Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie
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Читать онлайн книгу Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen - Billy Remie страница 26
So ratet mal, wer ich wirklich bin.
Unser Zuhause war unsere Wolfshöhle. Es handelte sich dabei tatsächlich um eine Höhle, doch wir hatten sie zu einem Heim gemacht. Sie lag versteckt, direkt neben Menards unterirdischer Zuflucht. Eine große Steintür in einem Felsen führte in sein Alchemielabor, wo der alte Schamane Dinge zusammenbraute, die ich nicht einmal verstehen würde, wenn ich hundert Jahre lang Forschungen darüber betreiben würde.
Jedenfalls lag der Eingang zu unserer Höhle unmittelbar neben dieser massiven Felstür. Während Menard gut gesichert war, schützten uns nur einige Holzbretter und eine Tür, die wir vor Jahren in die große Höhlenöffnung gebaut hatten. Dahinter war die Höhle riesig, ich kam mir darin immer vor wie unter dem kuppelförmigen Dach eines Tempels, doch statt Buntglas und Tageslicht besaßen wir nur Fackeln und Lagerfeuer. Es gab keine Zimmer, keine Türen in unserem Heim, wir schliefen alle Seite an Seite, stinkend und laut schnarchend.
Ich konnte es kaum erwarten, endlich zurückzukehren und das große Feuer in der Mitte der Wolfshöhle zu entzünden. Kostja würde seinen berühmten Wildbret Eintopf für uns zubereiten, Corin würde uns mit seinen überheblichen Geschichten amüsieren, Lazlo würde blöde Scherze über einen jeden von uns machen, Egid würde ein Fass Met öffnen, Derrick und ich würden uns betrinken und zu guter Letzt würde ich mich in Connis weiblicher Wärme verlieren; denn das letzte Mal war schon einige Tage her und meine Körpermitte schrie nach Aufmerksamkeit.
Doch meine warmen Erinnerungen an Zuhause wurden jäh zerstört, als ich und meine Brüder auf dem Trampelpfad zur Wolfshöhle frische Fußspuren im Schlamm entdeckten.
Derrick und ich hielten unsere Pferde an und stiegen ab. Derrick nahm die Zügel meines Kleppers, während ich vor den zahlreichen Spuren in die Hocke ging.
»Sie sind noch ganz frisch«, erkannte ich. »Nicht einmal einen Tag alt.«
Ich erhob mich wieder und sah den Weg entlang, erst in Richtung Süden und dann nach Norden, wo wir hergekommen waren.
»Sie führen zur Wolfshöhle und wieder zurück.«
Ich sah Derrick ins Gesicht und las darin die gleiche Befürchtung, die auch ich hatte.
»Da sind noch mehr Spuren«, sagte Lazlo und zeigte in den Wald, er saß noch auf seinem Pferd und wir mussten zu ihm aufsehen.
»Muss ein großes Heer gewesen sein«, vermutete Egid.
»Elkanasai?«, fragte unser naiver, junger Kostja voller Nervosität.
Unser vorübergehender Neuzugang Janek mischte sich ein und schüttelte den Kopf: »Nein, die Fußabdrücke sind zu groß für Elkanasai. Und zu tief. Es müssen schwere Männer gewesen sein ... in sehr schwerer Panzerung.«
Da hatte er nicht Unrecht. Meine Stimmung sank immer mehr. Ich hatte mich auf mein Zuhause gefreut, jetzt schwante mir Böses.
»Wenn es keine Elkanasai waren«, fragte Kostja ängstlich, »wer war es dann?«
»Jemand viel, viel Schlimmeres«, gab ich zurück.
Meine Männer starrten mich neugierig an, doch ich erwiderte ihre Blicke nicht. Meine Brust zog sich zusammen und mein Herz wurde schwer. Eine Vorahnung schlich sich in mich, die sich in Panik verwandelte. Ich sah erneut Derrick an.
Im stummen Einverständnis nickten wir uns zu und stiegen wieder auf unsere Pferde.
»Vorwärts!«, rief ich laut, damit meine sechsundsiebzig Schattenwölfe – und Janek – mich auch alle hörten.
Schwere Pferdehufe donnerten über den Trampelpfad. Innerhalb kürzester Zeit legten wir das letzte Stück der Strecke zurück. Hinterher wünschte ich mir, wir wären nie wieder zurückgekehrt.
»Nein!«, hauchte ich entsetzt, als ich unser Zuhause erreichte.
Hinter mir teilten sich meine Männer auf und trieben ihre Pferde auseinander, ich hörte sie alle fluchen.
Vor der Höhle war ein kaltes Schlachtfeld. Tote Soldaten lagen im Matsch, ihre Gliedmaßen waren seltsam verdreht, als wären sie von einer hohen Klippe gefallen. Fünf Stück zählte ich, und auf ihren Schildern war das Wappen meiner Familie zu sehen. Der goldene Greif auf blaurotem Hintergrund. Mir wurde schlecht.
»Mel ...!« Derricks Stimme war ein ausgestoßener Laut voller Grauen.
»Ich sehe es«, gab ich zurück. Ich war fassungslos. Wie haben sie uns gefunden?
Wir stiegen von unseren Pferden und wanderten durch das Chaos.
Lazlo ging vor einem der Toten in die Hocke. »Königliche Soldaten«, spuckte er aus. Dann sah er mich an und wollte wissen: »Was wollten die hier?«
Ich wandte mich ab, statt zu antworten, und sah mich weiter um.
Sie hatten den Eingang der Wolfshöhle zerstört, unsere Sachen durchwühlt, unser Hab und Gut lag verteilt im Dreck, unser Vieh hatten sie abgeschlachtet und mitgenommen ... selbst die jungen Pferde, die Derrick und ich vor der Abreise eingefangen hatten. – Pferde waren teuer und wir konnten uns keine leisten, weshalb ich beschlossen hatte, Wildpferde zu zähmen. Es war schwer, Carapuhrs sture Wildpferde zuzureiten, aber, wie bereits erwähnte, mochte ich Herausforderungen. Doch von diesem Plan konnte ich mich nun verabschieden, von allem, was ich aufgebaut hatte, konnte ich mich nun verabschieden ... Ich hatte gedacht, hier wäre alles sicher, doch ich hatte mich getäuscht. Schwer getäuscht. Zwar hatte Menard sich um alles kümmern wollen, während wir fort waren, aber ...
»Menard!«, stieß ich aus und starrte zur Zufluchtstür. Sie stand halb offen, zerrissene Schriftrollen lagen davor und wehten im Wind.
Sofort rannte ich los.
Ich rutschte auf einigen Schriften aus und stolperte in das Innere. Ich nahm die Treppe nach unten und raste ungehalten in Menards Raum. Es war dunkel und ich musste stehen bleiben, bis sich meine Augen an das spärliche Licht gewöhnt hatten.
Hinter mir hörte ich Schritte, aber ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Derrick mir gefolgt war.
Wir standen im Dunkeln und ich konnte nur unsere schweren Atemzüge vernehmen, es war ansonsten still. Beunruhigend still. Toten Still.
Ich hätte Menard am liebsten umgebracht, als ich erfuhr, das König Amon einen weiteren Sohn gezeugt hatte, aber nun, da er vermutlich den königlichen Soldaten zum Opfer gefallen war, wusste ich, das ich Menard nie etwas angetan hätte. Menard war mir ein Lehrer und zehn Jahre lang ein Vater gewesen. Ich liebte diesen alten Schamanen, ebenso wie ich Derrick liebte, beide könnte ich nicht einfach nur aus Zorn töten. Es war traurig, dass ich es erst dadurch erkannte, dass andere ihnen etwas antun wollten.
»Menard?« Ich traute mich nur zu flüstern, vielleicht antwortete er mir dann nicht, weil ich zu leise gewesen war, und nicht, weil er tot war.
Es blieb still.
Ängstlich drehte ich mich zu Derrick um, das Licht, das oben von der Treppe hereinfiel, beleuchtete seinen Rücken, ich sah nur seinen Umriss, sein Gesicht war gänzlich schwarz. Es hätte mich wahrlich etwas beruhigt, seine silbernen Augen zu erblicken.
Ich wandte mich wieder ab und sprach erneut zur Dunkelheit: