Geliebtes Carapuhr. Billy Remie

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Geliebtes Carapuhr - Billy Remie Chroniken der Bruderschaft 3

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er hatte nur gesehen, was ihm vertraut vorgekommen war, die Augen und die Stimme. Vynsu war größer geworden, männlicher, muskulöser, hünenhafter … älter. Wie alt? Desith hätte ihn zwischen fünfundzwanzig und siebenundzwanzig Sommer geschätzt. Was unmöglich war, denn das würde bedeuten, er selbst wäre mittlerweile ebenfalls mehr als zwanzig Sommer alt. Das wiederrum würde die Frage aufwerfen, wie viele Jahre er mit Derrick im Dschungel vergeudet hatte, aber diese Frage schob er weit nach hinten, sie konnte warten. Warten bis zu dem Moment, da er von selbst aufstehen und dieses Zelt verlassen konnte, wenn er hinaus in die Welt trat und herausfinden musste, wie sein Leben weiter gehen sollte. Ohne Derrick.

      Er verscheuchte die düsteren Überlegungen, ignorierte das Ziehen in seinem Herzen und drehte sich auf die Seite. Vynsu schien sich seiner Blicke bewusst, aber sie machten ihn nicht nervös, er fettete das Leder ein, als wäre er allein.

      »Du trägst das Haar anders«, stellte er leise fest.

      »Und du deines wie immer.« Der Barbarenprinz sah nicht auf.

      Vynsus violette Strähnen waren etwas dunkler als damals, sie erinnerten jetzt mehr an reife Auberginen. Es war gewachsen und er trug es zu einem langen, geflochtenen Zopf, der ihm bis zur Mitte seines breiten Rücken reichte, allerdings war sein Schädel an den Seiten und im Nacken kahlgeschoren, sodass er quasi nur den violetten Kamm hatte wachsen lassen. Auf seinen markanten Zügen breitete sich der Schatten eines dunklen Bartes aus, aber er trug keinen Vollbart, es wirkte viel mehr so, als habe er seine Rasur vernachlässigt. Sein Leib wurde von einem einfachen, braunen Lederhemd mit offener Schnürung verhüllt, ebenso von einer robusten Lederhose und Reitstiefel, nichts an ihm sah adelig oder gar prinzenhaft aus. Diese Bescheidenheit hatte Desith an den Barbaren immer schon gemocht, ihren Sinn für das praktische und einfache Leben. Er selbst war in dem sprichwörtlichen goldenen Käfig aufgezogen worden.

      Vynsus Augen zogen Desith immer wieder an, sie hatten sich stark verändert. Wobei, es war mehr der Blick, der sich gewandelt hatte. Früher hatte eine gewisse Wildheit in seiner Miene gestanden, heute wirkte er sehr ernst. Aber das konnte auch nur täuschen. Die restlichen Züge waren ihm jedoch sehr vertraut, das breite Kinn und die wulstige Stirn, die markante Nase, der perfekte Abstand zwischen den großen Augen, die langen, dunklen Wimpern, die sie umrandeten, und die regelrecht geschwollenen, dicken Lippen.

      Die einschlägigste Veränderung, die Desith auffiel, war ohnehin nichts Körperliches. Es war etwas Materielles. Der Ring an Vynsus Finger.

      Desith erinnerte sich, dass der Ring in Carapuhr ein Zeichen dafür war, dass ein Mann oder eine Frau bereits vermählt waren. Und da fiel ihm auch wieder ein, dass sein Vater ihm mitgeteilt hatte – damals, bevor er mit Derrick in Zadest zurückgeblieben war – dass Desiths geliebte Schwester dem Prinzen von Carapuhr versprochen worden war.

      Hatte er die Vermählung verpasst?

      Das würde sie ihm niemals verzeihen.

      »Wie geht es meiner Schwester?«, fragte er geradeheraus. Und als Vynsu ihn überrascht ansah, lächelte er wissend. »Sie ist etwas verwöhnt, nicht wahr? War sie wütend, weil ich nicht bei der Vermählungsfeier dabei war? Ist sie hier?«

      Vynsu schienen die Fragen für einen Moment die Sprache zu verschlagen, er starrte einfach zurück, fast wie zu Eis erstarrt, seine dicken Lippen standen leicht offen.

      »Vyn?« Desith kräuselte die Nase. »Du schaust mich an, als wäre mir ein Horn aus der Stirn gewachsen.« Zur Sicherheit tastete er seinen Kopf mit einer Hand ab, aber bis auf eine verschorfte Wunde fühlte er nichts.

      Vynsu blinzelte sich zurück in die Gegenwart. »Ich…« Er schüttelte den Kopf und senkte den Blick auf das Zaumzeug. »Entschuldige, und nein, sie war nicht wütend, sie war… Das Fest hat sie verängstigt, aber ich … ich war gut zu ihr, keine Sorge.«

      Das konnte er nicht wirklich glauben, er hatte Vynsu mit anderen Mädchen gesehen, aber er wollte in diesem Moment nicht darüber nachdenken, wie Vynsu mit Lohna die Ehe vollzogen hatte. Er würde ihm später noch androhen, sie besser gut zu behandeln, wenn ihm sein Leben lieb war. Später, wenn er wieder aufstehen konnte. Ansonsten fürchtete er, dass er nicht sehr glaubwürdig klingen würde.

      »Ist sie hier?« Desiths Brust füllte sich mit warmer, strahlender Hoffnung, er wollte so gerne jemanden aus seiner Familie sehen. Vor allem seine geliebte Schwester, mit ihr verband er immerhin seine Kindheit, seine Heimat. Die erste Liebe – abgesehen von jener für seine Mutter – die er gekannt hatte.

      Vynsu räusperte sich. »Nein, sie ist leider nicht hier.«

      Desiths Hoffnung erlosch und er ließ sich erschöpft zurück auf die Felle fallen. »Oh…« Er verstummte und Schweigen erfüllte das Zeltinnere, dehnte sich wie eine tiefe Kluft zwischen ihnen auf.

      »Du klingst sehr … erholt, für jemanden, der die letzten Tage nur geschlafen hat«, erhob Vynsu irgendwann die Stimme.

      Desith sah ihn mit einem undurchdringbaren Blick an. »Vielleicht gerade deshalb, ich fühle mich mehr als ausgeschlafen. Zumindest was meinen klaren Verstand angeht.«

      Vynsu nickte bedächtig. Er war fertig mit dem Zaumzeug und hing es an die Stuhllehne, dann klatschte er die Hände auf die Schenkel und sah Desith durchdringend an. »Wir sollten über Derrick reden.«

      Desith drehte das Gesicht zur Decke und erwiderte leise: »Ich will nicht über Rick reden.« Allein an ihn zu denken zerriss ihm die Eingeweide. Dabei wusste er immer noch nicht ob er traurig oder wütend war.

      »Warum seid ihr vom Turm weggegangen? Habt ihr Sarsar gefunden? Seine Überreste? Irgendetwas? Was hat euch von den Trümmern fortgelockt?«

      Sie hatten gedacht, sie hätten ihn gespürt. Sarsar. Nun ja, Rick hatte es gedacht und war dem Gefühl gefolgt, mitten rein in den Dschungel.

      Desith bemerkte, wie ihm die Kehle trocken wurde, seine Sicht verschwamm und er wollte die Erinnerungen abschütteln. »Er folgte dem Ruf der Freiheit. Dem Drachenruf.« Das war alles, was er verriet. »Er konnte sich nicht dagegen wehren und er wollte sich nicht mehr zurückverwandeln. Ich habe ihn gesucht, ihn angefleht, immer wieder aufs Neue. Aber er wollte mich nur fressen. Immer wieder nur… fressen.«

      Etwas kitzelte seine Wange und er wischte die entflohene Träne fort. Dann schluckte er und kämpfte seine Gefühle nieder, er bleckte die Zähne. »Er will nicht zurückkommen, Vyn. Er will einfach nicht.«

      Daraufhin herrschte langes Schweigen.

      »Weißt du, dass du hättest sterben müssen?« Ein Raunen voller Unbehagen.

      Desith drehte das Gesicht zu Vynsu um und blinzelte ihn an. Ein Stich aus purer Angst zog ihm durchs Herz, aber das ließ er sich nicht ansehen. Er schluckte das Gefühl herunter. »Nein«, antwortete er. »Aber hätte ich wirklich sterben müssen, wäre ich wohl tot.«

      »Keine Ahnung.« Vynsu wirkte ratlos, das machte Desith stutzig. Seufzend fuhr der Barbar sich über den violetten Kamm. »Du hattest schwerwiegende Vergiftungen von totbringenden Baumschlangen, Desith. Du wurdest verbrannt, dein Kopf stand offen, du…« Er unterbrach sich und sah zu Boden, rang nach Beherrschung.

      Desith senkte ebenfalls den Blick, sein Mund stand offen. Er hatte nicht ahnen können, wie schlecht es um ihn gestanden hatte.

      »Du hattest Fieber, Parasiten und Anzeichen von Schwindsucht, du bist unterernährt«, fuhr Vynsu bedächtiger fort, dann schüttelte er wieder den Kopf, als verstünde er die Welt nicht mehr. »Weißt du, wie viele

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