Die Cousine aus Frankreich. Catherine St.John
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Erstaunt sah sie ihn an. „Mit der Postkutsche natürlich – die gibt es hier doch auch?“
„Klar gibt es hier Postkutschen – aber das können Sie glatt vergessen.“
„Wie bitte?“ Was sollte das denn jetzt wieder heißen?
„Sie können auf keinen Fall mit der Postkutsche reisen. Ihre Verkleidung mag ja für irgendwelche halbblinden Straßenposten in der Nacht ganz glaubwürdig gewesen sein, aber bei Tage nimmt Ihnen das keiner mehr ab. Und als Mädchen können Sie nicht alleine reisen – jedenfalls nicht, wenn Sie nachher noch in der guten Gesellschaft verkehren wollen. Wenn Sie nun jemand sieht!“
Das gab Geneviève zu denken. „Aber wie soll ich denn dann nach London kommen?“
Mr. Darleys Kater hatte sich offensichtlich verflüchtigt. Im selben Maße, wie seine Sprechweise wieder zu ganzen Sätzen zurückkehrte, begann auch sein Verstand zunehmend besser zu arbeiten. Er riet ihr also: „Einwandfrei wäre es, wenn Sie hierbleiben und Ihrer Tante einen Brief schreiben, sie möge Sie hier abholen. Das dürfte allerdings einige Tage dauern.“
„Nein, das will ich nicht. Hier gefällt es mir nicht und ich mag nicht alleine hierbleiben.“ Sie wurde sehr entschlossen. „Außerdem hält meine Tante einen Brief vielleicht für Schwindel und kommt gar nicht. Kann ich nicht nachts mit der Post fahren?“
„Natürlich – wenn Sie gerne Bekanntschaft mit Straßenräubern schließen wollen…“
„Um Gottes willen!“
„Eben.“ In seinem Gesicht arbeitete es; allerdings war die nun folgende Idee nicht unbedingt als Glanzleistung seines wieder funktionierenden Verstandes zu bezeichnen: „Hören Sie – ich nehme Sie mit nach London! Das schickt sich zwar auch nicht, aber sie müssen eben weiterhin das Bürschlein spielen.“
Geneviève verstand ihn nicht. „Ich dachte, die Verkleidung sei nicht gut genug? Das haben Sie doch gerade erst selbst gesagt? Wie kann ich dann mit ihnen in dieser Verkleidung reisen?“
„Ja, für die Postkutsche reicht Ihre Kostümierung wirklich nicht aus. Sie müssen bedenken, die anderen Passagiere sehen Sie von Nahem, der Kutscher, die Leute in den Stationen – das geht wirklich nicht. Wenn Sie aber mit mir fahren, kommt Ihnen keiner zu nahe, es fällt also nicht auf – wenn wir nicht durch irgendeinen teuflischen Zufall einen Bekannten treffen“, fügte er düster hinzu.
„Ja, aber auch Sie müssen doch die Pferde wechseln? Wie weit ist es überhaupt von hier nach London? Ich weiß gar nicht, wo wir hier eigentlich sind.“
„Wir sind in der Nähe von Portsmouth und Chichester, wenn Ihnen das etwas sagt. Nach London sind es gute achtzig Meilen, das schaffen wir leicht in acht Stunden, vielleicht auch weniger. Um die Pferde machen Sie sich nur keine Sorgen, es sind prächtige Renner und so ausgeruht, wie man es sich nur wünschen kann. Die brauchen wir vielleicht nur einmal zu wechseln – und dabei wird uns schon keiner sehen.“
Er erwärmte sich zusehends für seinen Plan, im Gegensatz zu Geneviève, die noch mancherlei Einwände hatte und diese auch vorbrachte.
„Ihr Kutscher wird sich aber sehr wundern“, meinte sie zunächst voller Zweifel. „Sicher hält er mich für ein lockeres Frauenzimmer und erzählt dann alles weiter.“
Er lachte herzlich: „Ja, glauben Sie denn, ich reise in einer stickigen, spießigen Kutsche? Bin ich mein Großvater? Ich fahre natürlich eine Karriole – vierspännig, versteht sich; das einzig Wahre.“
„Natürlich“, murmelte Geneviève, die nicht genau verstanden hatte, wovon er sprach. „Ist das ein offener Wagen?“
„Gewiss“, antwortete er erstaunt. „Gibt es das in Frankreich nicht?“
„Ich weiß es nicht; wir hatten jedenfalls keine – wie sagten Sie? – keine Karriole, nur eine alte Kutsche (ganz feudal, mit Wappen auf dem Schlag) und einen Leiterwagen.“
„Na, auf jeden Fall hat man bei einer Karriole keinen Kutscher, sondern fährt selbst. Man kann natürlich einen Groom mitnehmen, das ist sogar sehr de rigeur, aber ich habe ihn dieses Mal zu Hause gelassen.“
Geneviève war immer noch nicht überzeugt. „Ist das denn nicht schrecklich ungehörig?“
„Klar“, entgegnete er vergnügt, „aber wissen Sie etwas Besseres? Wenn wir bald aufbrechen, können Sie zum Dinner bei Ihrer Tante sein – lockt Sie das gar nicht?“
„Doch“, gestand Geneviève. „Gut, ich werde mit dem Wirt reden.“
Sie erhob sich und suchte den erwähnten Herrn auf, um ihm mitzuteilen, sie wolle nicht mehr auf Mary und deren Gewänder warten; der Herr aus der Wirtsstube werde sie nach London mitnehmen. Der Wirt wunderte sich zwar im Stillen über diese völlige Änderung ihrer Pläne, stellte aber keine Fragen. Schließlich hatte er einen ganzen Louis d´or für ein lumpiges Frühstück kassiert – und was ging es ihn an, wenn diese exzentrischen Ausländer keinen Sinn für Schicklichkeit hatten? Schließlich sah man ja an dieser gottlosen Revolution (der Wirt war durchaus ein gebildeter Mann und las gelegentlich eine Zeitung), was für ein Volk diese Franzosen waren.
Geneviève fand Mr. Darley im Hof, wo er den Stallburschen beim Anspannen von vier prächtigen und äußerst lebhaften Füchsen beaufsichtigte.
„Hübsche Tiere, nicht wahr?“, wandte er sich zu Geneviève um, als sie an ihn herantrat. „Haben mich auch eine ordentliche Stange Geld gekostet. Mein alter Herr hat ganz schön getobt, aber dann hat er eingesehen, dass es ein guter Kauf war.“
„Sie sind wirklich herrlich“, stimmte Geneviève begeistert zu und gestand ihm, dass sie daheim in Frankreich auch Kutschieren gelernt habe. „Aber nie mit so wunderbaren Pferden, nur mit lahmen Kleppern, und auch nur einspännig. Jean-Baptiste hat es mir heimlich beigebracht – Papa hätte es bestimmt verboten, wenn er davon gewusst hätte.“
„Ihr Vater ist wohl sehr streng?“, erkundigte er sich mitfühlend.
Sie nickte, verbesserte aber: „War. Er ist vor einem Monat gestorben.“
„Oh - das tut mir leid.“ Um das traurige Thema zu verlassen, reichte er ihr einem Kutschiermantel und hüllte sich selbst auch in einen erstaunlich schlichten Umhang mit nur drei Schulterkragen, wobei er mit schiefem Grinsen feststellte: „In der Pracht kann ich mich hier nicht länger zeigen, sonst laufen uns noch alle Kinder und Hunde nach. Weiß gar nicht, was ich mir gestern dabei gedacht habe.“
Geneviève, der nun erst einfiel, dass sie Umhang und Kappe von Jean-Baptiste auf Georges´ Kutter vergessen hatte, pflichtete ihm bei: „Dieser Brokat scheint wirklich für ländliche Gegenden nicht ganz das Richtige zu sein. Sie sehen eher aus, als seien Sie bei Hofe eingeladen.“ Sie wickelte sich in den Mantel und fragte: „Irgendeinen Hut haben Sie wohl nicht? Damit könnte ich mein Gesicht gut verstecken.“
Er bedauerte. „Wäre aber eine teuflisch gute Idee.“
Er half ihr auf den Kutschbock, schwang sich