Junger Herr ganz groß. Ханс Фаллада

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Junger Herr ganz groß - Ханс Фаллада

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der alte Mann war krank und mußte so schnell wie möglich nach Haus und ins Bett. Er sprach ab und zu wie im Fieber, immer wieder machte er sich Vorwürfe, daß er mich »in diese schlimme Sache« hineingezogen hätte, und er nahm mir ein Versprechen nach dem andern ab, mich nicht wieder damit abzugeben. Ich gab diese Versprechen bereitwillig, ich hatte die Lassenthins, Vater wie Sohn, völlig über. Mein Gesicht schmerzte mich sehr, und leider war wirklich ein Teil meines Kopfhaares versengt. Eine ganz so gute Figur wie heute früh vor Mama würde ich heute Abend im »Halben Mond« nicht machen.

      Es sollte noch schlimmer kommen: Ich hatte eben doch recht gehabt, für die Heuernte war es noch zu früh, das Wetter war noch nicht beständig genug. Der Seewind jagte in zehn Minuten ein Gewitter über uns zusammen, dem wir schutzlos auf der flachen Landstraße ausgesetzt waren. Mit meinen schönen Lackstiefeln watete ich durch den dicksten Dreck, wurde durchnäßt bis auf die Haut und hatte zu tun, den vor den Blitzen scheuenden Alex ruhig, dabei aber den wankenden Geheimrat im Sattel zu halten.

      So schnell, wie es gekommen war, war das Gewitter wieder gegangen, und als wir über die Greifswalder Chaussee unsern Einzug in Stralsund hielten, warf die untergehende Sonne ihre letzten Strahlen auf uns beide verschmutzte und durchnäßte Wanderer. Von meinen Weizenwagen natürlich keine Spur! Und ich hatte noch immer keine Zeit, mich um sie zu kümmern. Zuerst mußte ich den Geheimrat in die Hände seiner Wirtschafterin und dann sogar noch ins Bett bringen. Der Mann hatte jetzt entschieden Fieber, er wollte mir noch etwas sagen, brachte es aber doch nicht übers Herz.

      Als ich mich schließlich mit dem Versprechen, am nächsten Morgen vorbeizukommen, von ihm frei gemacht hatte, war es auf der Straße fast dunkel geworden. Ich mußte eiligst den nassen Alex in den Ausspann des »Halben Mondes« und in ein vernünftiges Futter bringen, mich selbst ein wenig zurechtmachen und auch essen. Allmählich merkte ich doch, daß ich den ganzen Tag noch nichts zu mir genommen hatte. Dies getan, konnte meinetwegen die Jagd nach den Weizenwagen losgehen – schließlich war der Großspänner Junghanns sowohl ein vernünftiger wie ein verläßlicher Mann.

      Ich trat ein in die Halle vom »Halben Mond«.

      Ich verliebe mich vom Fleck weg in die schöne Unbekannte und gerate in tausend neue Schwierigkeiten

      Der »Halbe Mond« ist eines jener uralten Provinzhotels, in denen nun schon seit Jahrhunderten die Landgeschlechter vom Vater auf den Sohn abgestiegen sind, die mit den Vätern alt und mit der Jugend jung sein können. Denn sie scheinen sich geheimnisvoll zu erneuern und doch zu dauern wie ein Baum und ein Feld. In der holzgetäfelten, verräucherten Gaststube sind nun wohl breite Spiegelscheiben nach dem Markt durchgebrochen, aber noch immer rollt der Groschen, den man fallen läßt, nach der Fensterseite hin, ein Charakteristikum dieser alten Gaststuben, das ich immer festgestellt habe und nie erklären konnte.

      Wir Strammins kennen natürlich in Stralsund nur dieses eine Hotel. Wir sind dort immer abgestiegen, und ich speziell werde dort stets wie der Sohn des Hauses empfangen, sei es von Herrn Ericke, dem Besitzer, oder dem dicken Portier, der den gut Rügenschen Namen Puttfarken führt.

      Als ich an diesem Juniabend die Halle betrat, standen beide, Herr Ericke wie Puttfarken, hinter dem Empfang, und ich sah ihren Gesichtern auf der Stelle an, daß etwas nicht stimmte. Mit dem Rücken zu mir stand eine schlanke Frauenfigur in einem weißlichen, rohseidenen Staubmantel. Unter dem Reisehütchen sah ich nur eine Welle von entzückendem, dunkelblondem Haar. Neben der Dame stand ein recht kleiner Lederkoffer mit sehr vielen ausländischen, wie mir schien, italienischen Hotelzetteln.

      Als die Schwingtür hinter mir zufiel, warf mir Herr Ericke einen begrüßenden Blick zu, der zugleich die Bitte zu warten enthielt. Sofort wandte er sich wieder an die Dame und sagte höflich, aber mit großer Entschiedenheit: »Es tut mir leid, gnädige Frau, aber wir haben wirklich nicht ein einziges Zimmer frei.«

      Er warf einen Blick auf den rotgesichtigen Puttfarken, der mit wahren Kugelaugen und vorgeschobener Unterlippe die Dame anstarrte, und setzte hinzu: »Und es wird auch in den nächsten Tagen kein Zimmer frei, es ist alles vorbestellt.«

      Ich, kaum einige Schritte entfernt, sah, wie die Dame verzweifelt mit der Schulter zuckte. Dabei bewegte sich das buschige Haar, und ein feines, fast durchsichtiges Ohr erschien. Die Dame sagte – und mein Herz fing zu klopfen an wie ein Schmiedehammer: »Aber ich muß ein Zimmer haben – in diesem Hotel. Ich habe hier eine Verabredung – in diesem Hotel!

      Nie habe ich eine süßere Stimme gehört – ach was, süß. Süß ist kein Wort dafür. Sie war voll und weich, und sie drang bis in mein Herz. Ich hatte dies noch nie erlebt, und heute bin ich zu alt, um so etwas noch zu erleben – dies erlebt man nur einmal im Leben! Ich hatte ihr Gesicht noch nicht gesehen, aber schon nach dem Klang der Stimme sah ich es: den kleinen beweglichen, jetzt etwas hilflosen Mund, die feine Nase, das schmale Oval. Ich zitterte am ganzen Leibe, mir wurde heiß und kalt. Plötzlich begriff ich, daß die Welt, daß das Leben ganz, ganz anders waren, als ich bisher gedacht hatte. Papa und Mama waren so fern, und wo war Bessy oder Madeleine? Nur ich und diese Unbekannte, die mich noch nicht gesehen hatte!

      Herr Ericke sagte mit der aufreizend stupiden Geduld jener Leute, die immer wieder das gleiche wiederholen müssen: »Ich bedaure außerordentlich, aber es ist wirklich unmöglich.«

      Die Unbekannte sagte – und ich hätte Herrn Ericke zerfleischen mögen, daß er so unerbittlich blieb: »Aber es muß ein Zimmer hier für mich frei sein, es muß eins für mich bestellt sein.«

      Herrn Erickes Miene spannte sich, er fragte: »Von wem bitte bestellt?«

      Die Unbekannte zögerte – ich verging vor Spannung, ob sie den Namen nennen würde. Aber nach kurzem Besinnen sagte sie: »Von einem gewissen Rechtsanwalt Gumpel.«

      Herr Ericke richtete sich straff auf. »Herr Geheimrat Gumpel hat hier kein Zimmer bestellt – nicht wahr, Puttfarken?«

      Puttfarken grunzte: »Keine Idee!« und starrte wieder mit Kulleraugen.

      Jetzt war mein Augenblick gekommen. Ich sagte: »Gestatten Sie einen Augenblick, gnädige Frau – mein Name ist Strammin, Lutz von Strammin. Oder vielmehr Ludwig ...« Ich verwirrte mich unter ihrem Blick. Sie sah genauso aus, wie ich es mir gedacht hatte, aber ich hatte ihre Augen vergessen, große, schöne, graue, ein wenig traurige Augen, in deren Tiefe es von Goldflittern blitzte. Ich raffte mich zusammen und sagte mit wachsender Begeisterung: »Ich kann alles erklären. Ich habe Herrn Geheimrat Gumpel soeben ins Bett gebracht. Er ist erkrankt. Über seine Erkrankung wird er die Zimmerbestellung vergessen haben –«

      Plötzlich war ich leergelaufen, ich wußte nicht mehr weiter. Unbeholfen setzte ich hinzu: »Damit ist alles geklärt, nicht wahr?«

      Und schwieg wieder. Alle drei sahen mich an. Jetzt hatte Puttfarken seine Kulleraugen auf mich gerichtet, seine Unterlippe stand ganz verblüfft vor. Herr Ericke betrachtete mich mit gerunzelter Stirn wie ein Vater, dessen Sohn eine unglaubliche Dummheit gemacht hat. Sie aber sah mich mit einem halben Lächeln an, ach, nur mit der Spur eines Lächelns! Und doch fühlte ich sofort, sie lachte mich nicht aus, sie mochte mich schon gern, so verdreckt und angesengt ich auch war. Wir würden die besten Freunde werden.

      In die Stille hinein sagte Herr Ericke fast schneidend: »Diese Erklärung ändert aber nichts daran, daß jetzt in diesem Hotel kein Zimmer für die gnädige Frau frei ist.«

      Die Betonung von »in diesem Hotel« brachte mein Blut zum Kochen. Dieser Dame gegenüber, dieser vollkommenen Dame gegenüber meinte Herr Ericke wohl die Reinheit seines Hauses verteidigen zu müssen? Ich hatte auch Geschwätz gehört – aber wenn ein alter Geheimrat bereit war, sich wunde Füße und einen Rausschmiß für

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