Dombey und Sohn. Charles Dickens
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Abermals bemerkte der Kapitän gleichsam als allgemeine Einleitung zu dem Gespräch, die nicht verfehlen sollte, alle Parteien günstig zu stimmen:
»Wal'r, halt stand!«
»Ich fürchte, Sir«, begann Walter mit Zittern und mit zu Boden geschlagenen Augen, »daß ich mir eine große Freiheit nehme – ja ich weiß sogar, daß ich es tue. Auch würde ich, fürchte ich, kaum den Mut gehabt haben, bei Euch vorzusprechen, Sir, selbst nachdem ich heruntergekommen war – wenn mir nicht Miß Dombey begegnet wäre und –«
»Schon gut«, sagte Mr. Dombey, seinen Augen folgend, als der Knabe nach der aufmerksamen Florence hinblickte, und unwillkürlich die Stirne runzelnd, als er bemerkte, daß sie ihn mit einem Lächeln ermutigte. »Fahrt fort, wenn ich bitten darf.«
»Ja, ja«, bemerkte der Kapitän in der Meinung, es liege ihm ob, seine gute Erziehung zu zeigen und Mr. Dombey zu unterstützen. »Wohl gesprochen! fahrt fort, Wal'r.«
Kapitän Cuttle hätte eigentlich bei dem Blick, den ihm Mr. Dombey zum Dank für diesen Beistand zuwarf, in den Boden sinken sollen; aber etwas der Art fiel ihm nicht ein; denn er schloß bloß zur Erwiderung das eine Auge und gab Mr. Dombey durch gewisse bedeutsame Bewegungen mit seinem Hut zu verstehen, Walter sei zwar anfangs ein bißchen verschämt, werde übrigens bald mit der Farbe herausrücken.
»Es ist ausschließlich eine persönliche Angelegenheit, die mich hierher geführt hat, Sir«, fuhr Walter stockend fort, »und Kapitän Cuttle –«
»Hier!« fiel der Kapitän ein – gleichsam zur Versicherung, daß er zur Hand sei und man sich auf ihn verlassen könne.
»Ein langjähriger Freund von meinem armen Onkel und ein ganz vortrefflicher Mann, Sir«, fuhr Walter fort, indem er seine Augen erhob, um einen Blick der Bitte zugunsten des Kapitäns zu entsenden, »war so gütig, mir seine Begleitung anzubieten, die ich kaum zurückweisen konnte.«
»Nein, nein, nein«, bemerkte der Kapitän selbstgefällig. »Natürlich nicht, war kein Grund zu einer Zurückweisung da. Fahrt fort, Wal'r.«
»Und deshalb, Sir«, sagte Walter, der es nun wagte, zu Mr. Dombeys Auge aufzusehen, und mit größerem Mut fortfuhr, weil er sah, daß der Fall verzweifelt und nicht mehr zu umgehen war, »deshalb bin ich mit ihm gekommen, Sir, um Euch zu sagen, daß mein armer, alter Onkel in sehr großer Not und Bedrängnis ist. Seine Kundschaft hat sich allmählich verloren, und er ist nun nicht imstande, eine Zahlung zu machen, die, wie ich wohl weiß, ihm schon seit Monaten schwer auf dem Herzen gelegen hat. Er hat jetzt Konkurs in seinem Haus und steht in Gefahr, alles, was er hat, zu verlieren. Natürlich muß ihm dies das Herz brechen. Ihr kennt ihn schon längst als einen achtbaren Mann, und wenn Ihr so gütig sein wolltet, etwas zu tun, um ihm aus seiner Schwierigkeit zu helfen, Sir, so könnten wir Euch nie dankbar genug dafür sein.«
Während Walter dies sprach, füllten sich seine Augen mit Tränen, und ebenso erging es Florence. Der Vater bemerkte den Tau an den Wimpern seiner Tochter, obschon er sich den Anschein gab, als sehe er bloß nach Walter hin.
»Es ist eine sehr große Summe, Sir«, sagte Walter. »Mehr als dreihundert Pfund. Mein Onkel ist durch sein Unglück völlig zu Boden gedrückt und außerstande, etwas zu seiner eigenen Erleichterung zu tun. Ja, er weiß nicht einmal, daß ich hier bin, um mit Euch über die Sache zu sprechen. Ihr verlangt wahrscheinlich, Sir«, fügte Walter nach einem kurzen Stocken bei, »ich solle sagen, was ich denn eigentlich wolle. Ich weiß es in der Tat selbst nicht, Sir. Wir haben noch das Warenlager meines Onkels, und ich glaube mit Zuversicht sagen zu können, daß keine weiteren Forderungen darauf haften; auch ist hier Kapitän Cuttle, der sich gleichfalls zur Bürgschaft erbietet. Ich – ich mag kaum einen Verdienst, wie der meine es ist, berühren«, fügte Walter bei; »aber wenn Ihr erlauben wolltet, – stehen lassen – Zahlung – Vorschuß – der Onkel – ein darbender, ehrlicher, alter Mann –«
Von diesen gebrochenen Sätzen aus ging Walter in ein Schweigen über und blieb mit gesenktem Haupt vor seinem Chef stehen.
Kapitän Cuttle hielt diesen Augenblick für günstig, seine Pretiosen zu entfalten, weshalb er an den Tisch trat, unter den Frühstücktassen neben Mr. Dombey einen Platz räumte, die silberne Uhr, das bare Geld, die Teelöffel und die Zuckerzange herausholte und sie in einem Haufen aufschichtete, damit sie sich so wertvoll als möglich ausnehmen möchten. Dabei brachte er folgende Worte hervor:
»Ein halber Laib ist besser, als gar kein Brot, und dieselbe Bemerkung hält auch stich bei den Krumen. Da sind einige. Ein Jahresgehalt von hundert Pfund sieht gleichfalls zur Verfügung, Wenn es in der ganzen Welt einen Mann gibt, der voller Wissenschaft steckt, so ist's der alte Sol Gills. Und wenn es einen hoffnungsvollen Jungen gibt – einen Jungen, der von Milch und Honig fließt«, fügte der Kapitän in einer von seinen glücklichen Wendungen hinzu – »so ist's sein Neffe.«
Der Kapitän zog sich nach seinem frühern Platz zurück, wo er stehenblieb und seine wirren Haare mit der Miene eines Mannes ordnete, der in einem schwierigen Geschäft den Schlußpunkt gesetzt hat.
Nachdem Walter zu sprechen aufgehört hatte, wurden Mr. Dombeys Blicke durch den kleinen Paul gefesselt, der, als er seine Schwester aus Mitleid über das vorgetragene Unglück mit gesenktem Haupte stumm weinen sah, zu ihr hinging und sie zu trösten versuchte. Dann blickte er mit einem sehr ausdrucksvollen Gesicht nach Walter und seinem Vater hin. Von Kapitän Cuttles Anrede, die er mit stolzer Geringschätzung aufnahm, auf einen Augenblick abgelenkt, schaute Mr. Dombey wieder nach seinem Sohn hin und blieb einige Momente, das Kind stetig betrachtend, stumm sitzen.
»Aus welchem Anlaß wurde diese Schuld kontrahiert?« fragte endlich Mr. Dombey. »Wer ist der Gläubiger?«
»Er weiß es nicht«, versetzte der Kapitän, seine Hand auf Walters Schulter legend. »Wohl aber ich. Es handelte sich darum, einem Manne, der jetzt tot ist, zu helfen, und dies hat meinem Freund Gills bereits etliche hundert Pfund gekostet. Weiteres unter vier Augen, wenn es erlaubt ist.«
»Leute, die genug mit ihren eigenen Angelegenheiten zu schaffen haben«, sagte Mr. Dombey, der noch immer nach seinem Sohn hinsah, ohne auf die geheimnisvollen Winke zu achten, die der Kapitän hinter Walter machte, »täten am besten, wenn sie sich mit dem, was ihnen selbst obliegt, begnügten und ihre Stellung nicht dadurch erschwerten, daß sie sich für andere Leute verbindlich machen. Es ist ein Akt der Unehrlichkeit und obendrein der Anmaßung«, fügte Mr. Dombey streng hinzu; »eine große Anmaßung, denn auch der Wohlhabende könnte nicht mehr tun. Paul, komm her.«
Der Knabe gehorchte, und Mr. Dombey nahm ihn auf seine Knie.
»Wenn du jetzt Geld hättest«, sagte Mr. Dombey. »Sieh mich an!«
Paul, dessen Blicke nach seiner Schwester und nach Walter hingewandert waren, schaute jetzt seinem Vater ins Gesicht.
»Wenn du jetzt Geld hättest«, sagte Mr. Dombey – »so viel Geld, wie das, von dem der junge Gay gesprochen hat – was würdest du tun?«
»Es seinem alten Onkel geben«, versetzte Paul.
»Es seinem alten Onkel leihen, he?« entgegnete Mr. Dombey. »Gut! du weißt, wenn du alt genug bist, wirst du mein Geld teilen, und wir benützen es dann gemeinschaftlich.«
»Dombey und Sohn«, unterbrach ihn Paul, dem früh diese Phrase eingelernt worden war.
»Dombey und Sohn«, wiederholte sein Vater. »Möchtest du jetzt schon anfangen, Dombey und Sohn zu sein, und dieses Geld dem Onkel des jungen Gay borgen?«