Homo sapiens movere ~ gezähmt. R. R. Alval

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Homo sapiens movere ~ gezähmt - R. R. Alval

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dass es mir nicht eingefallen ist. Woher sollte ich denn wissen, dass ich keinen Zugriff auf die Akte habe oder dass der Mann ein Verbrecher ist.“ Der Kerl vor mir ließ sich nicht anmerken, ob ihm meine Antwort genügte, aber er hakte weiter nach. „Wie kommen Sie darauf, dass er ein Verbrecher ist?“ Ha, als ob ich das ernsthaft glaubte! „Wäre sonst seine Akte für mich gesperrt? Ich habe sämtliche Akteneinsichten, außer bei Dingen, die die nationale Sicherheit betreffen. Etwa bei Terroristen oder Leuten, die durch auffälliges Verhalten von der Behörde für innere Sicherheit ins Auge gefasst wurden.“

      Huber drückte einen Knopf der Gegensprechanlage und instruierte seinen Gesprächspartner, den Scanner herein zu bringen. „Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage überprüfe?“ Vorsichtig den Kopf schüttelnd, erklärte ich mich einverstanden. Etwas Gegenteiliges hätte mir vermutlich nur noch mehr Schwierigkeiten gebracht. „Natürlich nicht. Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt.“

      Hatte ich wirklich. Nur dass ich die Dinge so formuliert hatte, dass sie zwar alles sagten, aber ich die Hälfte verschweigen konnte. Niemand musste von Alisa erfahren. Das war es vermutlich, was mein Instinkt mir vorhin zugeschrien hatte. War Alisas Leben in Gefahr?

      Warum war die Weller-Opt Akte gesperrt?

      War er gefährlich?

      Was hatte er mit Alisa zu tun?

      Hatte er überhaupt etwas mit ihr zu tun oder war der gleiche Familienname nur ein Zufall?

      Trebhold, einer von Huberts Untergebenen kam kurz darauf mit dem Scanner herein. Einem kleinen, viereckigen Kasten, der kaum größer als ein Zehn-Euro-Schein war. „Sind Sie nervös?“ Und ob ich das war! „Ja, ich war bisher nie in einer solchen Situation.“ Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, und meine Stimme war kurz davor, den Geist aufzugeben. „Das ist normal. Der Scanner berücksichtigt das. Nehmen Sie ihn in die Hand und beantworten Sie meine Fragen lediglich mit Ja oder Nein. Verstanden?“ Ich nickte und schloss meine Finger fest um das viereckige Stück Metall, das mich vernichten könnte. Wenn ich nicht derart fest in meinen Gedanken wäre, um dieses kleine Ding zu überlisten. „Ist ihr Name Rosalie Sommer?“ Ah, die Einführungsfragen. „Ja.“

      „Sie sind 34 Jahre alt. Ist das korrekt?“

      „Ja.“

      „Lügen Sie jetzt, bitte. Sind Sie verheiratet?“

      „Ja.“ Ein lautes Piepen hätte mich das Ding fast fallenlassen. Huber lächelte zuvorkommend, während er mir versicherte, dass ich den Scanner nicht derart fest halten müsse. Das sagte sich so leicht! Trotzdem lockerte ich meine Finger ein wenig. „Gut. Dann können wir anfangen. Sie haben nach der Akte von Weller-Opt gesucht, weil Ihnen der Name zu Ohren gekommen ist?“

      „Ja.“

      „Waren Sie wirklich nur neugierig?“

      „Ja.“

      „Ist es korrekt, dass Sie Einsicht in sämtliche Akten haben, sofern diese nicht der inneren Sicherheit unterliegen?“

      „Ja.“

      „Kennen Sie jemanden mit dem Namen Weller-Opt?“ Mein Gehirn ordnete die Option derart schnell, dass ich sofort mit einem Nein antworten konnte. Ich war Alisa nur einmal begegnet. Ich kannte sie also nicht wirklich. „Hatten Sie ein persönliches Interesse die Akte zu suchen?“

      „Ja.“

      „Weil es sie gewurmt hat, wie Sie sagten?“

      „Ja.“

      „Hat Sie jemand damit beauftragt, nach Weller-Opts Unterlagen zu suchen?“

      „Nein.“

      „Hatten Sie die Absicht, den Inhalt der Akte an eine andere Person weiterzugeben?“

      „Nein.“

      „Waren Sie sich darüber bewusst, dass dieses Vorgehen Konsequenzen nach sich ziehen würde?“ Was? Woher denn? Als ob ich nach dem Namen gesucht hätte, wenn ich vorher gewusst hätte, dass dessen Akte gesperrt war! „Nein.“ Huber nickte zufrieden. „Sie sehen ein bisschen blass aus. Geht es Ihnen gut?“ Ich hauchte ein leises Ja, was den Scanner sofort laut und schrill lospiepen ließ. Vor Schreck blieb mir fast das Herz stehen; ich umklammerte den Kasten noch fester. Huber klaubte ihn mir aus meinen tauben Fingern, die leicht zitterten. „Alles in Ordnung, Frau Sommer. Es wird für Sie zwar Konsequenzen nach sich ziehen, doch so schlimm wird es nicht sein. Ich verdächtigte Frauen ungern, aber ich tue nur meinen Job. Sie haben nichts zu befürchten. Holen Sie sich draußen einen Kaffee, trinken Sie ihn und gehen Sie dann zu Herrn Oberer. Keine Panik, er wird Ihnen schon nicht den Kopf abreißen.“ Da war ich mir nicht so sicher. Lieber würde ich mich vor ein Rudel Wölfe werfen, als meinem Chef gegenüber zu treten. Aber Huber hatte Recht. Ich konnte unmöglich hier sitzen bleiben und den Kopf in den Sand stecken.

      Wie schlimm sollte es schon werden?

      -------------

      Zwei Wochen später war ich nicht nur deprimiert, sondern kurz davor während meiner Arbeit vor Langeweile zu sterben. Meine Befürchtungen waren umsonst gewesen. Mein Chef hatte weder gebrüllt noch geknurrt noch sonst etwas getan. Er hatte mich lediglich indigniert angesehen, als wäre ich es nicht mal wert, dieselbe Luft zu atmen wie er. Ein einziger Satz war aus seinem Mund gekommen, der kälter hatte gar nicht sein können. „Ich bin von Ihnen enttäuscht, Frau Sommer.“

      Schön, ich war nicht gekündigt worden.

      Allerdings hatte ich auch nicht damit gerechnet, in eine andere Abteilung versetzt zu werden, in der ich mich mehr oder weniger auf das Abstellgleis geschoben fühlte. Auch dieses Büro war eine farbliche Augenweide. Grau, grau und grau. In verschiedenen Nuancen. Sogar der Schreibtisch und die Jalousien waren grau. Die Auslegeware war es sicher früher einmal gewesen, jetzt war sie einfach nur noch fleckig und starrte vor Dreck. Mein Job war nun noch trister als zuvor und in etwa so aufregend wie Fusseln anzustarren. Mein Zugang auf dem Laptop war derart eingeschränkt, dass ich weder spielen noch ins Internet gehen konnte. Einzig und allein das Programm zum Ausdrucken von Geburts- und Sterbeurkunden war verfügbar. Sämtliche Daten, die ich einzugeben hatte, wurden mir per Rohrpost übermittelt und ebenso leitete ich sie weiter. So wurde sichergestellt, dass ich keinerlei Kontakt zu irgendjemandem pflegen konnte.

      Höchstens zum persönlichen Hausgeist der Stadtverwaltung

      Falls es diesen gab, vermied er dieses triste Büro wie die Pest. Hier gab es noch nicht mal ein Telefon! Außerdem befand es sich im fünften Untergeschoss, so dass selbst mein Handy keinen Empfang hatte. Würde draußen die Welt untergehen, würde ich das erst nach Feierabend bemerken.

      Obwohl ich erst zwei Wochen hier arbeitete, spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken zu kündigen. Früh aufzustehen fiel mir immer schwerer, weil mich absolut keine Herausforderung erwartete. Ebenso gut konnte ich in die Produktion gehen und mich an ein Fließband stellen. Oder daheim bleiben, was mir wesentlich verlockender erschien, wenn ich in zwei Wochen meine Traumwohnung bezöge. Ha, die ich mir nicht mehr leisten könnte, wenn ich kündigte.

      Gelangweilt blätterte ich durch das Magazin, das ich mir heute Morgen am Kiosk gekauft und schon komplett durchgelesen hatte. Allmählich wurde das zu einer Gewohnheit. Aber was sollte ich sonst tun, um die Zeit tot zu schlagen? Der Grund meiner Versetzung wurmte mich nach wie vor. Doch bisher war mir keine vernünftige Erklärung eingefallen. Die Akte von Weller-Opt war gesperrt.

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