Aus dem Leben einer jüdischen Familie. Edith Stein

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Aus dem Leben einer jüdischen Familie - Edith Stein

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„Das ist ja kein Kinderkaffee, das ist Menschenkaffee!“ Dann verlangte er, wir sollten dunkel machen und ihn allein lassen. „Wenn kleine Kinder schlafen sollen, müssen große Menschen rausgehen“. Wir atmeten auf. Die Gewalt der Krankheit war gebrochen.

      Wenn später wieder einmal eins der Kinder sich krank meldete, kam meine Schwägerin zu mir und sagte einfach: „Wolfgang (oder Helmut) läßt dich grüßen und dir sagen, er sei krank“. Bei Helmut kam noch einmal eine Lungenentzündung, als er sieben Jahre alt war. Es war gerade in meinen großen Ferien. Diesmal übernahm ich sofort die ganze Pflege, nachdem der Arzt die Diagnose gestellt hatte. Ich machte ihm einen Brustwickel nach dem andern und erzählte ihm Geschichten, um ihn ruhig zu halten. Ich brauchte meinen ganzen Vorrat an Sagen und Märchen auf und ging schließlich zur Biblischen Geschichte über. Als ich ihm vom Sündenfall und von der Vertreibung aus dem Paradies sprach, sagte er vorwurfsvoll: „Wie kannst du mir denn so etwas Schreckliches erzählen?“ Aber sonst wurde er nicht müde, zuzuhören. Wenn seine Mutter ihm etwas zu essen brachte, nahm er es gnädig an, sagte aber sofort: „Du kannst wieder gehen, zwei Menschen brauche ich nicht“. Manchmal mußte ich ihm etwas verweigern, was er verlangte, dann verschwand er schmollend unter der Bettdecke. Ich setzte mich ruhig an meine Arbeit und kümmerte mich nicht weiter um ihn. Nach einigen Minuten tauchte er mit strahlendem Gesicht wieder auf, und der Friede war wiederhergestellt. Wenn mein Bruder mittags nach Hause kam, löste er mich ab, damit ich zum Mittagessen gehen könnte; ebenso abends. Um 7 Uhr wurde für den kleinen Patienten Nacht gemacht. Dann entließ er mich bereitwillig, schärfte mir aber ein, daß ich früh um 7 wieder da sein sollte. An einem Sonntag hörte ich, wie Martha im Nebenzimmer in heftigen Worten klagte, sie könnte es nicht länger ertragen, so angebunden zu sein, sie müsse einmal an die frische Luft. Mein Bruder war sehr verlegen, weil er sich sagte, daß ich dies alles hören könnte. Als er ins Kinderzimmer kam, redete ich ihm zu, sie sollten ruhig fortgehen, ich bleibe gern allein bei dem Kleinen. So ging die ganze Familie in ihren Garten vor der Stadt, und wir blieben allein im Haus. Es war uns beiden sehr wohl dabei. Nach einigen Stunden kamen alle vergnügt zurück; Martha versicherte mir, sie sei nun wieder ein ganz anderer Mensch. Nach 14 Tagen kam der Arzt wieder und stellte ganz überrascht fest, daß von der Entzündung keine Spur mehr vorhanden war. Ich konnte meinen Krankendienst einstellen, und meine Schwägerin sagte überglücklich: „Muzchen, wenn Du wieder etwas hast, rufen wir sofort die Tante Edith. Die Mama ist für so etwas nicht zu brauchen“. Meine Mutter kam bei jeder Erkrankung der Kinder mehrmals am Tage nach ihnen sehen. Aber bei jedem Besuch fiel ihr etwas in die Augen, was sie aufregte. Wenn sie darauf aufmerksam machte, gab es unliebsame Auseinandersetzungen. Darum vermied sie es sonst nach Möglichkeit, in den Haushalt der Schwiegertochter hineinzusehen. Den Höhepunkt erreichte die Unordnung und Unruhe im Hause, wenn Marthas Mutter und ihre Schwester mit den Kindern aus Amerika kamen.

      Meine Schwägerin sprach stets mit der größten Liebe von diesen Angehörigen, rühmte ihre Schönheit, ihre Klugheit, ihre witzigen und geistreichen Einfälle. Sie hatte meiner Schwester Else schon während der gemeinsamen Seminarzeit von ihrer schönen Mama vorgeschwärmt und nicht geruht, bis sie die beiden miteinander bekannt machen konnte. Da war dann Else sehr erschrocken; man konnte nämlich bei näherem Zusehen an Frau Kaminski noch Spuren ehemaliger Schönheit fein geschnittener Gesichtszüge entdecken, aber sie war durch ein Augenleiden und einen Hautausschlag sehr entstellt. Später, wenn sie von Amerika kam, fiel sie außerdem schon von weitem durch ihre Kleidung auf, durch schreiende Farben, riesenhafte Hüte und ebenso riesenhafte Schuhe. In Amerika hatten Mutter und Töchter zusammengelebt. Seit Martha wieder in Deutschland war, wechselten sie viele und lange Briefe, teilten sich alle Einzelheiten des täglichen Lebens mit und setzten die Neckereien, die zu ihrem Verkehrston gehörten, schriftlich fort. Monatelang wurde der Besuch der Angehörigen mit großer Freude erwartet. Es war überhaupt Marthas Grundsatz, sich lange und ausgiebig auf bevorstehende Ereignisse zu freuen, weil man die Vorfreude jedenfalls sicher hätte. Meine Mutter dagegen warnte immer davor, zu früh zu jubeln, faßte nicht gern Pläne auf lange Sicht und sprach von etwas Künftigem fast nur mit dem Zusatz: „Mit Gottes Hilfe“ oder: „Wenn Gott will“. Mit den amerikanischen Gästen zogen nun große Koffer und Körbe ins Haus, denen ein bunter Inhalt entquoll: Kleider, Hüte, Schuhe in allen Farben, Formen und Größen; Süßigkeiten und Spielsachen, Zeitschriften und Bücher. All das war teils zu eigenem Gebrauch bestimmt, teils als „Mitgebrachtes“ gedacht. Es war aber oft schwer, zu den Gegenständen Menschen zu finden, die sie verwenden konnten. Es war unmöglich, für diese ganze Jahrmarktherrlichkeit Schränke und Schubfächer zu finden, die sie aufnehmen konnten. Das wurde aber auch gar nicht beansprucht. Man war gewöhnt, aus den Koffern zu leben und das, was man herausgezogen hatte, auf dem Fußboden umherzustreuen. In Amerika gab es wohl Dienstboten, die immer wieder hinterherräumten. Hier aber war für einen Haushalt mit 4 kleinen Kindern höchstens ein Mädchen, meist nur eine Stundenfrau da. Und wenn nun noch zwei Erwachsene und zwei Kinder hinzukamen, so war an gar keine Ordnung mehr zu denken. Meine Schwägerin hatte sich gewöhnt, die Hausarbeit zu machen, wenn sie auch alles möglichst vereinfachte, um für andere Dinge Zeit übrig zu behalten. Ihre Mutter aber sah es nicht gern, daß sie Arbeiten verrichtete, die in Amerika Sache der Dienstboten oder der Männer waren. Das führte zu Mißstimmungen zwischen Schwiegermutter und Schwiegersohn, aber auch zwischen Mutter und Tochter. Nach ihrem letzten Besuch reiste die alte Dame schwer gekränkt ab, sodaß wir herzliches Mitleid mit ihr hatten. Sie war bei allen Eigenheiten eine gütige Frau, die ihre Kinder und Enkel herzlich liebte und auch allen andern Menschen freundlich entgegenkam, geistig beweglich und vielseitig interessiert, humorvoll und unterhaltend. Manches Schwere was das Leben ihr gebracht hatte, trug sie, ohne etwas davon merken zu lassen.

      Außer den Mängeln in der Haushaltsführung und Kindererziehung gab es noch etwas anderes, was meine Mutter an ihrer Schwiegertochter enttäuschte. Solange sie nur als Gast zu uns kam, hatte sie uns alle mit (zweifellos aufrichtig gemeinten) Liebesbeweisen überschüttet und war überglücklich, als sie in die Familie aufgenommen wurde. Ich erinnere mich noch, wie sie lachend und weinend zugleich meine Mutter umarmte, als sie sie als Braut ihres Sohnes begrüßte. Meine Schwester Else, die auf ihren jüngeren Bruder immer etwas herabgesehen hatte, behauptete sogar, es sei Martha weniger um ihn als um die Familie zu tun. Niemand hätte ihr zugetraut, daß sie darauf bedacht sein könnte, ihren Vorteil auf Kosten der andern sicherzustellen. Meine Mutter gewann aber im Lauf der Jahre immer mehr den Eindruck, daß ihr Sohn in diesem Sinn beeinflußt wurde. Ihm selbst lag eigennützige Berechnung von Natur aus durchaus fern. Er war uns ein sehr guter Bruder und hatte es früher geliebt, uns gelegentlich kostbare Geschenke zu machen, z.B. hatte er für Erna zum Beginn ihres Medizinstudiums ein gutes Mikroskop gekauft. Und für Gerhard, seinen ältesten Neffen, den er besonders liebte, hatte er lange Zeit regelmäßig etwas von seinem Einkommen beiseite gelegt, weil er sagte, er als Junggeselle brauche für sich nicht zu sparen. Bis zu seiner Verheiratung war meine Mutter alleinige Geschäftsinhaberin, Arno und Frieda waren Angestellte mit Prokura. Meine Schwägerin besaß ein kleines Vermögen, das als Betriebskapital in unser Geschäft mit aufgenommen wurde; im Verhältnis zum Wert des großen Grundstücks und des reichen Warenlagers war es nicht beträchtlich, wenn auch eine willkommene Hilfe im Zahlungsverkehr. Sie gründete aber darauf den Anspruch auf Mitinhaberschaft, und mit dem Anwachsen der Kinderzahl kam das Verlangen, deren Zukunft sicherzustellen, hinzu. Meine Mutter litt sehr unter diesen Auseinandersetzungen. Sie hatte ihre ganze Arbeitskraft für ihre Kinder eingesetzt, und was wir besaßen, verdankten wir ihr. Für sich brauchte sie fast nichts; für ihre Kleidung mußten die Töchter Sorge tragen. Meist schenkten wir ihr zu ihrem Geburtstag, was sie brauchte, weil sie sich sonst zu sehr gegen Neuanschaffungen sträubte; und auch dann bekamen wir noch Vorwürfe, daß wir unnötige Ausgaben gemacht hätten. Wenn sie etwas nach jahrelangem Gebrauch ablegen oder wenigstens nur noch im Hause auftragen sollte, verteidigte sie mit komischer Entrüstung ihr „gutes, neues Kleid“. So lebten wir alle im Vertrauen auf die mütterliche Fürsorge und dachten nicht daran, für uns selbst Sorge zu tragen; auch wir Geschwister untereinander kannten keine Berechnung. Eine Regelung der Vermögens Verhältnisse für die Zukunft zu verlangen, konnte uns schon darum nicht einfallen, weil wir den Gedanken an eine Zeit, wo unsere Mutter nicht mehr sein würde, gar nicht aufkommen ließen. Den Tod eines lieben Menschen als Tatsache, die unvermeidlich einmal kommen muß, nüchtern ins Auge zu fassen, davon zu sprechen

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