I Ging. Andrea Seidl

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I Ging - Andrea Seidl

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orakelhafte Qualität. Der Vorteil ausgefeilter Instrumente wie des Tarot oder I Ging liegt darin, dass sie uns einen differenzierten Deutungsschlüssel zur Verfügung stellen. Sie lassen uns Entwicklungen schon im Keim erkennen und geben uns damit die Chance, uns darauf einzustellen. Sie zeigen uns, wo wir in Gefahr sind, aus der natürlichen Ordnung des Tao herauszufallen, und auf welche Weise wir wieder auf den „rechten Weg“ zurückkehren können.

      Der Befragungskontext

      Wenn wir das I Ging befragen, überlassen wir uns ganz bewusst dem Zufall. Wir schalten uns dabei gewissermaßen in den Fluss der Zeit ein und erhalten im Antworthexagramm ein qualitatives Zeitzeichen, das die Bedeutung des Augenblicks erhellt. Diese bewusste Begegnung mit dem Zu-Fall wird zum Beginn eines sinnvollen Dialogs mit den übergeordneten Kräften, die unser Leben lenken.

      Es hat also nichts mit Wahrsagerei zu tun, wenn wir das I Ging befragen. Das Orakel zeigt einfach den Zusammenhang der Gegenwart mit einer möglichen Zukunft auf, die aber nicht vorherbestimmt ist. Die Zukunft ist wie eine Wolke von Möglichkeiten, aus der wir durch die Fokussierung unseres Geistes bestimmte Alternativen in die manifeste Wirklichkeit hineinziehen. Das I Ging lässt uns einen Blick auf die noch unsichtbaren Keime werfen, die wir schon angezogen haben und die sich angenehm oder unangenehm auswachsen werden, wenn wir den eingeschlagenen Weg beibehalten. Damit erhalten wir eine Orientierungshilfe bei unseren Fragen. Das Wissen um Sinn und Qualität des aktuellen Moments macht es uns leichter zu entscheiden, ob wir jetzt aktiv eingreifen sollen, ob wir auf unserem Standpunkt beharren sollen (Yang) oder ob es vielmehr darum geht, nachzugeben, abzuwarten und loszulassen (Yin).

      Im Allgemeinen wenden wir uns an ein Orakel, wenn wir mit unserem Verstandeslatein am Ende sind und feststellen müssen, dass wir in einer Sackgasse stecken. Im Allgemeinen fühlen wir uns dann aufgewühlt, verwirrt und überfordert, Bewusstes und Unbewusstes gehen getrennte Wege. In solchen chaotischen Lebenslagen ist das irrationale I Ging das Mittel der Wahl. Das Orakel beseitigt das Durcheinander zwar nicht, doch es transzendiert es und offenbart uns damit eine neue Ebene der Einsicht. Es kann uns wieder mit uns selbst verbinden, indem es uns an einen Nullpunkt zurückführt, wo alles offen ist. Nachdem unser Kopf mit seinen Lösungsversuchen nicht weit gekommen ist, vertrauen wir uns jetzt dem Zufall an - ein Manöver, das die Kontrollwünsche unseres Ego konstruktiv ad absurdum führt.

      Die richtige Haltung

      Wer zum I Ging greift, sollte ernsthaft und konzentriert sein. Nur dann besteht die Chance auf eine klare Kommunikation mit der dahinter stehenden Intelligenz. Vermutlich werden auch Sie das I Ging mit der Zeit automatisch immer mehr wie ein reales Gegenüber behandeln, wie einen wertvollen Freund, dem man mit großem Respekt begegnet. Am besten können Sie von dieser Begegnung profitieren, wenn Sie sich ausreichend Zeit nehmen, emotional ganz bei Ihrer Frage sind und Ihren unruhigen „Affengeist“ halbwegs zum Schweigen bringen. Nur wenn wir offen und aufnahmebereit sind - welche Antwort da auch kommen mag – sind wir auch fähig, den Sinn der Lage zu erfassen.

      Es kommt immer wieder vor, dass das I Ging seinem eigentlichen, spirituellen Zweck entfremdet wird: Manchen Menschen fehlt der notwendige Respekt, sie fragen nur, um sich die Zeit zu vertreiben oder die innere Leere zu füllen. Andere suchen nach Wissen, um damit ihre Mitmenschen zu kontrollieren. Manche meinen, sie könnten das I Ging instrumentalisieren, um den Launen ihres Ego zu dienen – möglicherweise versuchen sie sogar, es wie ein Zirkuspferd vorzuführen. Und andere stellen verbohrt immer wieder dieselbe Frage, weil sie die schon erhaltene Antwort nicht akzeptieren wollen. Ein solcher Mangel an Achtung und Vertrauen führt dazu, dass die Verbindung zur kosmischen Intelligenz abreißt und das Orakel sich verweigert. In diesem Fall erhalten wir plötzlich sinnlose und verwirrende Botschaften. Das I Ging kennt diese Problematik sehr genau, denn im Hexagramm 4, „Die Jugendtorheit“ geht es exakt darum. Da heißt es im Urtext:

      Beim ersten Orakel gebe ich Auskunft.

      Fragt er zwei-, dreimal, so ist das Belästigung.

      Wenn er belästigt, so gebe ich keine Auskunft.

      All das gibt uns die beruhigende Botschaft, dass das I Ging im Grunde nicht missbraucht werden kann. Sobald wir dazu neigen, uns in irgendeiner Weise davon abhängig zu machen und unsere Eigenverantwortung zu verleugnen, entzieht es sich unserem Zugriff und wirft uns ungemütlich auf uns selbst zurück. Der kosmische Lehrer, der durch das Orakel spricht, ist unbestechlich und absolut vertrauenswürdig. Er führt uns, verführt uns aber niemals. Wenn in der Kommunikation etwas misslingt, liegt es an der Einmischung unseres Ego, das die Bedeutung der Antworten verzerrt.

      Das beste Werkzeug wird in den falschen Händen zur zerstörerischen Axt

      Es kommt immer heraus, was wir hinein geben!

      Die Orakel-Antwort

      Die Antworten des I Ging zeigen uns häufig eine neue, überraschende Perspektive unserer Probleme, die auch Aspekte ins Blickfeld rückt, die zuvor für uns unsichtbar waren. Sie spiegeln uns ein Bild zurück, wie wir uns bisher nicht gesehen haben. Das ist eine Herausforderung für unser eingefahrenes Selbstbild, unser Ego. Wenn wir die neuartige Sichtweise anerkennen können, bringt sie uns gehörig zum Nachdenken, zum Umdenken. Auf diese Weise werden ganz allmählich unsere Schattenseiten ans Licht geholt und integriert, während unsere starre Identifikation mit dem, wofür wir uns halten, mit der Zeit immer flüssiger wird. Wir erhalten eine sinnvolle Orientierungshilfe, die immer im Kontakt mit unserer inneren Wahrheit bleibt.

      Dennoch kommt es hin und wieder vor, dass eine Antwort unverständlich bleibt, so sehr wir uns auch bemühen. Das kann mehrere Ursachen haben. Oftmals geht es ganz einfach darum, dass die konkrete Frage nicht den Kern des Problems betraf, sondern eine dahinter stehende und energetisch höher aufgeladene Frage. Das I Ging antwortet ja nicht auf den Wortlaut unserer Frage, es antwortet auf uns, auf den Geist, der diese Frage hervorgebracht hat.

      Bestehen allerdings hartnäckige Verständnisprobleme, haben wir es wohl mit einem blinden Fleck auf unserem Seelenspiegel zu tun. An dieser Stelle neigen wir dazu, uns etwas vorzumachen oder uns hinter Vorurteilen zu verschanzen, so dass wir buchstäblich blind werden für die Realität.

      Niemals aber gibt uns das Orakel Antworten, die uns fremd sind und nichts mit uns zu tun haben. Das I Ging drängt uns nichts von außen auf. Es ist eher, als würde es tief in unser Herz hinein schauen und unseren innersten Wesenskern entscheiden lassen.

      Deutung

      Das I Ging äußert sich in Form von Hexagrammen, die eine symbolische Sprache sprechen. Symbole sind immer vieldeutig, weshalb eingefleischte Rationalisten ihre Probleme damit haben. Sie wenden sich an unser intuitives, ganzheitliches Verständnis, das in der rechten Hirnhälfte beheimatet ist. Die Bilder und Metaphern des I Ging dienen dazu, uns auf unsere Intuition einzustimmen und auf diese Weise die Enge unseres logischen Denkens und unserer Voreingenommenheiten zu überschreiten. Wir müssen lernen, das, was wir spüren, von dem zu unterscheiden, was wir denken. Unser Verstand ist leider weitgehend von der Weltsicht des Ego indoktriniert. Er versteht es, sich die Dinge raffiniert so hinzubiegen, wie wir sie aufgrund irgendwelcher Überzeugungen sehen möchten. Er ignoriert das eine und überzeichnet das andere, so dass wir zu einer völlig verzerrten Ansicht kommen, die uns aber absolut vernünftig erscheint. Hier müssen wir akzeptieren, dass der Sinn der Antwort nicht nur durch Informationen an unseren Verstand übermittelt wird, sondern dass wir diesen Sinn auch erfahren, ja dass er uns offenbart wird.

      Deshalb brauchen wir Geduld, wenn wir eine Antwort verstehen wollen. Wir müssen die Bilder wirken lassen. Im Zweifelsfall können wir noch einmal präziser nachfragen oder mit anderen sprechen, um unsere eigenen Blindheiten aufzuklären. Manchmal macht es Sinn, sich ganz auf die kurze Botschaft des Urtextes zu konzentrieren. Sollten Sie dabei die feudalistischen Bilder

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