Der große Reformbetrug. Udo Schenck
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Gegen den o. g. Bescheid legte ich umgehend Widerspruch ein, ohne dass sich in den kommenden Monaten irgendetwas regte. Damals noch nicht an die Praxis der neuen Jobcenter gewöhnt, regelmäßig Dokumente, Anträge und Widersprüche auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen sendete ich meinen Widerspruch per Einschreiben an das Jobcenter, ohne damals darauf zu achten, dass dies keinen rechtsgültigen Beweis für die Zustellung explizit dieses Widerspruchs darstellt. Mit dem entsprechenden Einlieferungsbeleg konnte ich lediglich nachweisen irgendetwas an das Jobcenter versandt zu haben, jedoch nicht, dass dies ein Widerspruch gegen einen bestimmten Bescheid war. Diesen Umstand machte sich das Jobcenter offenbar zunutze, behaupten zu können meinen Widerspruch nie erhalten zu haben.
Nach rund fünf Monaten der Untätigkeit des Jobcenters Neukölln wandte ich mich an den DGB-Rechtsschutz um eine Untätigkeitsklage zu erheben, worauf das Jobcenter wie oben dargelegt zunächst behauptete nie einen Widerspruch, der einer Klage fristgerecht voran gehen muss, von mir erhalten zu haben. Zur Klageerhebung lag meinem Anwalt immerhin eine Kopie meines damaligen Widerspruches vor. Ferner forderte mein Anwalt das Jobcenter Neukölln anhand meines Einlieferungsbeleges auf darzulegen, welches Schreiben es zu diesem Zeitpunkt von mir erhalten hatte. Das konnte bzw. wollte das Jobcenter erwartungsgemäß nicht nachweisen, wodurch es aber immerhin in die Defensive gedrängt wurde. Der Dreistigkeiten jedoch immer noch nicht genug behauptete das Jobcenter in einem Schreiben an meinen Anwalt, welches dieser mir als Kopie zusandte, mich angeschrieben zu haben, mit der Bitte um die Zustellung einer Kopie meines Widerspruchs, worauf ich jedoch nicht reagiert hätte. Jedenfalls habe ich nie ein derartiges Schreiben zu Gesicht bekommen. Inzwischen musste ich erneut einen Antrag für das ALG II stellen, da der erste Bewilligungszeitraum bald abgelaufen war. Wieder war der folgende Bewilligungsbescheid im o. g. Sinne falsch und wieder legte ich Widerspruch ein, der Bezug auf meinen ersten nahm. Dieses Mal ging ich jedoch direkt mit dem Widerspruch zum Jobcenter und ließ mir den Eingang auf einer Kopie von diesem bestätigen, was wieder einmal ein eineinhalbstündiges Stehen in der Warteschlange kostete. Letztendlich musste das Jobcenter nachgeben und nahm Abstand von der Praxis, eine Energiepauschale von den Unterkunfts- und Heizkosten abzuziehen, womit die Klage abgewendet wurde. Ferner musste das Jobcenter die bis dahin abgezogenen Beträge erstatten. Von meinem ersten Widerspruch bis zum Einlenken des Jobcenters verging so fast ein Jahr.
Noch kurz bevor ich zuletzt genannten Widerspruch einlegte stellte ich einen Antrag auf Bewerbungskostenerstattung und gab diesen gegen eine Empfangsbestätigung mit den Kopien von meinen Bewerbungen direkt beim Jobcenter ab, mit der entsprechenden Warte- und Stehzeit versteht sich. Ich hatte also eine Eingangsbestätigung für o. g. Antrag, jedoch keine unmittelbare für die betreffenden Bewerbungskopien, die ich mit samt dem Antrag abgab. Prompt wurde mein Antrag mit der Begründung abgelehnt: „Die von Ihnen beantragten Bewerbungskosten wurden nicht durch Nachweise (Kopien von den Bewerbungen, d. V.) belegt. Sie sind somit ihrer Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch – Erstes Buch – (SGB I) nicht nachgekommen.“ Also nicht genug damit, dass man hier anscheinend Dokumente unterschlagen hatte, mit der entsprechenden Schädigung für den Antragsteller, man versuchte perfider Weise zusätzlich dem Antragsteller einen Strick aus seiner vermeintlich versäumten „Mitwirkung“ zu drehen. Im Übrigen: gesetzt den Fall ich hätte bei der Antragsabgabe im Jobcenter keine Kopien von den Bewerbungen abgegeben, hätte man mich darauf hinweisen müssen, um die Chance zu erhalten, die Bewerbungsnachweise nachreichen zu können und so in meinem ureigensten Interesse auf die Erstattung der Bewerbungskosten hinwirken zu können.
Gelinde gesagt ist diese Vorgehensweise der Jobcenter geeignet das Vertrauen in diesen Staat und seine Institutionen auf die nachhaltigste Weise restlos zu zerstören und man muss sich einmal vorstellen was das vor allem bei sehr jungen erwerbslosen und perspektivlosen Menschen anrichten kann, von denen man heute aber dafür umso mehr Aufrichtigkeit, Arbeitsamkeit und Mitwirkung einfordert. Wenn man so linkisch, mit so viel krimineller Energie, mit Psychoterror gegen die Menschen vorgeht, sie bis zur Weißglut reizt und quält, darf man sich nicht wundern auf diese Weise verstärkt Kriminelle heranzuzüchten oder wenn dann mal i. w. Sinne verbal und tätlich zurück getreten wird, so, dass es richtig weh tut und manchmal sogar tödlich endet. Schlechte Vorbilder erzeugen zumeist ebenso schlechte Nachahmer. So erstach im September 2012 ein 52 jähriger sog. Kunde eine Mitarbeiterin des Jobcenters in Neuss. Am 19. Mai 2011 wurde in einem Jobcenter in Frankfurt/Main eine Kundin von der Polizei erschossen, nachdem sie die gerufenen Beamten mit einem Messer bedroht haben soll. Hintergrund dieser Tragödie war eine Beschwerde der Kundin über nicht überwiesenes Arbeitslosengeld und ihre Bitte um eine Bargeldauszahlung, die ihr offensichtlich abschlägig beschieden wurde. Möglicherweise sind solche Fälle, von denen man früher nie etwas hörte und die unter den damals vergleichsweise weit humaneren Bedingungen des Arbeitsamtes wahrscheinlich nie, oder zumindest viel seltener vorkamen, heute nur die Spitze eines Eisberges. Denn der Autor selbst wurde Zeuge eines nicht unspektakulären Selbstmordes (zum gnädigen Glück nicht unmittelbar während seines Vollzugs) im Zusammenhang mit dem Jobcenter bzw. einer sog. Aktivierungsmaßnahme, der bemerkenswerter Weise nirgendwo in den Medien einen Widerhall fand und auf den ich im Folgenden noch einmal zurückkommen werde. Es scheint so, als scheue man in solchen Fällen von verantwortlicher Seite die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und verhängt möglicherweise sogar Nachrichtensperren, soweit dies die Situation erlaubt, sprich: solange die Öffentlichkeit bzw. Medien von einem Vorfall noch keinen Wind bekommen haben.
Was bringt einen Menschen dazu sich selbst oder anderen im Affekt tödliche Gewalt anzutun? Da muss i. d. R. schon Einiges zusammenkommen, viel Wut, viel Frust, viel Demütigung, da muss viel kochen; das passiert nicht einfach aus irgendeiner Laune heraus, sowenig man den Betreffenden grundsätzlich immer gern psychische Labilität unterstellen sollte, damit bloß nicht grundsätzlich etwas in Frage gestellt werden muss. Angesichts der z. T. recht derben Provokationen bis hin zu Beleidigungen, denen die sog. Kunden sehr häufig ausgesetzt sind, klingen die Verlautbarungen aus dem Dunstkreis der Agentur für Arbeit nach o. g. Gewaltvorgängen, man wolle die Mitarbeiter nun verstärkt in Deeskalationsstrategien schulen, wie der blanke Hohn, wie eine erneute Provokation. Die beste Prävention gegen Gewalt, ob verbaler oder tätlicher Art, wäre mit den Menschen anständig umzugehen und ihnen das Gefühl zu geben ihnen wirklich helfen zu wollen und nicht ihnen Fallen zu stellen, sie von oben herab zu behandeln. Davon sind wir jedoch Lichtjahre entfernt, wie sich auch im Folgenden noch zeigen wird. Selbst mit Abitur, einem Hochschulabschluss und einem soliden Selbstbewusstsein ist die oft herabwürdigende Art vieler Mitarbeiter in den Jobcentern, die sich des enormen Machtgefälles zu ihren Gunsten bewusst sind, manchmal kaum zu ertragen, auch wenn man weiß, dass diese häufig nur Schafe sind, die den propagierten Mainstream unhinterfragt nachblöken und nun endlich auch mal den Wolf spielen dürfen. Manche Menschen handeln vielleicht gewalttätig, weil sie schlicht am Ende sind, weil sie angesichts des Zynismus, der Kälte, der Verlogenheit und der nicht selten himmelschreienden Ungerechtigkeit, die ihnen in den Jobcentern entgegen schlägt, geradezu von Fassungslosigkeit geschüttelt werden, weil sich in diesen quälenden, demütigenden Momenten ihr Atem durch die würgende Ohnmacht so beschleunigt, dass sie von der Urangst vor dem Ersticken gepeinigt werden, womit sie von Sinnen nur noch blindlings um sich schlagen können, weil ihnen der Fluchtweg versperrt wurde, denn sie haben verfügbar zu sein. Dann hat man den Menschen schon sehr viel bis alles genommen, ihre Würde, ihre Freiheit und ihre Existenz bedroht, auch die geistige.
Wir alle machen mal Fehler und es können immer mal Dinge und Dokumente verloren gehen, aber nicht in dieser ausufernden, alltäglichen Häufigkeit und Menge, wie dies in den Jobcentern der Fall ist, das widerspricht jeglicher statistisch zu erwartenden Häufigkeit (s. nächstes Kap.). So versuchte man mir in den folgenden