Sie ist wieder da. Michael Sohmen

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erste Anstieg zeigte mir deutlich: um meine Kondition stand es nicht zum Besten. Doch bald stellte sich heraus, dass die Mühe es wert war, als der Weg mich durch den Partnachklamm führte. Ein reißender Bach donnerte neben einem schmalen Pfad vorbei, von oben prasselte Wasser über mächtige Wasserfälle in die Tiefe. Mikroskopisch kleine Wassertropfen schwebten in der Grotte. Ich ließ die kühle und unglaublich erfrischende Luft tief in meine Lungen strömen, wodurch mein Geist sich langsam unbeschwerter fühlte. Die Klamm endete und ich fand mich wieder in der freien Natur. Endlich alleine. Diese atemberaubende Landschaft übte eine intensive Sogwirkung auf mich aus, die Bergwanderung weit weg von Photographen, Politikern oder irgendwelchen Wichtigtuern aus der Wirtschaft gab mir ein Gefühl, als wäre ich nach langer Gefangenschaft plötzlich frei. Keine aufdringlichen Paparazzi weit und breit, die sich hinter irgendeinem Baum versteckten. Wie gut sie mir tat, diese Freiheit! Die man nur in wenigen Staaten, fast nur in meinem Land kannte. Außer, man war Kanzlerin. Das war jedoch mittlerweile nicht mehr ich, seitdem sind Jahrzehnte vergangen. Ich fühlte, wie eine unglaubliche Last von meinen Schultern gefallen war. Nun war ich eine einfache Bundesbürgerin. Tief atmete ich die Bergluft ein. Unglaublich, dieses Gefühl der Unabhängigkeit. Ohne Aufgaben, ohne Pflichten frei atmen zu dürfen. Meine Hüfte meldete sich wieder. Ich spürte einmal wieder die unangenehmen Nachwirkungen meines Sturzes beim Skifahren. Zudem war kein Mensch von jungen Jahren mehr, sondern hatte das stolze Alter von 95 Jahren erreicht und war körperlich auch noch nicht ganz in Form. Ich durfte meinen Körper nicht überfordern. Es war Zeit, mich auf den Rückweg zu machen.

      Als ich durch die Grotte in die Zivilisation zurückkehrte, begannen sich schon die ersten Schatten der Dämmerung auf das Tal zu legen. Abends fand die Parteiveranstaltung dieser Tierfreunde statt und ich war nun fest entschlossen, an ihrer Sitzung teilzunehmen. Zum glücklichen Schaf, las ich. Ein vegetarisches Restaurant. Hier war ich richtig. Auf ein leckeres Schnitzel oder die zünftig bayrische Schlachtplatte musste ich wohl verzichten. Es würde einen schlechten Eindruck bei dieser alternativen Bürgergruppe machen, wenn ich die Knochen von Tieren abnagte, während sie daneben über die grausame Tierhaltung diskutierten und Salat aus Brunnenkresse und Gänseblümchen futterten.

      »Du hast dich tatsächlich entschieden, heute zu kommen!« Euphorisch sprang der Mann vom Kiosk von seinem Stuhl auf, als ich die Tür geöffnet hatte. Er lief mir entgegen und schloss mich freudig in die Arme. »Ist das Okay? Wir duzen uns alle in der Gruppe.« Er löste sich und hielt mir seine rechte Hand hin. »Jürgen!«

      »Angela.« Ich schüttelte sie und nickte.

      »Darf ich vorstellen: Penelope, Odin und Kassandra.« Ich betrachtete die kleine Gruppe, die an einem Sechsertisch saßen. Es waren viel jüngere Menschen als dieser Jürgen. Sie hatten meiner Einschätzung nach die Dreißig noch nicht überschritten. Mit Sicherheit erinnerten sie sich an keine Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dies war mir sogar recht, denn so bestand nicht die Gefahr, dass sie mich anbettelten, ein Selfie mit mir aufnehmen zu dürfen. Interessant fand ich ihre Namen. Der Phase der Marvins, Kevins und Ashleys hat sich wohl eine Renaissance antiker Vornamen angeschlossen. Zumindest schien diese Vorliebe auf Eltern alternativ eingestellter Menschen zuzutreffen. Ich schüttelte nacheinander die Hände von allen Dreien und nahm Platz.

      »Unsere Ortsgruppe ist vollzählig«, verkündete mein langhaariger Freund. Ich schluckte einen kurzen Moment der Enttäuschung herunter, da ich mir wesentlich mehr Parteimitglieder erhofft hatte. Denn zu fünft war es eine Herausforderung, etwas wirklich Großes in der Weltpolitik zu bewegen. Jürgen pries mich bei seinen Parteigenossen und Genossinnen nun in höchsten Worten. »Auf den ersten Blick war ich sicher, dass Angela ein Mensch wäre, der sehr gut zu unserer Gruppe passen würde. Sie hat großes Interesse an Politik, auch wenn sie es anfangs nicht gleich zugeben wollte.«

      Vier Augenpaare waren nun auf mich gerichtet. Sie musterten mich und lächelten. Meine Befürchtung war, ich passte zu ihrer Gruppe vor allem wegen meiner Erscheinung. Das Jackett war immer noch ungebügelt und ich hatte mir noch nicht die Zeit genommen, einen Frisör aufzusuchen. Bevor ich erneut in die wirklich große Politik einstieg, musste ich mein Äußeres so in Form bringen, wie es sich für eine mit wichtigen repräsentativen Funktionen betraute Amtsperson geziemte. Für diese kleine Gruppe mochte es vorerst ausreichen, die sahen alle recht unsortiert aus. Die zwei Frauen waren sich ein wenig ähnlich. Beide besaßen einen Teint in der Farbe von Milchkaffee, der auf italienische Wurzeln schließen ließ. Im Gegensatz zu Kassandra, deren wilde Mähne vermutlich lange keinen Kamm mehr gesehen hatte, trug Penelope mittellanges Haar, welches gerade noch ihre Ohren bedeckte. Odin besaß ein Piercing in seinem linken Ohr und hatte kurzes hellbraunes Haar mit Ausnahme eines geflochtenen Zopfes, an dem er permanent nestelte. Jürgen war der Althippie in der Runde. Äußerlichkeiten waren im Moment jedoch eine Nebensächlichkeit. Wir mussten nicht frisch frisiert und geschminkt auftreten. Keine Kamera war auf uns gerichtet, wir diskutierten nicht in aller Öffentlichkeit, genauso wenig wurde unsere Sitzung live im Fernsehen übertragen. Eine Kellnerin trat an unseren Tisch und zückte einen Notizblock. Der Kioskbetreiber Jürgen wandte sich an mich.

      »Was willst du trinken? Ein Bier, Sekt oder vielleicht einen Wein? Ich kann den Rübezahler Eselstritt empfehlen …«

      »Nur ein stilles Wasser.« Ich trank bei politischen Veranstalten grundsätzlich nie etwas Alkoholisches. Diese Einstellung hatte mich in meiner Karriere jederzeit davor bewahrt, etwas Unüberlegtes zu tun. Enthaltsamkeit sollte sich auch jeder andere Volksvertreter zu eigen machen. Immer wieder erinnere ich mich daran, dass die Nichtbeachtung solcher Prinzipien meinen Vorgänger Schröder sogar sein Kanzleramt gekostet hatte. Damals, als er bei unserem Kopf-an-Kopf-Rennen knapp unterlegen war, sich jedoch als Sieger präsentiert hatte. Im alles entscheidenden Augenblick war ihm diese Mischung von Übermut und Sekt wohl zu Kopf gestiegen. Mit Sicherheit wird er zuvor auf einer der Wahlpartys an dem einen oder anderen Glas Schaumwein mit dessen berauschender Wirkung genippt haben … oder an einem Eselstritt, der seine Wirkung nicht verfehlt hatte.

      Die zwei Damen Penelope und Kassandra hatten diese Weisheit wohl verinnerlicht, bei politischen Angelegenheiten nüchtern zu bleiben. Sie bestellten Tee. Odin orderte ein Bier und Jürgen seinen Eselstritt … Männer! Ich gönnte es ihnen, solange wir in dieser kleinen Runde blieben und noch nicht im Licht der Öffentlichkeit standen. Falls sie jedoch in einer schwierigen Fernsehdebatte herausgefordert würden, unsere Politik gegen rhetorisch geschulte Gegner der Opposition zu verteidigen, dann würde ich mir die Beiden rechtzeitig zur Brust nehmen. Sie bestellten eine Postion Haferkrapfen dazu. Plötzlich ging es los und eine hitzige Diskussion entbrannte.

      »Wir müssen diesen Massenmord an Tieren mit allen Mitteln bekämpfen«, forderte die junge Dame Kassandra neben mir schrill. »Wir könnten einem der Fleischfresser die Kehle aufschlitzen und wenn er in einer Lache von Blut liegt, ihm ein Schild umhängen mit der Aufschrift was ihr den Tieren antut, das werden wir euch allen antun!« Jetzt war ich wirklich froh, keine Schlachtplatte bestellt zu haben.

      »Peace, Kassandra!«, reagierte Jürgen besonnen auf diesen fundamentalistischen Vorschlag. »Dann wären wir auch nicht besser als sie. Mord sollte man nicht mit Mord vergelten.«

      »Aber wir dürfen ja nicht einfach dasitzen und tun, als ginge uns das alles nichts an. Unsere Informationskampagnen haben keinen Effekt«, warf Penelope ein. »Das Morden geht weiter, unsere Öffentlichkeitsarbeit war bisher völlig wirkungslos. Bis auf den Laden, der ausgebrannt ist, nachdem wir …« Ich fühlte mich an die Anti-Raucher-Kampagne erinnert, bei der Rauchen tötet genauso wenig zur Abschreckung geführt hatte wie danach der Versuch mit den ekligen Bildchen auf den Verpackungen.

      Odin stoppte die Rede mit einem donnernden Faustschlag auf den Tisch. »Genaugenommen waren wir das gar nicht!« Er zischelte leise. »Das Feuer sucht sich doch seine Opfer selbst. Wenn versehentlich irgendwo irgendetwas irgendwohin fliegt, darauf haben wir ja nur eingeschränkten Einfluss.«

      Mit künstlich aufgesetztem Lächeln starrten mich vier Augenpaare an. Meine Nackenhaare stellten sich

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