New York City and Me. Cornelia Gräf
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Nachdem ich wieder auf Betriebstemperatur bin, geht’s raus, wieder zwei Ecken weiter und da ist sie, die Grand Central Station. Durch einen Seiteneingang betrete ich das Gebäude, nach ein paar Schritten stehe ich in der großen Halle. Ich bekomme eine Gänsehaut am ganzen Körper. Und das nicht nur, weil die Klimaanlage hier offensichtlich mehr als nur gute Dienste leistet (Mensch Leute, mir ist doch schon kalt!), sondern weil es für mich einer der ästhetisch schönsten Orte überhaupt ist. Es hat so etwas Majestätisches. Ich fühle mich wie in einer großen Kathedrale. Trotz der vielen Menschen herrscht eine über allem liegende Ruhe. Ich wandere umher, lasse meinen Blick über die Decke mit dem Sternenhimmel schweifen. Kurz vor meiner Abreise nach New York habe ich mir noch eine etwas ältere Doku über den Bahnhof angesehen. Und jetzt bin ich tatsächlich wieder hier. So ganz geschnallt habe ich es also immer noch nicht, wie mir in diesem Moment wieder bewusst wird.
Dann geht es aber in die U-Bahn Richtung Apartment. Ich steige aus dem U-Bahn-Schacht. Die Sonne scheint. Wieso ist es auf einmal so warm?! Ich ziehe mir trotzdem etwas anderes an und überlege, was ich mit dem restlichen Tag anfangen könnte. Das ist das Problem in New York: Es gibt einfach viel zu viele Möglichkeiten. Und eine Woche lang habe ich noch ganz viel Zeit, die gefüllt werden möchte. Da Montag ist, beschließe ich wieder zum Union Square zu laufen, wo heute – wie an vier Tagen in der Woche – der Farmer’s Market ist. Als ich im Mai das letzte Mal hier war und samstagvormittags bei wunderschönem Wetter über den Markt geschlendert bin, phantastischen Pfefferminz-Eistee (gesüßt mit Ahorn-Sirup, wilde aber seeeehr feine Mischung!) geschlürft habe, schoss mir durch den Kopf: „Allein für diese halbe Stunde hat sich der Flug nach New York gelohnt.” Ich kann mich einfach nicht satt sehen an dem vielen frischen Obst und Gemüse, in allen Farben des Regenbogens. Das täuscht auch über die optisch nicht ganz so ansprechenden weißen Plastik-Zeltpavillons, die über die Stände gespannt sind, hinweg.
Auf dem heutigen Weg dorthin fällt mir plötzlich der Schriftzug „The Taste of Persia” in einem Schaufenster auf. Darunter blicke ich auf Warmhalteschalen voll dampfender Eintöpfe. Ich liebe persisches Essen, also ist die Entscheidung für mein heutiges Mittagessen schnell gefallen. Ich öffne die Türe und ach herrje! Wieder eine Türe mit einem bunten Sammelsurium dahinter. Dieses Mal keine CDs, dafür Essen. Ein länglicher Gastraum, auf der rechten Seite befindet sich eine lange Theke, an der man Pizza und Pasta bekommen kann („Pizza Paradise”). Auf der linken Seite in der Mitte des Ladens steht eine Theke, an der man sich einen Salat zusammenstellen lassen kann. Ganz hinten im Raum mache ich noch ein paar Tische und Stühle aus. Und ganz vorne, im Schaufenster, der Mini-Stand, an dem man auf den Geschmack Persiens kommen soll. Während die zwei Kundinnen vor mir ihr Essen erhalten, darf ich einen Löffel persischen Desserts probieren. Joa, kann, muss aber nicht. Ein „Versucherle” des persischen Lamb Stew lehne ich freundlich ab. Danke, kein Lamm für mich. Lämmer sind dazu da, um von Lisa in Bullerbü mit der Flasche aufgezogen zu werden und niedlich auszusehen und nicht um von mir gegessen zu werden. Für mich gibt es Auberginen mit Walnüssen, serviert auf Basmati mit zahlreichen toppings, wie man heute sagt. Leider gibt es kein tadik, die persische Reiskruste. Schade, das ist doch mit das Beste. Das Essen nehme ich to go, denn mittagessen will ich auf dem Union Square, in der Sonne, umgeben von Bäumen und Marktständen. Und genau so ein Plätzchen ist auch noch frei für mich. Ich setze mich und futtere los. Um mich herum hoppeln die Eichhörnchen und freuen sich offenbar auch ihres Lebens.
Am Tisch neben mir sitzen zwei junge Männer. Plötzlich fängt der eine an zu zucken und zu fuchteln. Epileptischer Anfall? Ah nein, eine Wespe. Da kommt ihm sein Kumpel mit einem Block zur Hilfe und versucht das Tier zu verscheuchen. Einmal holt er zu kräftig aus und haut zu schnell in Richtung Insekt: Bumm, es sinkt benommen zu Boden. Die beiden bemerken, wie ich sie beobachte und wohl etwas erschrocken schaue. Der Zuckende grinst entschuldigend und ruft: „Well, she started!” Ich muss laut loslachen. Der Zweite murmelt: „Oh God, I feel like a horrible killer now.” Ich grinse nochmal zurück und blicke mich um, wer mir an diesem Mittag im Park sonst noch Gesellschaft leistet. Links neben mir ein asiatisches Pärchen, das für sein (nicht-asiatisches!) take-away mitgebrachte Stäbchen aus dem Rucksack zieht. Ach, der Mensch ist ein Gewohnheitstier! Rechts, etwas weiter entfernt, lässt sich ein Paar mittleren Alters nieder, behängt mit Kamera und Reiseführer in der Hand. „Touristen!”, schießt es mir halb verächtlich, halb mitleidig durch den Kopf. Nun komme ich selber aus einer Touristenhochburg und bin deshalb nicht deren größter Freund. Jaja, ich weiß sie bringen das Geld in die Stadt. Ich sag ja schon gar nichts mehr. Aber auch sonst versuche ich stets. sowohl daheim als auch anderswo, den Eindruck zu vermeiden, selber Tourist zu sein, wobei ich vom Kauf des Shirts mit dem Aufdruck „I’m no Tourist, I live here” bisher abgesehen habe. Und jetzt sitze ich hier in New York. An der gleichen Stelle, an der ich vor nicht mal einem halben Jahr selber als Touristin saß, doch jetzt gehöre ich zur anderen Seite. Doch tue ich das wirklich? Ab wann ist man New Yorker? Bemisst sich das an der Zeit, die man hier gelebt hat? Am Tempo, mit dem man mit gesenktem Kopf durch die Straßen hetzt? An der Lautstärke, mit der man über die hohen Mieten schimpft? An dem Zeitpunkt, ab dem man seinen Backofen zum Aufbewahren von Kleidung und nicht zum Kochen benutzt? Ich bin mir nicht sicher. Im Moment bin ich wohl ein kleiner Hybrid. Eine Raupe im Kokon. Noch ein bisschen Tourist. Schon ein bisschen Einheimischer. Und wer weiß, vielleicht flattere ich demnächst als schöner New Yorker Schmetterling durch die streets und Avenues.
Jetzt aber, um im Bild zu bleiben, flattere ich erst einmal über den Markt. Die Reste meines Mittagsmahls packe ich ein, denn die Portion war (für mich) so groß, dass mein Abendessen so auch schon gesichert ist. Leider suche ich heute vergeblich nach dem Stand mit dem Eistee und auch cider donuts mit Zimt und Zucker (cider = (naturtrüber) Apfelsaft, alkoholfrei) gibt es heute leider nirgends zu kaufen. Wenigstens meine Lieblingsäpfel der Sorte „Honey Crisp“ (in Deutschland nur ganz selten erhältlich) sind im Angebot, wobei Angebot relativ ist: Eine einzige Frucht schlägt mit knapp einem Dollar zu Buche. Ich bin wirklich kein großer Apfelfreund – außer natürlich des Big Apples, haha! (Oh apropos Wortwitz: Gestern in der Schlange an der Kasse bei Buffalo Exchange steht vor mir ein Typ, der an diesem Tag wohl nicht nur Zigaretten geraucht hatte, ruhig da und sagt plötzlich aus dem Nichts: „I had a phone in jail. It was a cell phone!” Mein albernes Ich kreischt sich innerlich jetzt noch einen weg!) Wenn ich schon einen Apfel essen soll, dann möge man ihn mir bitte in Schnitzen servieren. Außerdem darf er keinesfalls mehlig sein, sondern muss fest und leicht säuerlich und saftig sein. Honey Crisps sind das in Perfektion. Da lasse ich mich dann auch gerne dazu herab, das Fruchtfleisch vom Kerngehäuse zu nagen. Insgesamt ist auf dem Platz die Anzahl der Stände heute nicht sehr groß, aber hier kommt es sowieso auf Qualität und nicht Quantität an. So kann es auch sein, dass auf einem Stand nur drei kleine Körbe mit irgendwelchen Produkten stehen.
Nachdem ich den letzten Stand passiert habe, laufe ich weiter zum südlichen Ende des square. Dort hat die Jüdische Gemeinde eine Succot-Hütte aufgestellt, um sich davor mit den Passanten über Jahwe und die Welt zu unterhalten. Mir steht gerade aber weniger nach theologischen Diskursen der Sinn, sondern ein anderes menschliches Bedürfnis meldet sich. Hier am Union Square geht man dafür am besten zu DSW (Designer Shoe Warehouse, einem sehr empfehlenswerten Schuh-Discounter). Rein in das große Gebäude, mit der Rolltreppe ein Stockwerk hoch, und dann bei den Damenhandtaschen, dort geht’s zum Bathroom, wo man sich auch mit warmem Wasser die vom Essen klebrigen Pfoten waschen kann!). Ach und wenn frau schon mal da ist, kann man ja gleich