I Ging. Andrea Seidl

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I Ging - Andrea Seidl

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Bei näherem Betrachten entdecken wir ja, dass es offenbar viele sehr persönliche und wandelbare „Wirklichkeiten“ gibt: meine ist anders als deine, die von heute ist anders als die von gestern, die hier ist anders als die dort... Was wir normalerweise für Wirklichkeit halten, entsteht durch Geschichten – Geschichten, die uns erzählt wurden, Geschichten, die wir selbst erzählen, Geschichten über uns und die Welt, die wir von allen Seiten zurückgespiegelt bekommen. Im Grunde kommt unsere Wirklichkeit also durch Projektionen zustande. Wir sehen, was wir schon zu glauben wissen und versuchen, diese Konstruktion dann durch Rationalisierungen zu beweisen. Doch so leben wir an dem, was wirklich ist, vorbei.

      Wir müssen lernen, Vorstellung und Wirklichkeit zu unterscheiden. Je mehr wir unsere Bilder von der Welt in Frage stellen, umso mehr wird sich die Fata Morgana auflösen, die wir für die Realität gehalten haben – um Platz zu machen, für das, was einer Überprüfung standhält.

      Auf der tiefsten Ebene hat unsere Wirklichkeit eine mystische Dimension. Wir wissen nicht wirklich, wer und was wir sind. Die beschränkte Kapazität unseres Denkens kann die Größe unserer Existenz nicht fassen. Wir sind etwas anderes und viel mehr als man uns gelehrt hat. Doch was, können wir nur selbst herausfinden...

      Wenn die Welt, die wir wahrnehmen, unsere eigene Konstruktion ist, was ja auch von den modernen Neurowissenschaften bestätigt wird, dann sagt sie mehr über uns selbst als wahrnehmendes Subjekt aus, als über das Objekt unserer Betrachtung. Der Quantenphysiker Werner Heisenberg schlachtete schon vor fast einem Jahrhundert die heilige Kuh der traditionellen Naturwissenschaften, indem er auf der Quantenebene feststellte, dass objektive Beobachtung unmöglich ist, weil jede Beobachtung das Beobachtete schon verändert. Möglicherweise gibt es gar keine objektive Welt, nur die Welt unserer subjektiven Erfahrungen, in der sich all unsere verborgenen Motive und Überzeugungen spiegeln. Die Spiegelfunktion der Welt enthüllt uns auch, dass es im Grunde gar kein Ego gibt, dass das Ich die fundamentalste aller Illusionen ist – und auch da stimmt die Hirnforschung zu. Das soll nicht heißen, dass wir uns nur einbilden würden, da zu sein, sondern es heißt, dass wir nicht als individuelle Persönlichkeit, nicht getrennt von unserer Welt und den anderen Menschen existieren, dass wir gewissermaßen auch sie sind… Und da schließt sich der Kreis zwischen neuester Forschung und alter spiritueller Weisheit. Die indische Philosophie hat das ganz schlicht zusammengefasst: Tat twam asi oder: Ich bin du.

      Das Ego

      Über das Ego wird im spirituellen Kontext viel geredet, und auch in diesem Buch spielt es eine große Rolle. Allerdings bleibt dieser Begriff oft unscharf und verwirrend. Deshalb möchte ich kurz definieren, was ich mit Ego meine.

      Das Ego ist unsere falsche Vorstellung von Trennung und Besonderheit. Solange wir unbewusst fest daran glauben, dass wir ein vereinzeltes Wesen sind, fühlen wir uns abgetrennt und verlassen, ausgesetzt in einer feindlichen Welt. Diese Isolation erzeugt quälende Angst und damit Leiden, Konflikte und Kampf. In unserem Inneren klafft ein Abgrund, den wir gut vor uns selbst zu verbergen wissen. Wir kompensieren unser geheimes Grauen mit dem schmeichelhaften Mythos, dass wir etwas ganz Besonderes und Individuelles seien: schon als menschliche Gattung wollen wir ja die „Krone der Schöpfung“ verkörpern und auch unter Unseresgleichen versuchen wir herauszuragen – als müssten wir unsere Daseinsberechtigung erst beweisen. Wenn wir nämlich nichts „Besonderes“ vorweisen können, droht uns das Ego rasch damit, dass wir „nichts“ seien, wertlos, nichtig. Daraus entsteht ein endloser aufreibender Wettlauf und Überlebenskampf mit den anderen, die wir als Konkurrenten wahrnehmen: Wir müssen uns anstrengen, um „jemand“ zu sein, wir zweifeln, ob wir „gut genug“ sind, wir müssen nach „oben“ – egal, ob wir da oben Geld, Intellekt, Karriere oder Gott hinprojizieren. Um unser gähnendes Selbstwertloch nicht anschauen zu müssen, entwickeln wir unechte Selbstbilder. Wir klammern alles Mögliche aus unserer Persönlichkeit aus, was wir gelernt haben, als wertlos zu betrachten. Zugleich identifizieren wir uns mit Eigenschaften, die allgemein als wünschenswert gelten: Wir legen uns also eine Maske zu, ein falsches Selbst.

      Diese archetypische Dynamik hat C.G. Jung als das untrennbare Paar von Persönlichkeit (Persona) und Schatten beschrieben. Sie gehört zwangsläufig zu unserer Sozialisation, wir können ihr nicht entgehen, doch wir dürfen auch nicht dort stehen bleiben. Solange wir uns nur mit einem Bruchteil von dem identifizieren, was wir sind, werden wir niemals sicheren Boden unter den Füßen spüren. Das Leben wird irreal und anstrengend, weil wir unser künstliches Selbstbild ständig kontrollieren müssen. Und wenn wir einmal locker lassen, müssen wir schon befürchten, dass die verdrängten Schattenanteile wieder nach oben drängen und wer weiß was anstellen.

      Unsicher und ängstlich wie es ist, braucht unser falsches Selbst äußere Anerkennung, um sich zu stabilisieren - und davon gibt es immer zu wenig. Da es in einem ewigen Mangelgefühl lebt, will es immer mehr, mehr, mehr...

      Wenn wir im Ego sind, denken wir in Gegensätzen und vergleichen ständig: richtig-falsch, gut-böse, schön-hässlich. Nach Möglichkeit wollen wir besser abschneiden als andere, was aber oft misslingt. Und selbst wenn es glückt, stellt sich die ersehnte innere Sicherheit nicht ein. Das Ego sieht sich selbst immer als Opfer, und es meint, permanent kämpfen zu müssen. Doch alle Lösungsvorschläge, die es uns macht, alle Geschichten, die es uns über die Welt erzählt, führen immer tiefer in die Angst. Sie müssen scheitern, da der Fehler an der Wurzel sitzt, in der Weltdeutung des Ego, im grundlegenden Programm der Getrenntheit.

      Das kollektive Ego

      Das Ego hat zwei Erscheinungsformen: eine auf der individuellen Ebene, eine andere macht sich im Kontakt mit der Umwelt bemerkbar. Hier summiert sich die Gesamtheit der Illusionen über das Wesen des Kosmos in einem Konzept, das Moog und Anthony als „kollektives Ego“ bezeichnen. Dazu gehören die Mythen der Welt, die sozialen Grundstrukturen und die dualistische Struktur von Denken und Sprache. Sie alle sorgen für eine Deutung des Universums, die von der Wirklichkeit wegführt. Dieses geistige Konstrukt schlägt sich nieder in politischen und religiösen Ideologien, aber auch im Normalitätsbegriff der Psychiatrie oder in der naturwissenschaftlichen Welterklärung.

      Im Grunde ist das kollektive Ego ein „Super-Ego“, und es weist tatsächlich auch viele Parallelen zum freudschen Über-Ich auf. Es ist der Wahrheitsanspruch, das Paradigma einer Gesellschaft, das von jedem individuell erfahren wird und für jeden ein anderes Gesicht hat. Das kollektive Ego ist jene Autorität, die hinter einem „Das tut man nicht“ oder „Das weiß doch jeder“ steht. Es ist die Macht der Mehrheit, der Herdentrieb, ein geistiger Virus, der uns suggeriert: Hier bist du sicher; wenn alle so denken, dann muss es stimmen!

      Solange wir uns in seine Regeln fügen, bedenkt uns das Kollektiv mit Streicheleinheiten und Belohnungen in Form öffentlicher Anerkennung. Viele von uns werden geradezu süchtig nach dieser Bestätigung, die wie alle Drogen keine echte Befriedigung schenkt, sondern nach immer mehr verlangt. Sollten wir es aber wagen, aus der Reihe zu tanzen, droht uns das kollektive Ego mit Sanktionen: sein Repertoire reicht von subtilen Vorwürfen, die sich in Form von quälenden Schuldgefühlen beim „Dissidenten“ niederschlagen, bis hin zur effektiven Ausstoßung aus der Gemeinschaft.

      Allerdings dürfen wir nicht den Fehler machen, das kollektive Ego als von uns unabhängige, „böse“ Kraft oder Energie zu sehen. In letzter Konsequenz ist es wie das individuelle Ego auch ein substanzloses Konstrukt ohne kosmische Wirklichkeit, das nur davon lebt, dass wir daran glauben und ihm dadurch Macht verleihen.

      Programmierung

      Anfang der 2000er Jahre lief in den Kinos ein verstörender Film: „Matrix“, der das grausige Szenario einer vollkommen versklavten Menschheit entwirft, in deren Gehirnen eine Pseudorealität erzeugt wird, die alle für wahr halten, bis dann einer, Neo, die Lüge durchschaut und aus dem Programm aussteigt. Der Film wäre wohl nicht so fesselnd, wenn wir nicht spüren würden, dass er eine zentrale Wahrheit anspricht:

      Wir

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