Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie
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Читать онлайн книгу Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen - Billy Remie страница 21
»Ich unterschätze dich nicht!« Derrick sah mir gefasst ins Gesicht. »Ich sorge mich um dich, das ist ein Unterschied.«
»Dann sorge dich nicht, mein Bruder.« Ich lächelte ihn wieder gelassen an und legte ihm eine brüderliche Hand auf die Schulter. »Vor allem heute nicht. Lass uns unseren Sieg feiern. Schlagen wir uns den Magen voll, ehe wir zu Menard reiten und ihn schließlich fragen müssen, aus welchem Grund er mir wichtige Informationen vorenthalten hat.«
Eines war sicher, Menard würde es bereuen.
6
Gibt es keinerlei Chance auf einen Sieg, so hoffe, das deine Füße flinker als deine Hände und deine Beine stärker als deine Arme sind, denn beides benötigtest du zur erfolgreichen Flucht. – Fehlt es dir an beidem, so bete, dass du nicht allein fliehen musst.
Zehn Jahre zuvor ...
Es war ein schöner Morgen. Ein frühlingshafter Morgen, zumindest für Carapuhr. Die Sonne fiel durch die hohen Tannen und durchsetzte den Wald mit Lichtstrahlen. Mutter war mit uns in den Garten gegangen. Ich sah mich nach ihr um. Sie kniete in ihrem wunderschönen Kleid aus eisblauer Seide und weißer Spitze vor einem Blumenbeet und pflanzte die ersten Blumenzwiebeln in die feuchte Erde.
Es ist nicht lange Frühling in Carapuhr, das hatte sie mir einmal erklärt, als ich nachfragte, warum sie so früh die Beete bepflanzte und riskierte, dass aus den Zwiebeln nicht ihre geliebten Blüten wuchsen. Da die fruchtbaren Monate in Carapuhr nur kurz waren und nur in bestimmten Regionen eintraten, musste man so früh wie möglich pflanzen, auch das Korn der Bauern auf dem Feld wurde früh angepflanzt. Mutter erklärte mir im Jahr davor mit trauriger und mitleidvoller Miene, dass die meisten Bauern kaum die Hälfte Korn und Gemüse vor Wintereinbruch retten konnten, und von dem, was übrig war, mussten sie noch einmal den Großteil an ihren Gutsherrn abgeben.
Vor einem Jahr habe ich nicht verstanden, weshalb es sie traurig machte, bis sie mich im Winter mit in ein Dorf außerhalb der adeligen Ländereien nahm. Es war schlimm. Es stank, es war dreckig, aber am schlimmsten war die Kälte, selbst in den Häusern, die ehe einsturzgefährdeten Schuppen glichen. Die Kinder waren dünn, kaum mehr als etwas Haut auf knochigem Gerüst. Aber es war nicht der Anblick, der mich schockiert hatte, sondern die unbeschreibliche Traurigkeit und der Kummer in den Augen meiner geliebten Mutter. Ich wollte, dass diese Umstände sie nie wieder derart bekümmert dreinschauen ließen, ich wollte sie glücklich machen und sie wieder lächeln sehen.
Seither schmeckte mir das Essen aus unserer Küche nicht mehr. Oft nahm ich die Reste eines Mahls und flehte meine Mutter an, alles an die hungernden Bauern zu verteilen. Das taten wir auch und sie lächelte mich dabei immer fröhlich und voller Stolz an.
Doch eines Tages hatte Vater uns erwischt. Er schrie, er hob die Hand, und Mutter weinte, während sie mich schützend im Arm hielt. Seitdem haben wir nie wieder zusammen Brot an die Hungerten verteilt.
Bei diesem Vorfall war ich acht Jahre alt gewesen; und an diesem schönen Frühlingsmorgen, war ich bereits neun, fühlte mich aber schon ganz erwachsen. Ich fühlte mich stark und unbezwingbar, ich beschützte meine Geschwister und meine Mutter, zumindest stellte ich es mir gerne so vor, wenn auch gleich allen bewusst war, das der größte Schutz für uns allesamt die Leibwachen waren, ohne die wir niemals die Mauern unserer Burg verlassen würden. Ja selbst jetzt standen sie an den Mauern des Burggartens. Strammstehende Männer in glänzenden Rüstungen mit Schild und Schwert, die Wappenröcke waren in einem dunklem Blau und einem blutrotem Rot, auf den Schilden prangten die goldenen Umrisse eines Greifs.
Ich mochte die Wachen nicht. Soldaten mochte ich nicht. Alle, die Rüstungen trugen, mochte ich nicht. Sie waren so steif, wie Puppen, ihre Gesichter waren undurchdringlich, zeigten keinerlei Emotion, das mochte ich nicht. Es war besser zu wissen, wie die eigenen Untertanen zu einem standen, statt auf dämliche Förmlichkeiten zu bestehen.
Derrick konnte man zum Beispiel ansehen, was er dachte. Vater sagte, es sei eine Schwäche und deshalb wäre Derrick auch eine schlechte Leibwache. Doch ich sah das anders. Ich wusste, was Derrick wütend machte, was er mochte, was er nicht mochte, so konnte ich in schlechten Zeiten – immer dann, wenn seine Geduld mit mir am Ende war –, seine Motivation heben.
Wie ich meine Mitmenschen dazubewege, genau das zutun, was ich von ihnen erwarte, hat mir niemand beigebracht. Ich war jung, aber schlau.
Mein Lehrer Menard, der alte Schamane, sah meine Methoden nicht gerne. Er behauptete, so sei das Wesen des Bösen. Doch wenn er versuchte, mir Politik beizubringen, wies ich ihn jedes Mal daraufhin, dass es ein König mit seinen Untergebenen auch nicht anders handhabte. Jedenfalls ein kluger König. Ist es denn nicht friedvoller und wesentlich risikoärmer, jemanden zu manipulieren, statt ihm mit Gewalt zu drohen oder ihn mit einem Abkommen zu kaufen?
Loyalität kann man nicht kaufen, das hatte Mutter mir erklärt. Wer einmal Silber annimmt, der nimmt es wieder ... aber dann vielleicht von einem Feind.
Ich selbst kam auf die Idee, dass ich mit Manipulation wesendlich mehr erreichte, als mit Diplomatie. Und wo die Manipulation versagt, gibt es immer noch das Schwert in der Scheide, das jederzeit gezogen werden kann. Wer nicht folgt, muss bluten. Ein Satz, der mir mein Vater beibrachte. Auch wenn er ein Tyrann und in meinen Augen ein Feigling war, jene Worte hatten sich früh in mein Gedächtnis eingebrannt, sie gehörten zu meinem Kodex.
Doch im Gegensatz zu ihm, drohe ich nicht, ich verhandle nicht. Nicht einmal beim Kartenspielen mit Derrick.
Mutter wäre empört, wenn sie wüsste, dass meine Leibwache mir lasterhafte Glücksspiele beibrachte, aber sie wusste zum Glück nichts davon.
Derrick hatte mich in den Grundlagen des Glücksspiels unterwiesen und innerhalb kürzester Zeit hatte ich es zu meinem Spiel erklärt. Niemand konnte hinter meine Fassade sehen, niemand hat es je geschafft, mich zu durchschauen, ich konnte jeden Spieler so manipulieren, dass er glaubte, ich sei immer im Vorteil, obwohl mein Blatt auf der Hand meist ziemlich mies war. Derrick verliert bei jedem Spiel sein ganzes Silber, das er von meiner Familie als Bezahlung erhält.
Ich habe damals schon gewusst, dass Derrick für mich nützlich sein könnte, als ich den König bat, sein Leben zu verschonen und ihn dafür zur Strafe ein Leben lang in meine Dienste zu stellen. Mal vom Training im Schwertkampf und den Glücksspielen abgesehen, hatte Derrick mir auch kleinere Tricks beigebracht, die ich weder von meinem echten Kampflehrer noch von Menard gelernt hätte. Dank Derrick konnte ich mittlerweile recht gut mit einer Armbrust umgehen, erst einen Tag zuvor hatte ich im Wald ein Kaninchen damit geschossen. Ich konnte Schlösser knacken, mich leise bewegen, in den Schatten verschwinden, selbst das Reiten hatte Derrick mir besser erklären können als der Reitlehrer, der von Vater bezahlt wurde. Mittlerweile konnte ich mich sogar im vollen Galopp im Sattel halten und dabei mein Schwert ziehen und eine Übungspuppe im Vorbeireiten in Zwei teilen.
Derrick war der große Bruder, der mir gefehlt hatte. Er unterwies mich in Dinge, die kein Gelehrter wusste. Natürlich alles auf mein Drängen und Quengeln hin. Auch beim Glücksspiel murrte Derrick, dass er wegen mir letztenendes doch noch hingerichtet werden würde, sollte je jemand erfahren, dass er mir solche Lasterhaftigkeiten beibrachte.
Beim Kartenspielen konnte ich mittlerweile gut bluffen – so nannte Derrick das – aber mir fehlte es noch an der Fähigkeit, andere beim bluffen zu durchschauen. Nicht beim Kartenspiel, sondern auch im wahren Leben.
Zum Beispiel vor zwei Wochen, als ein Botschafter der Elkanasai zu Verhandlungsgesprächen gekommen und meinen