Deutschland 1800 - 1953. Jürgen Ruszkowski
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Grubenpferd
Foto: Rainer Sielker
Zwischen 1848 und 1864 verdreifachte sich die Zahl der in den wichtigsten Steinkohlegebieten – an der Ruhr, an der Saar, in Sachsen und in Schlesien – Beschäftigten auf etwa 100.000 Arbeiter. Gleichzeitig war dank besserer Technik die Produktivität des Abbaus gestiegen, sodass die Menge der geförderten Steinkohle sogar auf mehr als das Vierfache angewachsen war. Der Bergbau hatte in Deutschland eine lange Tradition. Sie drückte sich in einem besonderen Bergrecht aus, das dem jeweiligen Territorialherrn die Verfügung über sämtliche Bodenschätze übertrug. Der Aufschwung des Steinkohlebergbaus ging nicht nur auf eine steigende Nachfrage nach fossiler Energie und auf neue technische Möglichkeiten der Kohlegewinnung in immer tieferen Untertageschichten zurück, sondern auch auf eine liberalisierende Neuordnung des Bergbaus, die in ihren modernisierenden Auswirkungen der Bauernbefreiung und der Einführung der Gewerbefreiheit vergleichbar ist. Der Staat zog sich auf Inspektionsfunktionen zurück. Gleichzeitig erweiterten sich die Möglichkeiten, über die neue Form der Aktiengesellschaft Kapital im Bergbau zu investieren. Bald wurde der Großbetrieb charakteristisch für die Zechenlandschaft, besonders an der Ruhr.
Auch die Eisen- und Stahlindustrie erforderte Organisation im großen Stil. In Preußen steigerte sich die Erzeugung von Roheisen zwischen 1850 und 1880 von 135.000 auf zwei Millionen Tonnen, die von Stahl von 150.000 auf 1,7 Millionen Tonnen. Ein zunehmender Anteil dieser Produktion ging auf das Konto großer Eisenhütten und Stahlwerke, die vielfach zwischen 1850 und 1875 gegründet wurden oder damals in eine große Expansionsphase eintraten. So erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten bei der Firma Krupp in Essen von weniger als 1.800 im Jahre 1860 auf 16.000 im Jahre 1873. Nur Großunternehmen konnten sich die gewinnbringende Übernahme kostspieliger Technologien leisten, die damals noch vorwiegend in Großbritannien entwickelt und patentiert wurden.
Auch der frühe deutsche Maschinenbau beruhte anfangs auf der Nachahmung ausländischer Vorbilder. Britische, belgische und französische Technologie wurde legal oder auch per Industriespionage nach Deutschland transferiert. Charakteristisch für den Maschinenbau waren geringere Betriebsgrößen und ein typischer Aufstiegsweg vom Handwerkermeister zum Fabrikunternehmer, während die frühen Unternehmer in der Montanindustrie eher aus der wohlhabenden Kaufmannschaft stammten. Keineswegs wurde das Handwerk auf breiter Front durch die Industrie verdrängt und ersetzt. Bekleidung stammte weiterhin aus der Schneiderei (oder wurde im Haushalt selbst hergestellt), Schuhe kamen vom handwerklichen Schusterbetrieb. Bäcker, Metzger und andere „Nahrungsmittelhandwerker“ blieben kleinbetrieblich organisiert. Sie profitierten vom Rückgang der Selbstversorgung in den wachsenden Städten.
Urbanisierung, also eine deutliche Zunahme des Anteils von Städtern an der Gesamtbevölkerung, ist kein unmittelbares Resultat von Industrialisierung. Städte wuchsen bereits, bevor es irgendwo Industrie gab, und im Industriezeitalter wirkten weiterhin nichtindustrielle Ursachen städtischer Expansion, etwa die verstärkte Einbindung von Hafenstädten in den Welthandel. Doch im Deutschland der Jahrzehnte nach 1850 ergab sich ein enger Zusammenhang zwischen beiden Prozessen. Am deutlichsten war er dort, wo sich neue montanindustrielle Regionen bildeten und durch Zuzug rasch wuchsen. Besonders auffällig war das Entstehen einer Städtelandschaft im Ruhrgebiet. Einige der dort aufstrebenden Städte gingen auf mittelalterliche Gründungen zurück, wie etwa Essen, viel charakteristischer war aber das rapide Wachstum neu gegründeter „Industriedörfer“ wie Oberhausen, das 1874, zwölf Jahre nach dem Beginn der Besiedlung, bereits 15.000 Einwohner zählte. Richtige Großstädte gab es zur Zeit der Reichsgründung im Ruhrgebiet noch nicht; die eigentliche Expansion erfolgte im Kaiserreich. Städte wuchsen auch aus anderen Gründen: als Zentren der Textilindustrie wie Chemnitz und Barmen (heute ein Teil von Wuppertal), als Eisenbahnknotenpunkte wie Hannover oder als multifunktionale Metropolen wie an erster Stelle Berlin, das 1871 mit 826.000 Einwohnern (um die Jahrhundertmitte erst 412.000) die mit Abstand größte Stadt im Deutschen Reich war. Die Urbanisierung war geografisch sehr ungleich verteilt. Große Landstriche wurden von ihr kaum berührt. Dort bildete die Kleinstadt, ein beliebtes Motiv von Malerei und Literatur, weiterhin den Rahmen des Alltagslebens: selten mit Kanalisation, Wasserversorgung und Gasbeleuchtung ausgestattet, manchmal noch hinter Toren und Mauern versteckt. Die hier vorherrschende Mentalität hatte mit der nach außen offenen Urbanität Berlins und anderer Großstädte wenig gemeinsam.
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Chronologie zur Deutschen Kolonialgeschichte
Chronologie zur Deutschen Kolonialgeschichte
https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/59376/chronologie
1847
Vorlage der „Denkschrift über die Erhebung Preußens zu einer See-, Kolonial- und Weltmacht ersten Ranges“ vor dem Vereinigten Landtag in Preußen.
1856-1868
Errichtung einer Niederlassung des Bremer Handelshauses Friedrich M. Vietor Söhne in Togo (1856);
Errichtung einer Niederlassung des Hamburger Handelshauses Carl Gödelt in Togo (1866);
Errichtung einer Niederlassung des Hamburger Handelshauses Carl Woermann in Kamerun (1868).
1871
Proklamation des Deutschen Reiches in Versailles;
Otto von Bismarck wird Reichskanzler (bis 1890);
Artikel 4 der Verfassung des Norddeutschen Bundes – die Sicherung der Möglichkeit zu überseeischen Erwerbungen – wird ohne Abänderung in die Reichsverfassung übernommen.
1874-1882
Errichtung einer Niederlassung des Hamburger Handelshauses Jantzen & Thormählen in Kamerun;
Gründung des „Zentralvereins für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Auslande“ in Berlin (1878);
Erster Deutscher Kolonial-Kongress;
Gründung des „Verein für Handelsgeographie und Kolonialpolitik“ in Leipzig (1879);
Errichtung einer Niederlassung des Hamburger Handelshauses Franz Wölber & Walter Brohm in Togo;
Gründung des „Deutschen Kolonialvereins“ in München(1882).
1884
Februar:
Kampf in Togo zwischen deutschen Firmenbesitzern und einer Gruppe um den Togoer Amtsträger Lawson;
Entführung von drei seiner Mitstreitern durch die deutsche Marine; Abtransport nach Deutschland, Gefangennahme in der Kaserne des 2. Garderegiments in Berlin-Spandau (bis Juni).
März:
Ernennung des Afrikaforschers und Diplomaten Gustav Nachtigal zum „Reichskommissar“ für die westafrikanische Küste.
Juli:
Abschluss von Verträgen zur Meistbegünstigung des deutschen Handels mit afrikanischen Amtsträgern in Togo, Errichtung der Kolonie Togo;
Abschluss von Verträgen zur Meistbegünstigung des deutschen Handels zwischen Duala Amtsträgern und