Der große Reformbetrug. Udo Schenck
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Читать онлайн книгу Der große Reformbetrug - Udo Schenck страница 13
Euch liegt der Rohrstock tief im Blut.
Die Augen rechts! Euch geht’s zu gut.
Ihr sollt nicht denken, wenn ihr sprecht!
Gehirn ist nichts für kleine Leute.
Den Millionären geht es schlecht.
Ein neuer Krieg käm ihnen recht,
So macht den Ärmsten doch die Freude!
Ihr seid zu frech und zu begabt!
Seid taktvoll, wenn ihr Hunger habt!
Rasiert euch besser! Werdet zart!
Ihr seid kein Volk von Lebensart.
Und wenn sie euch noch tiefer stießen
und würfen Steine hinterher!
Und wenn Sie euch verhaften ließen
und würden nach euch Scheiben schießen!
Sterbt höflich und sagt Dankesehr.
Erich Kästner
Frau Z
Ich erhielt eine Einladung von Frau Z aus dem Jobcenter Neukölln, mal wieder von einer neuen Arbeitsvermittlerin: „Ich möchte mit Ihnen über Ihr Bewerberangebot bzw. Ihre berufliche Situation sprechen. Bringen Sie bitte noch zusätzlich folgende Unterlagen zu diesem Termin mit: - Nachweis Ihrer Eigenbemühungen (Bewerbungen, d. V.).“ In den bis dahin zurückliegenden zwei Jahren hatte ich fünf verschiedene Arbeitsvermittler/innen.
Am Tag des Termins bei Frau Z im Jobcenter Neukölln: Heute Morgen ist es als belagere mich eine dunkle, schwere Wolke; ich habe ein ungutes, flaues und nervöses Gefühl im Magen, dem auch mit mehreren Ablenkungsversuchen nicht beizukommen ist. So etwas kannte ich früher nicht. Bis vor einiger Zeit hörte ich von solch einem spannungsgeladenen Unwohlsein vor Gängen zum Jobcenter zunächst nur von anderen. In der letzten Zeit holten auch mich immer häufiger diese Unbilden ein, stand irgendein Termin beim Jobcenter an. Denn zusehends wurde es unberechenbarer von welch übler Laune oder Absurdität man überrascht werden konnte. Man hofft nur, dass diese launische, streitsüchtige und übermächtige Bestie heute satt und schläfrig sei, denn sonst müsste man mit ihr hellwachen Sinnes und gut gerüstet kämpfen, so lange bis sie müde ist, bis man ihr die Argumente und das Recht gründlich um die Ohren gehauen hat, diesem niederträchtigen, erbärmlichen Vieh, und es nachgeben muss.
Heute scheint mir dieses Unbehagen tatsächlich besonders groß zu sein. Es hilft nichts, ich muss da hin und durch. Mit zu den Ohren hämmerndem Herzen klopfe ich an der Tür meiner neuen Arbeitsvermittlerin und eine schrille, fordernde Stimme ruft mich herein. Ich sehe eine eher stämmige aber nicht übergewichtige, etwas größere Frau, Ende dreißig bis Anfang vierzig, mit langem, blond gefärbtem Haar. Auf feminines Outfit bedacht, trägt sie sogar Pumps, was einem heute doch recht selten in einem Jobcenter begegnet. Am auffälligsten sind jedoch ihre kalten, graugrünen Wolfsaugen, die mich unablässig taxieren, zu durchdringen versuchen, aus einem eher vollen und weniger feinsinnigen Gesicht. In ihrer etwas klirrenden und schnarrenden aber kräftigen Stimme liegt etwas Energisches und Anmaßendes:
„Sie sehen ja gar nicht so aus wie die, mit denen ich hier sonst immer zu tun habe.“
Ich frage: „Wie sehen die denn aus, mit denen Sie sonst so zu tun haben?“
Leicht gereizt kommt es zurück: „Na Sie sehen jedenfalls nicht so aus als müssten Sie arbeitslos sein. Warum hat das denn mit der letzten Stelle nicht geklappt?“
„Darüber kann ich nur spekulieren, ich habe versucht es raus zu bekommen aber es ist mir nicht gelungen, vielleicht war ich zu ehrlich für diese Arbeit.“
Frau Z sich erstaunt gebend: „Zu ehrlich, wie denn das?“
„Ich weiß es nicht.“
In der vagen Hoffnung einen Absprung aus Hartz IV zu bekommen trat ich unmittelbar nach einem eineinhalbjährigen sog. Ein-Euro-Job und auf Anregung desselben Trägers, bei dem ich diesen Ein-Euro-Job machte, eine reguläre, befristete und schlecht bezahlte Teilzeittätigkeit als Projektleiter an, die jedoch bereits nach einem Monat ihr Ende fand.
Frau Z: „Ich denke, Sie müssen da wohl noch etwas kompromissbereiter werden, für Geologen habe ich im Augenblick sowieso nichts da.“
„Entschuldigen Sie, ich bin kein Geologe sondern Geograph.“
Frau Z spitz: „Ach was! Aber da sieht es auch nicht besser aus. Ich habe hier ein Angebot für einen Callcenteragent, das drucke ich Ihnen mal aus.“
Während all dieser Zeit fixiert mich die Frau mit ihren kalten Raubtieraugen, lässt nicht locker, versucht in mich einzudringen, so wie ich das nach meiner Erinnerung noch nirgendwo in vergleichbarer Weise erlebt habe. Unter diesen asymmetrischen Bedingungen ist mir das besonders unangenehm. Ich wage dies nicht anzusprechen, versuche es zu ignorieren, die Situation nicht weiter unnötig anzuheizen. Vielleicht ist es aber auch bloß ein spezieller, wenn auch ziemlich unsympathischer Tick von ihr, dem sie selber nicht gewahr ist. Irgendwann einmal las ich, dass das unablässige Starren in fremde Augen sowohl von Mensch, als auch von Tier generell als Bedrängung, als Aggression empfunden wird.
Frau Z reicht mir den Ausdruck über den Schreibtisch ohne ihren stechenden Blick abzuwenden. Akquisition und Kundenbetreuung, lese ich, man müsse belastbar, Kunden orientiert und kommunikativ sein und über sehr gute Englischkenntnisse verfügen und das alles für 1.100 Euro brutto im Monat, bei einer Dreißigstundenwoche. Wenn mir das Geld nicht reichen würde müsse ich es durch Transferleistungen aufstocken lassen, gibt mir Frau Z zu verstehen. Auf meine Frage, ob sie wüsste wie das formal abläuft, entgegnet sie davon keine Ahnung zu haben, da müsse ich mich an die Leistungsabteilung wenden. Groll steigt in mir auf, nicht nur über diese unverschämte Stellenzuweisung, über diese Dreistigkeit und Zumutung, und ich frage mich wovon mein Gegenüber überhaupt Ahnung hat bzw. woran diese Frau eigentlich interessiert ist, was sie hier eigentlich macht, wenn sie noch nicht einmal meinen Beruf kennt. Aber ich mühe mich meinen Groll zu verbergen, was allerdings nicht so einfach ist, wird man unablässig taxiert.
Frau Z fährt fort: „Was haben Sie denn an Bewerbungen geschrieben, zeigen Sie mal her?“
Ich lege ihr einen chronologisch geordneten Stapel meiner Bewerbungen vor, mit der jüngsten zuoberst. Flüchtig blättert sie in dem Stapel herum und bemerkt: „Sie bewerben sich also überall, na gut, wir müssen noch eine Eingliederungsvereinbarung machen.“
Frau Z lässt die Eingliederungsvereinbarung ausdrucken und verlangt anschließend trocken: „Unterschreiben Sie das bitte!“
Ich erstaunt und ein wenig perplex zögernd: „Wir haben doch noch gar nichts vereinbart, wir haben doch über gar nichts gesprochen, ich möchte mir das erst in Ruhe zuhause durchlesen.“
Auf einmal verwandelt sich Frau Z unversehens in eine tobende und schreiende Furie, deren Augen mich geradezu anzuspringen scheinen: „Sie unterschreiben das jetzt oder ich hole noch Kollegen hinzu!“
Nach einer heftigen Schrecksekunde entgegnete ich erstaunlich gefasst aber doch laut und deutlich: „Was fällt Ihnen eigentlich ein, mich hier so anzuschreien, wo bin ich hier eigentlich,