lebewesen, indem sie sie Dharma lehren und ihnen den Weg zeigen, der fort vom Leiden und hin zur Erleuchtung führt, aber sie sind nicht fähig, Lebewesen vorn Leiden zu erlösen, das diese bereits über sich gebracht haben. Wenn wir unsere Handlungen nicht überwachen, kann selbst ein Buddha nicht viel ausrichten.

      DIE KRAFT DES VERTRAUENS

      Im nächsten Abschnitt sucht Shantideva voller Bedauern über seine fehlgeleiteten Handlungen Zuflucht vor Leiden bei den Drei Juwelen:

      Ich nehme Zuflucht zu all den Buddhas, die alle fühlenden Wesen vor Angst beschützen. Ich nehme Zuflucht zum Dharma-Juwel, das alle diese Buddhas besitzen. Ich nehme Zuflucht zu der Versammlung der Höheren Bodhisattvas. Ich nehme Zuflucht zu Euch, den Drei Juwelen, und ich bitte um Schutz vor Nichttugend, der Ursache für eine Wiedergeburt in der Hölle.

      Ich bringe Dir, Arya Samantabhadra, meinen Körper dar, und ich bete, daß Du mich vor den Schrecken der Hölle beschützen mögest. Ich bringe meinen Körper als Dein Diener dar, Arya Manjushri, und ich bete, daß auch Du mich vor diesem Schrecken beschützen mögest. Ich weine traurig vor Dir, Herr Avalokiteshvara, bitte beschütze mich, denn ich habe schlecht gehandelt. Aus tiefstem Herzen bete ich zu Euch, o Mitfühlende Arya Akashagarbha, Arya Ksitigarbha, Arya Sarvanivaranaviskambini und Arya Maitreya: bitte beschützt mich! Und ich nehme Zuflucht zu Dir, Arya Vajrapani, bei dessen Anblick die Boten des Herrn des Todes voller Schrecken in die vier Richtungen fliehen.

      O Buddhas, früher habe ich Euren Ratschlag mißachtet und viel Nichttugend begangen, aber jetzt sehe ich die Ergebnisse - die Qualen der Hölle - und ich nehme Zuflucht zu Euch. Möge durch das Vertrauen in Euch jede Nichttugend und aller Schrecken schnell gereinigt werden. [47-53]

      Hier stellt Shantideva fest, daß er alle seine bedauernswerten nichttugendhaften Handlungen nur begangen hat, weil er es versäumte, die Unterweisungen der erleuchteten Wesen zu befolgen. Da das Reinigen sämtlicher Nichttugend vom aufrichtigen Befolgen dieser Unterweisungen abhängt, beschwört Shantideva die Kraft des Vertrauens, indem er aus der Tiefe seines Herzens Zuflucht nimmt zu Buddha, Dharma und Sangha.

      In der Mahayana-Tradition bezieht sich die Kraft des Vertrauens auf die Zufluchtnahme und das Entwickeln von Bodhichitta. Das folgende Beispiel macht deutlich, warum gerade diese Handlungen die Kraft des Vertrauens genannt werden. Wenn wir ausrutschen und zu Boden fallen, stehen wir wieder auf, indem wir genau diesem Boden, der uns zu Fall brachte, vertrauen, das heißt, wir benutzen ihn als Stütze, während wir uns wieder aufrichten. Wenn wir uns selbst wieder erheben wollen, nachdem wir eine ungeschickte Handlung begangen haben, tun wir dies in ähnlicher Weise, indem wir uns auf die Objekte verlassen, gegen die wir diese Handlung begangen haben. Bezüglich des Objektes kann alles Nichttugendhafte in zwei Kategorien zusammengefaßt werden: Handlungen, die gegen die Drei Juwelen gerichtet sind, und Handlungen, die gegen Lebewesen gerichtet sind. Die Reinigung von Handlungen, die gegen die Drei Juwelen begangen wurden, erfordert das Verlassen auf die Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha. Und wenn unsere Handlungen gegen Lebewesen gerichtet waren, bedeutet die Kraft des Vertrauens, daß wir den kostbaren Bodhichitta-Gedanken erneuern müssen, indem wir uns daran erinnern, daß wir die Erleuchtung einzig und allein für das Wohl der Wesen anstreben, denen wir bedauerlicherweise geschadet haben.

      DIE KRAFT DES GEGENMITTELS

      Es ist diese dritte Kraft, die dann tatsächlich, wenn sie mit tiefem Bedauern verbunden ist, die Auswirkungen unserer negativen Handlungen reinigen wird. Im allgemeinen gibt es sechs Arten von Handlungen, die als Gegenmittel gegen Nichttugend angewandt werden, und es ist nichts Magisches an ihnen. Sie sind nur wirksam, wenn sie auf der starken Grundlage des Bedauerns beruhen und mit dem aufrichtigen Wunsch verbunden sind, unsere Negativität zu reinigen. Diese sechs traditionellen Methoden beinhalten: (1) die Namen der Buddhas rezitieren, (2) Mantras rezitieren, (3) die Dharma-Schriften der Buddhas rezitieren, (4) über die tiefgründige Sicht der Wirklichkeit (Leerheit) meditieren, (5) Darbringungen machen und (6) Abbildungen von Buddhas Körper, Rede und Geist herstellen, anmalen oder reparieren.

      Wenn wir Nichttugend reinigen wollen, kann jede positive Handlung als Gegenmittel genutzt werden. Selbst das Fegen eines Tempelraumes kann zum kraftvollen Gegenmittel werden, wenn es mit auf richtigem Bedauern und dem starken Wunsch getan wird, Nichttugend zu reinigen. Um dies zu illustrieren, soll hier die berühmte Geschichte des Mönches Lam Chung erzählt werden, der zur Zeit Buddha Shakyamunis lebte. Lange bevor er Mönch wurde, hatte er bereits den wenig beneidenswerten Ruf von großer Dummheit und Unbelehrbarkeit erworben. Er ging zur Schule, wurde aber schon bald wieder fortgeschickt, weil seine Lehrer sagten, er sei nicht fähig, irgend etwas vom Unterricht zu behalten. Später schickten ihn seine Eltern zu einem Brahmanen, damit er vielleicht die vedischen Schriften lernen könne. Abermals war er nicht fähig, irgend etwas von dem zu behalten oder zu verstehen, was ihm beigebracht wurde. Wieder wurde er fortgeschickt.

      Seine Eltern dachten, daß ihm ein Klosterleben eher liegen könnte und schickten ihn zu seinem älteren Bruder, dem Arya Lam Chen, der ihn als Mönch ordinierte. Lam Chen übernahm die Verantwortung für die Ausbildung seines jüngeren Bruders und begann damit, daß er ihn einen Dharma-Vers lehrte. Lam Chung studierte diesen Vers während drei Monaten, aber er lernte ihn nicht! Wenn er ihn am Morgen gelernt hatte, hatte er ihn bis zum Abend vergessen, und wenn er sich in der Nacht an ihn erinnerte, hatte er ihn bis zum folgenden Morgen vergessen. In der Hoffnung, daß es seinem Geist helfen würde, versuchte er, im Freien zu studieren, aber auch das nützte nichts. Er wiederholte diesen Vers so oft, während er sich in den Hügeln aufhielt, daß selbst die Schafhirten, die ihre Herden hüteten, ihn behielten und verstanden. Aber der arme Lam Chung beherrschte ihn noch immer nicht. Selbst die Schafhirten versuchten, ihm den Vers beizubringen, aber immer noch war Lam Chung unfähig, ihn zu behalten. Als Ergebnis dieser wiederholten Fehlschläge sah sich selbst sein älterer Bruder Lam Chen gezwungen, ihn wegzuschicken.

      Lam Chung war völlig trostlos. Er fühlte sich zutiefst deprimiert und weinte, als er langsam die Straße entlang ging. Er dachte bei sich: «Jetzt bin ich weder ein Mönch noch ein Laie, wie elend ich doch bin!» Durch die Kraft seiner Hellsicht sah Buddha alles, was mit Lam Chung geschehen war, und ging selbst zu ihm. Er fragte ihn, warum er weine, und Lam Chung antwortete: «Ich bin so dumm, daß ich nicht einmal einen einzigen Vers der Schriften auswendig lernen kann. Jetzt hat mich selbst mein eigener Bruder aufgegeben.»

      Buddha sagte ihm, daß er sich keine Sorgen machen solle. Als Methode, um seinen Geist von vergangenen negativen Handlungen zu reinigen, lehrte er ihn lediglich zwei-Worte des Dharmas und ernannte ihn zum Ausfeger des Tempels. Lam Chung war sehr glücklich mit dieser neuen Stellung und fegte den Tempel mit großer Hingabe, während er die zwei Worte wiederholte, die Buddha ihn gelehrt hatte.

      Er fegte und fegte eine lange Zeit. Aber immer dann, wenn Lam Chung die rechte Seite des Tempels fegte, erschien durch die Kraft Buddhas mehr Staub auf der linken Seite. Und wenn er dorthin ging und die linke Seite des Tempels fegte, erschien wieder Staub auf der rechten Seite. Unermüdlich fuhr er mit dem Fegen und Reinigen fort, so wie Buddha ihn angewiesen hatte. So blieb die Situation für eine lange Zeit die gleiche, bis Lam Chung plötzlich von der Erkenntnis getroffen wurde, daß der Staub, den er dauernd fegte, ohne wirkliche unabhängige Existenz

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