Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie
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Читать онлайн книгу Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen - Billy Remie страница 25
»Nein!«, brüllte ich voller Zorn. »Verschwindet! Haut ab!« Ich presste die Hände auf die Ohren und petzte die Augen zu, meine Knie gaben nach und ich ging in die Hocke, kauerte wie ein kleiner Junge im roten Wald.
»Schnappt ihn!«, hörte ich die Rufe. »Er darf nicht entkommen! Holt ihn euch!« Gepanzerte Hände griffen durch den Nebel nach mir, versuchten, mich zu packen.
Ich riss mich los, fiel aber vorne über und kroch wie ein Wurm durch blutigen Matsch. Es stank, es war kalt. Im Traum fühlt man nicht, roch man nichts, kam es mir in den Sinn. Aber es musste ein Traum sein! Es musste einer sein!
Etwas packte mein Bein und versuchte mich zurück zu ziehen. »Lass mich los!« ich versuchte, zu treten, doch mein Tritt ging ins Leere. »Nein!« Ich wehrte mich, jedoch vergebens. Unaufhaltsam wurde ich durch den Matsch gezogen, immer schneller und schneller durch den blutigen Wald. Als ich zum Stillstand kam, drehte ich mich auf den Rücken und sah nur noch die silberne Klinge auf mich herab rasen ...
***
»Träume sind die einzigen Orte, zu denen wir stets alleine reisen müssen.«
Schweißgebadet erwachte ich und saß aufrecht auf meinem Nachtlager. Zwei Tage hatten wir zwischen uns und dem Dorf gelassen, das ich zuerst befreit und dann niedergebrannt hatte, um den Elkanasai die Schuld dafür zu geben. Die Dorfbewohner feierten den Namenlosen und seine Schattenwölfe, weil sie dank uns nun jetzt immerhin ein freies Leben hatten ... Nun ja, jedenfalls so lange, bis die Elkanasai einen anderen Trupp schickten und diesmal würden sie alle niedermetzeln, soviel stand fest. Zu helfen und ein Dorf zu befreien war nicht immer die gute Entscheidung. Hätte ich einfach nichts getan, würden einige Bewohner immerhin ihr Leben behalten, nun stand ihnen eine grauenhafte Strafe bevor, die Elkanasai sahen es nicht gerne, wenn man sich gegen sie stellte.
»Geht es dir gut?«
Derricks dunkle Stimme ließ mich den Kopf drehen. Er saß auf der anderen Seite des fast erloschenen Lagerfeuers und rieb sich die Hände in dessen Wärme. Es war dunkel und aus dem Wald konnten wir das Heulen echter Wölfe hören, die unweit von unserem Lager am Rande des Tannenwaldes umherstreiften.
Ich lehnte mich nach vorne und rieb mir das Gesicht. »Schlecht geträumt«, murmelte ich in meine Hände. Dann stand ich auf, ohne Derrick anzusehen und stampfte barfuss und nur halb bekleidet über den kalten Boden zu einem der Karren, die wir für unsere Vorräte benötigten. Dort hing ein Wascheimer mit Wasser.
Ich hatte keine Ahnung, wie viele meiner Brüder sich darin schon die Hände gewaschen hatten, oder Schlimmeres, und es war mir auch egal. Ungeachtet wie dreckig es wohl sein mochte, schöpfte ich mit meinen Händen etwas von dem Wasser und spritzte es mir ins Gesicht und auch in den Nacken, das half meistens, die Träume zu verscheuchen.
Hinter mir im Wald hörte ich das Hecheln eines Wolfs, vielleicht waren es auch mehrere. Aber sie zogen wieder ab, nachdem ich einen Stock in ihre Richtung geworfen hatte. Wölfe griffen selten Menschen an, es sei denn, man provozierte sie, sie gingen uns aus dem Weg. Die einzigen Wölfe, die ich fürchten musste, waren meine eigenen.
Derrick trat um den Karren herum und lehnte sich lässig dagegen. »Mein Bruder?«
Mein Blick war noch in den düsteren Wald gerichtet, dessen Tannen so dicht beieinanderstanden, dass nicht einmal das grelle Licht des Mondes sie durchdringen konnte. Ich stand vor einer schwarzen Wand.
Die Augen weiterhin in die Schwärze gerichtet, sagte ich zu Derrick: »Ich war wieder da. Vor zehn Jahren.«
Ich konnte ihn nicht sehen, aber ich spürte deutlich, wie sich auch sein Körper verspannte.
»Aber es war nicht wie damals«, erklärte ich weiter, mein Blick geriet nun in Dimensionen, die ein anderer außer Derrick nicht hätte erfassen können. »Wir gingen zum Fluss, du und ich, und als wir zurückkamen ...«
»Ich war da, Mel, du musst es mir nicht beschreiben«, blockte Derrick ab.
Ich schluckte schwer, doch mein Blick war eine grimmige Maske. Ich drehte mich zu ihm um und sprach unbeirrt weiter. »Wir kamen nicht zur Mauer, in meinem Traum.«
Nun runzelte Derrick doch neugierig seine Stirn. Er wartete ab.
Ich starrte zu Boden, als ich weiter berichtete: »Ich blieb stehen und ... da war Blut ... überall. Überall war Blut. Ein blutdurchtränkter Wald ...«
»Ein Traum, Mel, nichts weiter.«
»Menard sagte, Träume zeigen uns unsere größten Ängste«, flüsterte ich. Und ich wollte doch vor nichts Angst haben! Das durfte nicht sein.
»Es ist lange her ...«
»Alles war verschwommen«, unterbrach ich Derricks armen Versuch, das Thema abzutun. »Und ich war plötzlich allein. Ich hörte sie schreien. Meine Mutter ... meine Geschwister ... Und ... und da waren ihre Arme ... Blut verschmiert und verwest ... als lägen sie schon zehn Jahre unter der Erde ... Sie griffen nach mir ... und ich rannte vor ihnen davon.«
»Dämonen«, glaubte Derrick. »Sie kommen in Träumen und lassen dich sehen, was nicht echt ist. Das war nicht deine Familie.«
»Vielleicht«, gab ich zurück. Aber wusste ich das mit Sicherheit? Sie hätten es auch wirklich sein können. Aus dem Totenreich. Es könnte doch möglich sein, oder?
»Vielleicht finden sie keine Ruhe.« Ich sah Derrick direkt in die Augen. »Möglicherweise war es ein Hilferuf. Sie verfolgen mich, weil ich der einzige bin, der ihnen ewige Ruhe bringen kann.«
»Mit Rache?« Derrick hörte sich skeptisch an.
»Mit Gerechtigkeit«, konterte ich und ballte eine Faust.
»Der Spalt zwischen Rache und Gerechtigkeit ist dünn«, warf Derrick ein. »Du verwechselt das eine sehr oft mit dem anderen, mein Bruder.«
Witzig, das sagte Menard auch stets zu mir.
Nachdenklich kaute ich auf der Innenseite meiner Wange.
Plötzlich stand Derrick vor mir und legte eine Hand auf meine Schulter. Er drückte brüderlich zu und versuchte sich an einem schiefen Lächeln. »Es war nur ein Traum. Wir sind über die Mauer. Du und ich. Und du warst nicht allein. Wir waren nicht allein. Wir haben getan, was wir konnten, Bruder. – Mal gewinnt man, mal verliert man.«
Doch ich schüttelte den Kopf.
»Du warst nicht allein!«, sprach Derrick auf mich ein. »Es war nur ein Traum, nicht die Wirklichkeit.«
»Damals war ich nicht allein«, stimmte ich zu, entfernte jedoch mit ernstem Blick seine Hand von meiner Schulter. »Aber in Träumen ist jeder auf sich gestellt.«
»Es war nur ein Traum«, wiederholte Derrick eindringlich.
»Vielleicht«, erwiderte ich und lief an ihm vorbei.
Ohne ein weiteres Wort ging ich zurück zum Lager, aber an Schlaf war eine Weile nicht