Die Cousine aus Frankreich. Catherine St.John

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Die Cousine aus Frankreich - Catherine St.John

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da könnte ja jeder daherkommen und uns Kleider abschwatzen. Ich habe gar nichts – und Mary braucht ihre paar Klamotten schließlich selber. Wollen Sie einer armen Dienstmagd – nicht dass ich sie schlecht bezahlen täte! – auch noch die Kleider abschwatzen?“

      Jetzt verstand Geneviève erst den Grund seiner ablehnenden Haltung; ihr Gesicht hellte sich schlagartig auf und sie unterbrach den schimpfenden Herrn: „Aber Sie haben mich ja ganz und gar missverstanden, Monsieur! Ich will doch natürlich nichts geschenkt haben, ich wollte doch nur fragen, ob Sie mir vielleicht ein altes Kleid verkaufen könnten!“

      Der eine Louis d`or, den sie zur Bekräftigung ihrer Absicht hochhielt, zauberte sofort ein breites Lächeln auf die schmalen Lippen des Wirts; er taute zunehmend auf: „Ei gewiss! Nun, darüber lässt sich schon reden. Was täten Sie denn so brauchen?“

      Geneviève überlegte. „Also, auf jeden Fall ein Kleid – wenn es geht, einigermaßen sauber“, fügte sie mit einem misstrauischen Rundblick hinzu. „Dann vielleicht ein Paar Schuhe – wenn Sie bessere haben als diese Holzdinger hier. Strümpfe und alles andere habe ich schon. Ja, und dann etwas zu essen und zu trinken. Für alles zusammen gebe ich Ihnen dieses Goldstück.“

      „Ja, das täte schon gehen“, meinte der Wirt, den die Aussicht auf ein ganzes Goldstück zu erstaunlicher Lebhaftigkeit animierte.

      „Sie müssten halt nur warten, bis die Mary wiederkommt – ich kann ihr ja nicht einfach ihre Kleider wegverkaufen. Aber sie hat gesagt, um eins ist sie wieder da, und jetzt ist es schon bald zwölfe. Setzen Sie sich halt in die Gaststube, dann bringe ich Ihnen ein Frühstück.“

      Geneviève wandte sich erleichtert der Tür zur Gaststube zu – die ganze Unterhaltung hatte im Flur stattgefunden, der, wie die Theke verriet, auch als Ausschank diente –, als der Wirt noch einen Einwand fand: „Moment mal – Sie kommen aus Frankreich, haben Sie gesagt? Was ist jetzt das dann für ein Goldstück – ein französisches?“

      „Ja, natürlich“, antwortete Geneviève und reichte es ihm überrascht. Er betrachtete sorgenvoll die Münze in seiner Hand. „So – und woher soll ich wissen, was so ein Ding wert ist – ob es überhaupt was wert ist? Ein paar ehrliche Shillinge wären mir schon lieber.“

      „Natürlich ist es was wert!“ Geneviève war empört. „Beißen Sie doch drauf, wenn Sie mir nicht glauben! Es ist echtes Gold, und in Frankreich kann eine Familie einen Monat lang davon leben!“

      Sie hatte nicht die blasseste Ahnung, ob das der Wahrheit entsprach – aber der Wirt auch nicht, da war sie ganz sicher. Schließlich sah sein Gasthof nicht so aus, als stiegen hier jemals vornehme Ausländer ab. Wirklich entspannten sich seine Züge und er brummte: „Naja, schon gut. Regen Sie sich nur nicht auf. Ich mach Ihnen dann mal ein Frühstück.“ Er hielt inne und betrachtete sie zweifelnd. „Wollen Sie sich vorher vielleicht etwas – naja – frisch machen?“

      „Ich habe es wohl nötig?“, fragte Geneviève kleinlaut.

      Er grinste unwillkürlich, was seinem säuerlichen Gesicht einen überraschend angenehmen Zug verlieh. „Ziemlich. Die Treppe hinauf, erste Tür links. Warten Sie, ich bringe Ihnen Wasser und ein Handtuch.“

      Er eilte davon, und Geneviève fragte sich verwundert, was diese plötzliche Freundlichkeit nun wieder zu bedeuten hatte. Wahrscheinlich hielt er nach ihrer Behauptung den Louis d´or für viel wertvoller als er war. Sie dachte noch darüber nach, während sie die Treppe hinaufstieg. In Frankreich hatte sie natürlich nie selbst etwas eingekauft; das meiste wurde im Haus hergestellt und zu Besorgungen schickte man die Diener, also vor allem Jean-Baptiste; so hatte sie selbst keine Ahnung von der Kaufkraft eines Louis d´or.

      Wenn sie doch nur Jean-Baptiste fragen könnte! Wahrscheinlich hatte sie dem Wirt viel zu viel gegeben – oder er glaubte es wenigstens; anders war sein plötzlicher Eifer nicht zu erklären.

      In dem angegebenen Schlafzimmer entdeckte sie einen Krug heißen Wassers, in der Schüssel stehend, ein raues Handtuch, etwas Seife und einen alten Kamm, der sogar einigermaßen sauber aussah.

      Sie starrte entsetzt in den fleckigen Spiegel: Allmächtiger, wie sah sie bloß aus! Die kurzen dunklen Locken verklebt und schmierig, das Gesicht immer noch gerötet und mit einer dicken Staubschicht bedeckt, die sie auch nicht gerade verschönte. An der Nase schälte sich obendrein die Haut ab. Wahrhaftig, es war ein Wunder, dass der Wirt sie nicht sofort hinausgeworfen hatte!

      Sie zog die Jacke aus, goss Wasser in die Schüssel und machte sich an eine gründliche Reinigung, ja, sie versuchte sogar, sich mit diesen unzulänglichen Mitteln die Haare zu waschen.

      Das raue Handtuch ließ ihre misshandelte Haut noch mehr brennen, aber immerhin war sie nun wieder einigermaßen sauber. Sie betrachtete gedankenvoll die schwarzbraune Brühe in der Schüssel – dass man in einer einzigen Nacht so viel Schmutz auf sich versammeln konnte? Aber offensichtlich war auch ein Teil der braunen Farbe wieder aus ihrem Haar herausgewaschen worden – diese Annahme erhärtete sich zur Gewissheit, als sie kleinlaut das völlig verdorbene Handtuch betrachtete, das sicher nie wieder sauber werden würde.

      Erstaunlicherweise war sie gar nicht müde, obwohl sie die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte – ihre großen, haselnussbraunen Augen blickten klar und vergnügt. Sie band ihr Haar im Nacken wieder zusammen und war mit sich und der Welt in diesem Moment recht zufrieden. Schwungvoll hüpfte sie die Treppe hinab, um zu ihrem dringend benötigten Frühstück zu gelangen.

      Doch als sie die Tür zur Gaststube öffnete, hielt sie erschrocken auf der Schwelle inne: Ein fremder Mann saß an dem Tisch neben dem, auf dem Tee, Brot und Käse einen höchst erfreulichen Anblick boten.

      Der Gentleman – ein solcher schien er der Kleidung nach zu sein – war aber offensichtlich an Essbarem nicht interessiert, sondern starrte trübe in seinen Deckelkrug.

      Er war wunderschön gekleidet, wenn auch vielleicht nicht ganz passend für einen ländlichen Gasthof und auch nicht für einen gewöhnlichen Montagvormittag; er sah eher aus, als wolle er gleich zu einer festlichen Abendgesellschaft aufbrechen, aber davon abgesehen waren seine prächtigen Gewänder ziemlich ramponiert.

      Sein ungepudertes dunkles Haar war im Nacken zusammengebunden, aber einige Strähnen hatten sich gelöst und hingen ihm in das hübsche, wenn auch nicht gerade blühend zu nennende Gesicht; er trug eine elegante Jacke aus steifem silbergrauen Brokat, die leider durch einen Rotweinfleck verunziert wurde, darunter eine reich bestickte Weste in zartem Rosa; die schwarzen Kniehosen waren ebenso aus Seide wie die weißen Strümpfe; reiches Spitzengeriesel an Kragen und Handgelenken vervollständigte das Bild eines in dieser Gaststube völlig deplatziert wirkenden Gentleman von etwa fünfundzwanzig Jahren.

      Geneviève murmelte „Guten Morgen, M´sieur“, und hoffte, er würde sie nicht ansprechen. Sie hatte keine Lust, ihrer Tante mehr Peinlichkeiten zu bereiten als unbedingt nötig, und es stand fest, dass es sehr peinlich werden würde, wenn ein Mitglied der feinen Gesellschaft sie in Männerkleidung, alleine und in einer mehr als obskuren Wirtsstube antraf und das womöglich in London herumtratschte. Jedenfalls wäre das in Frankreich so unmöglich gewesen, dass sie sich nicht vorstellen konnte, man würde in England über derlei hinwegsehen.

      Sie glitt auf ihren Platz, schenkte sich Tee ein und begann mit herzhaftem Appetit, ihr Frühstück zu verzehren.

      Der erstaunliche Herr am Nebentisch befasste sich weiterhin mit seinem Deckelkrug, mit dessen Inhalt er offensichtlich seine nach einer durchzechten Nacht arg darniederliegenden Lebensgeister zu erfrischen hoffte. Der Ehrenwerte Thomas Darley hatte nämlich die vergangene Nacht bei einem in der Nähe

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