Die Cousine aus Frankreich. Catherine St.John

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Die Cousine aus Frankreich - Catherine St.John

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von London sei das, hatte ihr Miss Carpenter einmal versichert. Immer mehr bereute sie, dass sie Miss Carpenter eigentlich nur dann aufmerksam zugehört hatte, wenn es um die englische Sprache ging, die ihr Spaß machte, aber nie bei allgemein kulturellen Belehrungen.

      Sie hatte auch nicht die blasseste Ahnung, wie viel achtzehn Louis d´or in englischem Geld wert waren und ob man damit überhaupt die Post nach London bezahlen konnte – aber das würde sich schon finden.

      Sie stellte fest, dass während dieser Überlegungen die Sonne das Ihrige getan und sie getrocknet hatte. So schlüpfte sie wieder in Strümpfe und Schuhe, nicht ohne sich erneut zu fragen, wie die Bauern nur in diesen Dingern gehen konnten, und suchte den Pfad, der Georges zufolge die Küste hinaufführen sollte. Er war, wie sie entdeckte, geradezu schwindelerregend steil; mit Holzpantinen würde sie jedenfalls niemals dort hinaufkommen, so viel stand fest. Also zog sie die Schuhe wieder aus und stopfte sie nach kurzem Überlegen in ihre Jackentaschen. Dort waren sie ihr zwar ziemlich im Weg, aber eine andere Möglichkeit fiel ihr nicht ein.

      So nahm sie die Klippen in Angriff, mit dem festen Vorsatz, nicht hinunterzublicken. Die Augen hartnäckig auf die Wand vor sich geheftet, tastete sie sich beinahe auf allen vieren von Stein zu Stein, hielt sich an Grasbüscheln fest und auch an Ginstersträuchern, die ihr die Hände blutig rissen, und war mehrere Male nahe daran, auszugleiten, wenn Steine unter ihren Füßen wegrutschten und zum Strand hinunterpolterten, doch sie konnte sich jedes Mal gerade noch festhalten. So arbeitete sie sich mühsam nach oben, mit dem Gefühl, dieser Abhang werde nie ein Ende nehmen, doch schließlich wurde das Gelände flacher und sie krabbelte mit letzter Kraft über den Rand der Steilküste, wo sie erschöpft liegen blieb. Als ihr Herz aufgehört hatte, wie rasend zu schlagen, und der Schmerz in ihren steifen, geröteten und blutverschmierten Händen etwas nachgelassen hatte, richtete sie sich auf und blickte sich neugierig um.

      Sie lag auf einer grünen Wiese, jenseits derer sie eine Straße erblickte; in einiger Entfernung war ein Dorf zu erkennen. Der wuchtige graue Kirchturm hob sich deutlich gegen den leuchtend blauen Septemberhimmel ab. Erstaunt stellte sie fest, wie hübsch es in England war. Sie hatte es sich irgendwie immer feucht, neblig und ungemütlich vorgestellt und war nun aufs höchste angenehm überrascht.

      Der Kirchturm brachte sie auf eine Idee: Wenn sie dorthin gelangte, konnte sie vielleicht den Priester um Hilfe bitten – doch nein, ihr fiel ein, dass die Engländer ja keine richtigen Christen waren; dunkel entsann sie sich einer Geschichte, die ihr Miss Carpenter einmal erzählt hatte, von einem englischen König, der von der Kirche abgefallen war, weil ihm der Papst nicht erlauben wollte, sechs Frauen zu haben – oder so ähnlich, sie hatte natürlich wieder einmal nicht aufgepasst.

      „Non scholae, sed vitae discimus“, zitierte sie reuig die letzten Reste eines halb vergessenen Lateinunterrichts. Diesen Satz hatte sie immer für besonders dumm gehalten, aber anscheinend hatte er doch etwas für sich. Zu spät.

      Sie strich den Pfarrer – oder wie immer man das hier nennen mochte – von ihrer Liste und kam auf ihr Phantasiebild einer dicken, gemütlichen und vor allem hilfsbereiten Wirtsfrau zurück. Sie erhob sich also mühsam, um diese Wirtsfrau – die es einfach geben musste! – aufzusuchen.

      III

      Der Gasthof Lamb and Crown war einer von der weniger feinen Sorte, wie Geneviève einigermaßen erleichtert feststellte, als sie schließlich, nach ermüdendem Fußmarsch, davorstand: Das ehemals weiß gekalkte Fachwerkhaus hatte einen neuen Anstrich dringend nötig und die Fensterscheiben waren schon länger nicht mehr geputzt worden. Die Stalltür war geschlossen, im Hof stand nur ein klappriges Gig, von lebhaftem Reiseverkehr war sonst nicht das Geringste zu spüren: Eine Poststation war das nun ganz gewiss nicht!

      Geneviève hörte, wie ihr Magen anzüglich knurrte, gab sich einen Ruck und trat ein. Niemand drehte sich nach ihr um (wie sie vorher befürchtet hatte), denn es war überhaupt keine Menschenseele anwesend: Der dämmerige Flur lag völlig verlassen vor ihr. Sie nestelte rasch zwei Geldstücke aus dem kleinen Lederbeutelchen und hatte dieses gerade wieder in ihren Ausschnitt zurückgestopft und die kostbaren Münzen in ihre Jackentasche gleiten lassen, als hinter ihr eine Stimme mit geschäftsmäßiger Freundlichkeit fragte: „Und was steht zu Diensten, junger Herr?“

      Sie fuhr herum und sah einen Mann in mittleren Jahren, mit hagerem, säuerlichem Gesicht vor sich, der offensichtlich den Wirt vorstellte und dessen professionell gastfreundliche Miene sich langsam in Gleichgültigkeit verwandelte, nachdem er Geneviève genauer betrachtet hatte. Sie wunderte sich ein wenig darüber – nicht über sein nunmehr mangelndes Interesse, sondern über den anfänglichen Diensteifer: Sie sah doch wohl auch von hinten nicht wie ein junger Herr aus, sondern nur wie ein ungeheuer schmutziger Bauernbursche?

      Der Wirt begab sich schon hinter die Theke und fragte mechanisch: „N´Bier?“

      „Nein“, antwortete Geneviève etwas ratlos, „ich - ich meine – ich möchte – haben Sie eine Frau?“

      Der Wirt schien verdutzt. „Eh-? Nein, ich habe keine Frau. Warum?“

      „Oh!“ Geneviève war ganz verwirrt. Was sollte sie jetzt tun? Sie hatte in ihre Pläne die dicke, freundliche Wirtsfrau so fest mit einbezogen, dass sie nicht weiter darüber hinaus gedacht hatte. Aber das Lamb and Crown war in diesem Ort der einzige Gasthof, der nächste Ort war kaum in der Ferne zu erkennen und ihr taten schon jetzt die Füße in den ungewohnten Holzschuhen weh. Man musste sich also mit dem behelfen, was vorhanden war. Sie beschloss, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen.

      „Nun, dann muss ich mich eben Ihnen anvertrauen. Oder gibt es hier vielleicht eine Dienstmagd oder sonst ein weibliches Wesen?“

      Er nickte. „Ja, die Mary, die was hier die Magd ist, aber die war heute Nacht bei ihrer Familie drüben in Hitchham und ist noch nicht wieder da, muss aber bald kommen. Was wollen Sie denn von ihr? Hören Sie mal, das ist hier ein anständiges Haus. Was Sie suchen, finden Sie wohl eher drüben in Chichester im Bordell, also verschwinden Sie!“

      „Im Bordell? Was ist das?“

      „Was-? Oh, na schön, also nicht. Was wollen sie denn dann von der Mary?“

      „Naja, also es ist so – ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll“, sie holte tief Luft und platzte dann heraus: „ich bin nämlich eigentlich ein Mädchen.“

      Der Wirt betrachtete sie fasziniert und zweifelte offensichtlich an ihrem Verstand, wie Geneviève sofort bemerkte.

      „Haben Sie keine Angst, ich bin bestimmt nicht verrückt. Ich komme aus Frankreich und hatte mich verkleidet, um unerkannt vor der Revolution zu fliehen; ich bin wirklich ein Mädchen.“

      „Ah ja -“, meinte der Wirt unentschlossen. „Aus Frankreich, ja?“ Offensichtlich gestand er diesen seltsamen Ausländern exzentrisches Benehmen zu; nichts in seinem Benehmen dagegen sprach dafür, dass zwischen Frankreich und England Krieg herrschte oder es aus irgendeinem anderen Grund verboten war, als Französin nach England zu reisen.

      Der Wirt bemühte sich, die Situation zu begreifen. „Und was wollen Sie dann von mir? Und was fragen Sie nach der Mary?“

      „Aber das ist doch ganz klar“, versetzte Geneviève nicht ohne eine Spur von Ungeduld, ihn so schwer von Begriff zu finden. „Ich dachte, hier könnte ich vielleicht Frauenkleider bekommen; so kann ich doch auf die Dauer nicht herumlaufen!“

      Die Antwort des Wirts war kurz und bündig: „Nein.“

      Geneviève war in höchstem Maße enttäuscht. „Sie haben gar nichts? Nicht

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