Der große Reformbetrug. Udo Schenck
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Ferner würde der Weg in die Erwerbstätigkeit „aber auch erheblich durch eine fehlende adäquate Förderung erschwert“ werden. So würde von Experten entschieden die stereotype Vorstellung zurückgewiesen werden, nach der es den sog. Kunden grundsätzlich an der Motivation mangeln würde, an Maßnahmen teilzunehmen, sodass angeblich „händeringend“ nach Teilnehmern für entsprechende „Qualifizierungen“ („“, d. V.) gesucht werden müsse. Fördern findet praktisch nicht statt, so laute vielmehr die Problemdiagnose (vgl. auch Kap. 5.3 und 5.3.1). So heißt es da weiter: „Maßnahmen werden häufig als Sanktionsinstrument missbraucht, Fordern dominiert und ‚überschattet‘ den Einsatz von Förderung, Beschäftigungsträger und private Vermittlungsdienstleister verdienen an oft qualitativ geringwertigen Maßnahmen für Erwerbslose, im Vordergrund steht bei den Jobcentern der Hinweis auf nur geringe finanzielle Mittel und zudem das grundsätzliche Desinteresse an der bisherigen Berufsbiographie, wie der folgende Dialog eines Interviewpartners mit seiner Arbeitsvermittlerin verdeutlicht: „‚Sie haben ja etwas mit Schrauben zu tun.‘‚Nee, nee nicht mit Schrauben, ich habe Industriearmaturen gebaut.‘ ‚Ach ja, das mit den Schrauben‘.“ (vgl. ebd. S. 12).
Die desinteressierte Verwaltungspraxis in den Jobcentern zeige sich ebenso an der Missachtung der Lebenssituation der Kunden, hinsichtlich Wohnen, Familie und Ausbildung. So würde die Vorgehensweise der Jobcenter eine Wohnungssuche unnötig verkomplizieren. Nach Berichten von Expert/innen würde in vielen Fällen die Übernahmen von Kosten zu lange unklar bleiben oder nur unzureichend erfolgen. So komme es nicht selten vor, dass bei erfolgreicher Suche einer Wohnung Mietverträge aufgrund von Verzögerungen bei der Bearbeitung im Jobcenter nicht zustande kämen oder dass die Miete nicht in voller Höhe übernommen würde und ALG-II-Beziehende Probleme mit ihren Vermietern bekommen würden, weil sie nicht rechtzeitig über Kürzungen informiert wurden. Insofern wäre es ein erstaunliches Ergebnis der Studie, dass auch die Verwaltungspraxis der Jobcenter Wohnungslosigkeit und die Unterbringung in Notunterkünften verursachen würde, was keine außergewöhnlichen Einzelfälle zu sein scheinen (vgl. ebd. S. 12). Es zeige sich bei den Jobcentern insgesamt eine Tendenz, die individuelle Lebenssituation wenig berücksichtigen zu wollen und auch im Bereich des Wohnens rein nach Aktenlage zu entscheiden. Eine Expertin hätte berichtet, dass eine solche Haltung angesichts von Umzugsproblemen auch ganz explizit von einer Sachbearbeiterin geäußert wurde: „Es ist schön, dass Sie die Perspektive der Leute einnehmen, aber die wollen wir hier gar nicht“. Dies bedeute in der Praxis, dass z. B. Bemühungen von Eltern, das soziale Umfeld (Schule usw.) für ihre Kinder im Falle eines Umzuges (z. B. nach einer Trennung) aufrechtzuerhalten, nicht selten scheitern (vgl. ebd. S. 13).
Jugendliche bzw. junge Erwachsene träfen bei den Jobcentern auf eine Institution, der die Phase der Entwicklung und Orientierung, für unter 25-Jährige weitgehend fremd sei. Nach den arbeitsmarktpolitischen Vorgaben solle diese Gruppe eine „härtere Gangart“ erfahren. Dies kann bis zur Verhängung einer 100-Prozent-Sanktion, also der totalen Aufhebung der ALG-II-Leistungen für Angehörige dieser Gruppe reichen. Mit dieser Betonung von Druck würden die ohnehin großen spezifischen Herausforderungen, denen junge Erwachsene gegenüberstünden, wie den eigenen Lebensweg noch finden zu müssen, oder teilweise große Probleme wie z. B. ein Rauswurf aus der elterlichen Wohnung oder erste Erfahrungen des Scheiterns (Abbruch der Schule oder Ausbildung), völlig missachtet werden. Während diese jungen Menschen eigentlich Unterstützung und das Gefühl bräuchten, mit ihren Schwierigkeiten, aber auch Plänen und Ideen für ihre Zukunft ernst genommen zu werden, würden sie tendenziell mit ihren Problemen allein gelassen und abgewehrt werden. Hinzu komme die fehlende Berücksichtigung und Förderung der eigenen Wünsche und Fähigkeiten hinsichtlich von Ausbildung und Beruf (vgl. auch Kap. 5.3 und 5.3.1). Dies sei ein sehr entscheidender („und verblüffender“) Sachverhalt, angesichts der öffentlichen Diskussion über die große Bedeutung von Bildung, in der es auch um die nachwachsende Generation gehe, und deshalb wäre eigentlich zu erwarten, dass es ein dringendes Anliegen der Jobcenter sei, junge Erwachsene mit Bildungsaspirationen zu unterstützen.
Erstaunlich bis verblüffend ist dies aber auch vor dem Hintergrund der permanenten Propagierung eines angeblichen verbreiteten Fachkräftemangels in Deutschland (vgl. Kap. 3.5). Nach Aussagen von Experten wäre aber eine wirklich ernsthafte Unterstützung der jungen Leute durch die Jobcenter eher der „Einzelfall“. Vielmehr würden junge ALG-II-Beziehende nicht selten dazu gedrängt, ihren Wunsch einen Schulabschluss nachzuholen, zugunsten einer Beschäftigungsaufnahme aufzugeben. So wäre eine junge Frau, während sie ihre Mittlere Reife nachholte, regelmäßig zum Jobcenter eingeladen, und nach ihren Bewerbungsbemühungen gefragt worden, oder ein junger Mann mit Migrationshintergrund, der eigentlich seinen Hauptschulabschluss machen wollte, solle zu der Teilnahme an einem sog. „real life training“ gedrängt worden sein, bei dem es weitaus mehr um die Einübung von Disziplin als um eine wirkliche Verbesserung der Arbeitsmarktchancen ging. Ähnliche, höchst fragwürdige Fälle, in denen den Betreffenden quasi noch Knüppel zwischen die Beine geworfen werden, sind auch dem Autor aus seiner weiteren Umgebung bekannt. So wird in der Studie fort gefahren: „Mit dieser Praxis nehme man letztlich billigend in Kauf, dass U25-Jährige dauerhaft im Bereich der schlecht bezahlten „Mc-Jobs“ tätig sind und damit in ein Segment der prekären Beschäftigung ‚abgeschoben‘ werden, aus dem ihnen ein Aufstieg (gerade wenn ihnen formales Bildungskapital fehlt) nur noch schwer möglich ist.“ (vgl. ebd. S. 14).
Offenbar möchte man die jungen Menschen zusammenstauchen, nach dem Muster: Halt die Klappe, was du brauchst und möchtest interessiert uns einen Dreck. Wenn „wir“ Fachkräfte brauchen holen wir die lieber aus dem Ausland, das ist viel billiger und damit wettbewerbskonformer, für uns Global Player. Und wenn man die jungen Leute so gebrochen und um(v)erzogen hat wie man es braucht, dann brüllen die wie einst ihre so „wunderbar“ disziplinierten Groß- und Urgroßeltern aus geschwellter Brust: Hurra, hurra, wir halten durch bis zum Endsieg – für die Eroberung der Weltmärkte! „Schöne“ Aussichten.
Knigge für Unbemittelte
Ans deutsche Volk, von Ulm bis Kiel:
Ihr esst zu oft! Ihr esst zu viel!
Ans deutsche Volk, von Thorn bis Trier:
Ihr seid zu faul! Zu faul seid ihr!
Und wenn sie auch den Lohn entzögen!
Und wenn der Schlaf verboten wär!
Und wenn sie euch so sehr belögen,
dass sich des Reiches Balken bögen!
Seid