POLARLICHTER. Manfred G. Valtu

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POLARLICHTER - Manfred G. Valtu

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war blass geworden. Ihr Herz schlug schneller und in der Magengrube bildete sich das Gefühl, das man kennt, wenn man von Angst ergriffen wird. Zum Glück kam gerade ihr Getränk. Sie nahm einen großen Schluck, atmete tief durch und stieß hervor: „Martin ist seit drei Jahren tot. Wie kann irgend etwas mit ihm zu tun haben?“

      „Das weiß ich auch nicht. Aber Clemm will Informationen haben, dass Voss in Wirklichkeit noch lebt.“

      „So ein Unsinn! Ich will davon nichts mehr hören. Bring' mich bitte nach Hause.“

      Agnes stand auf, nahm ihre Handtasche und schickte sich an, zu gehen. In dem Moment erhob sich ein Mann am Nebentisch und stellte sich ihr in den Weg. „Guten Abend, Frau Winter, mein Name ist Clemm, Willibald Clemm. Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten.“

      „Aber ich mich nicht mit Ihnen“, zischte Agnes zwischen den Zähnen hervor. „Gehen Sie mir aus dem Weg! Und wenn es wirklich so wichtig sein sollte, machen Sie einen Termin mit meinem Sekretariat.“

      Sie schob sich an Clemm vorbei und lief zum Ausgang. Hier stieß sie fast mit Walter Meier, einem mittelmäßigen Schauspieler (Künstlername Roy Robson), den sie in einigen Gagenstreitigkeiten vertreten hatte, zusammen.

      „Warum so eilig, schöne Frau“, gab er galant von sich.

      „Ich muss hier raus, die Luft ist mir zu dick“, flüsterte Agnes. Und als sie sah, dass Otto kam, hatte sie eine Idee: „Würden Sie mir den Gefallen tun, mich nach Hause zu fahren?“

      Meier verbeugte sich und winkelte den rechten Arm an. Er imitierte die Synchronstimme eines Hollywood-Action-Stars und verließ mit den Worten „Ich habe nichts Besseres zu tun“ mit Agnes das Restaurant.

      §

      Tatsächlich war Clemm am nächsten Tag in ihre Praxis gekommen. Die Geschichte, die er erzählt hatte, war wirr, aber einige Punkte entsprachen den Fakten, die ihr Singer und Anna, die beiden BKA-Außendienstler, seinerzeit im Zusammenhang mit der Ermordung von Martin Voss berichtet hatten.

      Und als sie Clemm unter Hinweis auf ihre anwaltliche Schweigepflicht endlich den Namen seines Informanten entlockt hatte, hatte sie sich sehr zusammenreißen müssen, um nicht laut aufzustöhnen. Sie erinnerte sich gut, dass 'Charles Meuser' einer der Alias-Namen des ehemaligen BKA-Agenten (und früheren Freundes von Martin) Falk Schröder war. Und wenn der behauptete, Martin Voss sei nicht tot, sondern lebe unter einem neuen Namen in Norwegen, höchstwahrscheinlich in Trondheim, so konnte da was dran sein.

      Dieser nagende Zweifel, ob Martins Tod nicht vorgetäuscht war, das Drängen der Freundinnen und letztlich die Neugier hatten in ihr den Entschluss reifen lassen, über Schweden nach Norwegen zu reisen. Schon lange hatte sie eine Einladung von ihrer Freundin Åsa, sie in ihrem Haus in Umeå zu besuchen. Das war die Gelegenheit. Endlich einmal raus aus der Tretmühle. Sie hatte Åsa angerufen und die hatte vor Freude gequiekt. Sofort sollte sie kommen, sie würde sich unglaublich freuen.

      Eine Vertretung für ihre Praxis war schnell gefunden. Doch die ganze Reise allein machen? Vor allem: Die ganze Strecke allein fahren? Mit einem klein wenig schlechten Gewissen – er würde sich bestimmt Hoffnungen machen, mehr als nur ein Begleiter zu sein – fragte sie Dietmar Otto, ob der sie auf ihrer Reise ein Stück begleiten wolle. Er war natürlich sofort bereit und sie musste zugeben, dass ihr die Aussicht, in seinem offenen Sportwagen durch Schweden kutschiert zu werden, sehr gefiel.

      Ihm hatte es hingegen überhaupt nicht gefallen, dass sie für die Fähre von Rostock nach Trelleborg zwei Kabinen gebucht hatte. Aber sie hatte ihm nachdrücklich klar gemacht, dass sie ihre Beziehung als eine rein freundschaftliche betrachtete.

      Es war ihm nichts anderes übrig geblieben, als das zu akzeptieren.

      Die Tage in Umeå vergingen wie im Flug, sie lachten und unternahmen viel. Doch als die Abreise bevorstand, wurde Åsa auf einmal ernst.

      „Seit nicht traurig“, hatte Agnes gesagt, weil sie die Stimmung auf den Abschied bezogen hatte.

      Doch das war es nicht.

      „Ich mache mir Sorgen um einen alten Bekannten. Er ist Biochemiker auf Spitzbergen. Wir kennen uns aus einer kurzen gemeinsamen Zeit an der Uni in Uppsala. Wir waren beide dort Einzelgänger. Und wie das so ist: Da sind wir uns etwas näher gekommen. Nicht, dass es zu einer Liebesbeziehung kam, aber wir haben uns so gut verstanden, dass wir uns auch später nicht aus den Augen verloren haben, egal wohin wir gezogen sind.“

      „Und was macht dir Sorgen?“

      „Er war ein paar Jahre an der Uni in Oslo in der Forschung tätig und hat dann den Job des wissenschaftlichen Leiters vom Saatgut-Tresor in Svalbard übernommen. Seine Anrufe und seine Postkarten kamen anfangs im üblichen Abstand, auch, nachdem er geheiratet hatte. Ich hatte mich sehr für ihn gefreut und ihm herzlich gratuliert. Doch schon bald wurden seine Anrufe und Mails seltener und der Inhalt der letzten Karte, die ich von ihm vor etwa vier Monaten bekommen habe, klang regelrecht depressiv. Ich glaube, es geht ihm nicht gut. Die Nummer, unter der ich ihn immer anrief, ist nicht mehr geschaltet. Auf meine Mails und Schreiben reagiert er nicht.“

      „Hast du mal bei der Polizei nachgefragt?“

      „Ach, die würden mich doch auslachen. Er ist ein erwachsener Mann, so etwas wie ein Professor. Wenn ich da anrufe, nehmen die mich doch nicht ernst. Nein, nein. Ich weiß, es wäre eine Zumutung, aber du willst doch sowieso nach Norwegen weiter. Kann ich dich bitten, mal in Oslo nachzufragen. Ich gebe dir hier den Namen und die Adresse. Er hat da noch aus seiner Zeit an der Uni ein Haus, das er vermietet hat. Vielleicht weiß man da etwas.“

      „Das ist doch keine Zumutung. Natürlich mache ich das. Wir fahren aber zuerst quer rüber nach Trondheim und kommen erst ein paar Tage später nach Oslo.“

      „Das macht doch nichts. Auf ein paar Tage oder Wochen kommt es nicht an. Ich möchte nur irgendwann Gewissheit haben, dass er noch lebt und es ihm gut geht.“

      §

      Am nächsten Tag waren Otto und Agnes früh aufgebrochen und nach einer anstrengenden Fahrt zehn Stunden später in Trondheim angekommen. Der Empfang des in der Innenstadt gelegenen Hotels war bereits geschlossen, aber das Einchecken und die Ausgabe der Zimmerkarten war – wie heutzutage schon weitgehend üblich – automatisiert. Nach einer kurzen Pause waren sie etwas essen gegangen und bereits um halb zehn war Agnes todmüde in ihr Bett gefallen und hatte bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen.

      Nach dem Frühstück machten sie einen Stadtbummel und holten sich aus der TouristInformation die Hinweise auf die Sehenswürdigkeiten. Ihr Blick fiel auf die Seite mit dem Freilichtmuseum, auf dessen Gelände auch die berühmte Stabkirche steht.

      „Da gehen wir jetzt hin“, hatte sie beschlossen.

      Sie hatten Glück, dass gerade eine Führung lief und sie sich noch anschließen konnten.

      Nach dem Ende der Besichtigung war sie aus dem Schummerlicht, das drinnen herrschte, nach draußen getreten. Nach kurzem Blinzeln hatte sie einen Mann gesehen und geglaubt, einem Gespenst zu begegnen: Martin! Martin Voss. Da war er! Ihr totgeglaubter, bei einem Attentat vor drei Jahren zu Tode gekommener Geliebter. Da hatte dieser Reporter doch nicht gesponnen.

      Und dann fingen auch noch die Glocken der Kirche an zu läuten!

      Sie hatte laut seinen Namen gerufen und er hatte sich kurz umgedreht. Mit einer Geistesgegenwart, die sie sich selbst nie zugetraut

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