Der Gärtner war der Mörder. Wolfgang Schneider

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Der Gärtner war der Mörder - Wolfgang Schneider

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schlecht, obwohl sie mir eigentlich viel zu soft sind.“ Der Rotnasige war begeistert, einerseits von der Tatsache, dass er mittlerweile wieder ein neues Bier vor der Nase stehen hatte und andererseits von Sedlmeyer's musikalischem Zugeständnis:

      „Ja siehst! Ich hab ja gleich g'wusst dass mir uns einig sind! Prost!“ Er grinste selig. Dann sagte er: „Was machst'n du eigentlich so?“ Sedlmeyer antwortete:

      „Ich hab' früher mal Sozialpädagogik studiert.“ Das stimmte tatsächlich. Nach dem Abitur war es ihm nicht anders ergangen, als zahllosen Schulabgängern zu allen Zeiten: er hatte keine Ahnung gehabt, wie es jetzt weiter gehen sollte. Glücklicherweise war ihm die Bundeswehr erspart geblieben; irgend ein Fehler in der Wehrpflichtigen-Datei, irgend ein seltsamer Vorgang im Musterungsprozess seines Jahrgangs hatte dazu geführt, dass er schlichtweg übersehen worden war. Also war er ratlos dagestanden, direkt nach dem Abitur, und hatte beschlossen, ein Sozialpädagogik-Studium zu beginnen und damit einen Beruf anzustreben, der ihm eine gesellschaftliche Verantwortung übertragen und ihm eine sinnvolle Tätigkeit versprechen würde. Dies hatte er ein paar Semester lang durch-, es dann irgendwann aber nicht mehr ausgehalten. Sedlmeyer war ein ziemlich intelligenter und auch gebildeter Zeitgenosse, aber die Art und Weise, wie in diesem Studiengang mit Wissen umgegangen wurde, die Methodik des Lernens, die Themen, auf die fokussiert wurde, das war nicht seine Welt gewesen. Da wurde geschwafelt, ohne auf den Punkt zu kommen, wie er fand, da wurde eine Rede- und Diskussions-Kultur gepflegt, die in seinen Augen zu nichts führte und ihm mehr und mehr zuwider wurde. Also hatte er nach ein paar Semestern hingeschmissen und war wieder vor der Frage gestanden, wo es mit ihm hingehen sollte. Diverse Umwege und Zufälle hatten ihn dann schließlich zur Kriminalpolizei geführt. Und letztlich, wenn man es mal mit ein wenig Phantasie betrachtete, hatte sein Beruf als Kriminalbeamter durchaus Ähnlichkeiten mit dem Job eines Sozialarbeiters: die meisten seiner Klienten waren am Ende des Tages nicht viel mehr als arme Teufel, die erst auf dumme Gedanken und dann vom sogenannten rechten Weg abgekommen waren, denen man Erziehungsmaßnahmen seitens des Staates nicht ersparen konnte, die aber mit einem ernsten und wohlmeinenden Gespräch durchaus zu erreichen waren. Die Minderheit der wirklich üblen und teilweise schweren Verbrecher gab es allerdings leider auch; die wären ihm als Sozialpädagoge dann wahrscheinlich erspart geblieben.

      Der Rotnasige grinste ihn an und sagte:

      „Soso, ein Sozialer bist du also. Weißt, ich hab da einen Spezi, ein guter Freund von mir, der hat mal für so ein Kinderhilfswerk gearbeitet, Kinderhilfsdorf soundso. Und der Ernstl, also quasi der DJ des heutigen Abends, der ist mittlerweile auch im sozialen Bereich ansässig! Da sagt's nix mehr, gell!“ Dabei wandte er sich nach rechts zum DJ und rief lautstark zu ihm hinüber: „Du Ernstl, komm a mal her, des hier is ein Heavy-Metal-Sozialpädagoge, den musst unbedingt kennen lernen!“ Sedlmeyer fand nicht unbedingt, dass das sein müsse und sagte:

      „Ich bin kein Sozialpädagoge.“ Sein Nachbar war irritiert:

      „Ja was! Wie des jetzt?“

      „Ich hab nie fertig studiert.“

      „Ja sakrafix! Und was machst jetzt? Bist arbeitslos?“ fragte der Rotnasige besorgt und nahm einen beherzten Zug.

      „Nein, ich bin bei der Kriminalpolizei.“ Sedlmeyer war bereit für die übliche Reaktion. Die ließ erwarten, dass sich eine unsichtbare Wand zwischen ihn und seinen jeweiligen Gesprächspartner schieben würde, ein Schutzschild des schlechten Gewissens, das jeder mit sich herumtrug. Es war ihm oft genug passiert, dass anfangs lockerer Smalltalk rapide in Reserviertheit umschlug, sobald er mit der Wahrheit herausrückte, was seinen Beruf betraf. Er hatte sich daran gewöhnt und diesem Umstand auch schon manch spaßige Erheiterung abgewinnen können. Doch hier geschah nichts dergleichen; sein Gesprächspartner schien nicht übermäßig geschockt zu sein. Das mochte vielleicht auch an der Tatsache liegen, dass er schon ordentlich gebechert hatte. Stattdessen sagte er:

      „Oha! Im Ernst?“ Sedlmeyer nickte. Daraufhin beugte sich der Rotnasige verschwörerisch zu ihm herüber und sagte, in angetrunken-fahrigem Ton:

      „Du, weißt was! Das Mädel, das da verschwunden ist vor drei Wochen! Soll ich dir was sagen? Ich kenn einen, ein Spezi von mir, der weiß, wer das war!“ Das wurde Sedlmeyer dann doch zu viel. Er hatte sich lange genug Räuberpistolen erzählen lassen, von den Scorpions und der Königin von England und jetzt noch das. Er würde sich hier nicht verarschen und als Adressat für das Geltungsbedürfnis seines Kneipen-Nachbarn instrumentalisieren lassen. Zudem war der Rotnasige leicht als Wichtigtuer zu durchschauen und Sedlmeyer kannte den Typus gut. Genervt trank er seinen letzten Schluck Bier aus und sagte:

      „Alles klar. Aber ich bin leider gerade nicht im Dienst. Dieser Spezi soll sich morgen sofort bei der Kripo melden, ansonsten drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft wegen Begünstigung einer Straftat. Jeder, der Beweise hat und sie zurück hält, riskiert eine saftige Strafe und zwar im Knast. Ohne Bewährung. Klar soweit?“ Dabei sah er dem Rotnasigen eindringlich in die Augen. Der sah ihn eingeschüchtert und mit glasigem Blick an, ohne etwas zu erwidern. Sedlmeyer stand auf und verließ augenblicklich das Lokal. Mies gelaunt schloss er sein Fahrrad auf. Diesen Kneipenbesuch hätte er sich genau so gut sparen können. Die Musik war dürftig und das Gespräch mit dem mitteilungsbedürftigen Sitznachbarn ein Monolog ohne viel Inhalt gewesen. Missmutig radelte er nach Hause, Richtung Westend. Nach zwanzig Minuten war er angekommen, in der Kazmairstr. wo seine kleine Wohnung lag. Er schob sein Fahrrad in den Hinterhof und sperrte es an, dann ging er hinauf in den zweiten Stock und schloss seine Wohnungstür auf.

      Noch immer war er genervt. Er hängte seine Jacke auf, setzte sich auf den Balkon und begann, sich eine Schwarzer Krauser zu drehen. Wie eine Zecke, die sich festgebissen hatte, beschäftigte ihn ein Gedanke und lies ihn nicht mehr los: hätte er den Hinweis des Rotnasigen vielleicht doch ernst nehmen sollen? Streng genommen war es nichtmal sein Fall: Kollege Jakubinski mit seiner Soko Laura war für das vermisste Mädchen zuständig, er hatte damit eigentlich überhaupt nichts zu tun. Allerdings war das natürlich kein Argument: falls er als Kriminalbeamter einem Hinweis auf die Spur kam, der einen anderen Fall betraf, würde er ihm selbstverständlich immer nachgehen. Aber was hätte er an dieser Stelle machen sollen? Ein offenkundig betrunkener Wichtigtuer erzählt Märchengeschichten in der Kneipe herum, eine absurder als die andere. Hätte er ihn sofort verhaften sollen? War nicht Jakubinski ohnehin schon kurz vor dem Durchbruch, was den Fall anbelangte? Sedlmeyer meinte sich zu erinnern, dass kürzlich eine Zeugin aufgetrieben worden war, die das entführte Mädchen in einem Geschäft erkannt hatte... Er versuchte sich selbst zu bekräftigen, so gut es ging und mit soliden Argumenten die Richtigkeit seines Verhaltens zu untermauern. Es war schon seltsam, wie der Verstand arbeitete: da gibt es eine Unsicherheit, ein gefühltes Unbehagen und schon läuft sie auf Hochtouren, die Maschine im Gehirn, die die passenden Ausreden dazu erfindet. Nach einer Weile war sich Sedlmeyer sicher, richtig geurteilt zu haben: der Rotnasige war definitiv ein Schwätzer gewesen mit einem ausnehmenden Geltungsbedürfnis, hatte ordentlich gebechert und offenbar wenig Ahnung, wovon er redete. Zudem schien er nicht wirklich Dreck am Stecken zu haben, sonst wäre er bei der Erwähnung von Sedlmeyers Beruf sofort in die Reserve gegangen. Und das wiederum hieß, dass er wohl auch keine Befürchtungen haben würde, der Polizei etwas zu melden, falls er wirklich etwas wusste – was ja zudem auch seinem offensichtlichen Durst nach Anerkennung dienlich gewesen wäre. Also Entwarnung, es war alles korrekt abgelaufen. Sedlmeyers Laune besserte sich und er beschloss, endlich das zu tun, worauf er sich schon den ganzen Tag so gefreut hatte. Er ging ins Wohnzimmer, holte die erste von zwei CDs aus der Hülle, schaltete die Stereoanlage an und legte sie in den CD-Player. Dann nahm er den Kopfhörer und die Fernbedienung mit auf den Balkon und setzte sich. Nachdem er den Kopfhörer aufgesetzt hatte, startete er den ersten Song, eine zufällig aufgezeichnete Jamsession mit Pantera-Gitarrist Diamond Darrell und Kerry King von Slayer. Ein großartiges Stück Musik. Und das beste war: er hatte noch beide CDs vor sich und konnte morgen ausschlafen.

      Zuhause

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