Nicht alle sehen gleich aus. Monica Maier

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Nicht alle sehen gleich aus - Monica Maier

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sie das Fell ab. Sie nehmen dabei eine Fahrradpumpe, mit der man an irgendeinem Loch, wahrscheinlich dem Bauchnabel, Luft ins Schaf pumpt, um so das Fell leichter vom prallen Körper abzuziehen. Den Kopf rösten sie im Feuer, das riecht schrecklich, sage ich dir! Soll daran erinnern, dass Gott zu Abraham gesagt hat, er soll ihn seinem Sohn abschlagen. Zwei oder drei Tage lang werden wir nun davon essen. Warum muss ich mir das bloß reinziehen? Ich fühle mich hier als halbe Berberin.“

      „Mein Gott, das ist ja wie im Mittelalter. Warum machen die das?“, wollte Nele wissen.

      „Wegen dieser Geschichte mit Abraham und Isaak, kannst du dich ans Alte Testament erinnern? Das mussten wir rauf- und runterlesen im Religionsunterricht, ihr etwa nicht? Und die Muslime haben so was Ähnliches, müsste ich dir jetzt genauer erklären.“

      „Ist schon okay, Religionen interessieren mich echt nicht die Bohne“, schrieb die nicht gläubige 17-Jährige zurück.

      Das Blut an diesem Tag blieb dann am Abend als Bild in Annikas Kopf zurück und vermischte sich beim gemeinsamen Fernsehen im Wohnzimmer gegen 20 Uhr mit einer blutigen Nachricht aus dem Krieg in Syrien. Ihr Gehirn konnte beide Ereignisse nur mit Höchstleistung ihrer Synapsen wieder trennen und vor dem Einschlafen dachte sie später sogar darüber nach, wie gerade so viele um sie herum jetzt doch Vegetarierin zu werden. Sie nahm sich vor, nie wieder so hautnah beim Schlachten zuzugucken, denn es war eindeutig heftiger als erwartet. Sie schrieb kurz vor dem Ausschalten ihres Nachttischlampenlichtes, dessen 40-Watt-Strahlkraft eindeutig zu wünschen übrigließ, noch einmal an Nele. Denn von Karim erwartete sie sich kein allzu großes Verständnis, weil es sich ja um seine gewohnte Kultur handelte. „Heute Nachmittag sind wir auf nicht geteerten Straßen zu einem Verwandten etwas außerhalb von Tanger gegangen, da gab es diese unebenen Wege zwischen den Häusern mit Bodenfurchen, in denen sich Pfützen gebildet haben. Die waren voller Blut. Es war dort menschenleer um diese Uhrzeit, alle haben gefeiert und zu Hause Grillspieße gegessen.“

      „Echt spooky, du Opfer!“, antwortete Nele und glaubte es nicht, dass Annika so cool zusehen konnte. „Ich müsste mich übergeben.“

      „Ich verstehe“, sagte Karim zum Glück, nachdem er sie gebeten hatte, ihm ihren Chat doch mal vorzulesen. Er nahm sie in die Arme: „Daran muss man gewöhnt sein! Vergiss es wieder.“

      „Wie soll ich das so schnell vergessen? Ich wollte bei dir und deiner Familie sein, aber das ist nicht mein Ding, dieses Geschlachte, ich war zu nett und jetzt bekomme ich diese Bilder nicht mehr aus meinem Kopf raus“, antwortete sie leicht genervt.

      „Dann schlafen wir jetzt!“, meinte er und drehte sich von ihr weg zur Seite. Sie schaltete das Licht aus und wünschte ihm gute Nacht.

      Auch am nächsten Morgen zog schon um 7 Uhr wieder der Geruch nach gegrilltem Schaffleisch durchs geöffnete Fenster und weckte sie. Sie schloss das Fenster, duschte und ging dann mit Karim zum Frühstücken in die Küche. Fatima und Yassine saßen schon vor ihrem Tee. Wie sie erfuhr, sollte jetzt ein paar Tage lang von dem Fleisch in Grillspießform gegessen werden. Familie, Freunde und Nachbarn waren für heute eingeladen.

      „Heute will ich lieber mal im Meer schwimmen und etwas wellenreiten. Machen wir das?“, meinte sie zu Karim, der sofort einverstanden war. Somit konnte Annika hier von Arbeit und Großstadt Berlin nach und nach abschalten und die Seele richtig baumeln lassen. Sie hatte vor, ihren restlichen Urlaub in der Sonne wirklich zu genießen, zehn Tage gingen ja erfahrungsgemäß vorbei wie im Fluge.

      Als sie auf dem Surfbrett im Wasser lag und gegen die weißen Schaumkronen der niedrigen Wellen anpaddelte um raus auf eine größere aufzuschwimmen, musste sie wieder an das Schlauchboot und den Malier denken. Das schockierende Erlebnis hatte sie eigentlich recht gut verarbeitet, nicht zuletzt, weil sie auch von den Verwandten so gut aufgefangen worden war. Sie verdrängte die Erinnerung und wendete schnell das Board, um zu versuchen, die nächste hohe Welle zu nehmen. Es klappte, sie stand zumindest fast 20 Sekunden, bevor sie wieder ins atlantikkalte Wasser fiel. Das reichte ihr als ewiger Anfängerin schon.

      „Wahrscheinlich gut so, dass Mamadou sich nicht mehr gemeldet hat“, sagte sie später am Strand zu Karim. „Ich lösche jetzt seine Nummer aus dem Handy!“ Sie wollte sich keine Scherereien einhandeln.

      „Ich hätte mir die gar nicht erst notiert!“, meinte er. Sein stolzes Volk der Imazighen, was „freies Volk“ bedeutete, hatte das Berberische als Muttersprache, genau gesagt, den Dialekt Tamazight. Er wäre nie auf so ein Boot nach Europa gestiegen. Um 700 wurde seine Heimat Marokko von den Arabern überfallen, die Imazighen wehrten sich damals wie auch im Laufe der Zeit immer wieder gegen diese Eindringlinge, die Islamisierung und deren Sprache. Über Jahrhunderte hinweg ging das dann nicht mehr und das Arabische wurde dann doch irgendwann Amtssprache. Jedes Kind konnte es neben einer der fünf Berbersprachen verstehen. Es gab nämlich noch ein paar weitere Dialekte, je nachdem ob man sich im Norden, in der Mitte oder im Süden des Landes aufhält. Ob die Bezeichnung „Berber“ vom römischen abwertenden „Barbarus“ oder arabischen „al-barbar“ abstammte, war nicht hundertprozentig klar. Man bevorzugte es, mit Imazighen im Plural und Amazigh im Singular angesprochen zu werden und hatte in der zeichenhaften Schrift ein eigenes Symbol dafür.

      Annika hatte viel im Internet und bei Karim nachrecherchiert und dabei herausgefunden, dass vor gar nicht allzu langer Zeit im 21. Jahrhundert König und Regierung der Monarchie das marokkanische Tamazight als Amtssprache eingeführt hatten. Französisch wurde in der ehemaligen Kolonie sowieso in der Schule unterrichtet. Karims Vorfahren waren Ureinwohner dieser indigenen Ethnie Marokkos, Algeriens, Malis, Libyens, Tunesiens und teilweise auch Ägyptens, wobei die ihr Angehörigen inzwischen natürlich in die ganze Welt emigriert und verheiratet waren. Da die kinderreiche Generation in seinem Alter oder auch jünger nicht genug Arbeit oder Bildungschancen für einen jeden mitbekommen hatte, betrieben junge Leute normalerweise Familienplanung und Verhütung. Viele Eltern sahen und die Sprösslinge fühlten, wie schwierig oder sogar unmöglich es war, in diesem Land neben einer Ausbildung auch eine gut bezahlte Arbeit sowie eine Absicherung für Krankheit und Alter zu besitzen. Als Kellner verdiente Karim damals an die 1500 Dirham, also ungefähr 150 Euro im Monat. Da musste man im Elternhaus wohnen bleiben, der soziale Aufstieg gestaltete sich schwierig oder erwies sich als einfach nicht machbar. Das gab die Organisation des dortigen Arbeitsmarktes und die momentane Überbevölkerung einfach nicht her. Sicher war einiges davon auch von den Regierenden so gewollt, denn Abkommen zur Grenzsicherung mit europäischen hohen Zahlungen verbunden gab es ja schon. Ob da Korruption im Spiel war? Sicher auch, von kontrolltechnisch leider unbeobachteten Geldflüssen im jeweiligen Land ganz zu schweigen. Es bräuchte mehr Personal, wie es aussah.

      „Tanger, danger!“, meinte Yassine zu Annika, als sie am frühen Abend in der Altstadt gemeinsam spazieren gingen, um sich dann noch in ein Café zu setzen. Das war sein marokkanisches Wortspiel, das sie manchmal zu hören bekam.

      „Wenn einem zu Tanger ‚Gefahr’ einfällt, was sagt man dann zu Agadir, du Scherzkeks?“, fragte seine inzwischen von der Sonne geröstete braungebrannte Schwiegertochter, deren Schulfranzösisch durch die Marokkoaufenthalte besser geworden war und die in Deutschlehrermanier, wie er bemerkt hatte, immer gerne mit der Sprache spielte.

      „Agadir, rien à dire!“, meinte er und auch Karim musste lachen, weil es eben zu der Stadt am Atlantik „nichts dazu zu sagen“ gab. Sie war sehr touristisch und musste nach einem Erdbeben 1960 neu aufgebaut werden, hatte also keine wirklich bemerkenswerte Altstadt wie das berühmte Marrakesch. Nur wer sein Land liebte, wie die beiden Männer, konnte über es lachen und Sprüche klopfen. Sie stand gerade auf dem Schlauch, da fiel ihr nichts Passendes aus Deutschland dazu ein. Zu Casablanca, der größten Stadt Marokkos, kam Yassine „weiße Stadt“ in den Sinn, das klang spanisch. Dort fand sich auf den Straßen dieses mehr arabischen als berberischen Melting Pots der Kulturen alles, sogar manchmal ein Minirock, dachte Annika, denn sie war schon dort. Es gab

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