Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen. Billy Remie

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Das Tagebuch des Schattenwolfprinzen - Billy Remie Legenden aus Nohva 3

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Botschafter gesprochen, mit lieblicher Stimme und ebenso lieblichem Aussehen, ich hatte bis dorthin nie einen Mann mit spitzen Ohren in Echt gesehen ... Ich war vollkommen verblüfft von dessen Anmut und Schönheit. Nie hätte ich erwartet, hinter einem solch schönen Einband einen so hässlichen Text zu lesen. Noch während der angeblichen Verhandlungen hatte der Botschafter versucht, den Wein meiner Mutter zu vergiften. Zum Glück war mein Onkel, Baron Jostein, anwesend gewesen und hatte den Mordversuch untergraben. Mein Onkel – der Bruder meines Vaters – hatte den Kopf des Elkanasai per Katapult zurück zu dessen Truppen geschickt, während mein Vater untätig grimmig dreingeschaut hatte.

      Ich habe mir zu diesem Zeitpunkt gewünscht, der Baron wäre mein Vater.

      Außerdem war ich wütend auf mich, weil ich diesen spitzohrigen Bastard nicht von vorneherein durchschaut hatte.

      »Seit nicht so streng zu Euch, Kleiner«, hatte Derrick versucht, mich aufzumuntern. »Mal gewinnt man, mal verliert man.«

      »Du bist noch ein Kind«, sagte Mutter mit ihrer süßen Engelsstimme und ihrem Lächeln, das heller als die Sonne strahlte. »Kinder glauben, was sie sehen. Kinderherzen sind rein, sie sollten nicht mit schlimmen Absichten rechnen. Es war nicht dein Fehler.«

      Aber ich war kein Kind! Durfte es nicht sein. Mein Vater war ein Feigling, und wer sollte diese Familie schützen, wenn nicht ich?

      Mein Onkel? Das könnte ich aus Ehre und Stolz niemals zulassen.

      Nein, es war meine Pflicht, sie zu schützen!

      »Manchmal geht das nicht«, hatte Menard mir mit der geduldigen Stimme eines alten und weisen Lehrers erklärt. »Manchmal kann man die, die man liebt, nicht schützen. Das liegt aber nicht in deiner Hand.«

      »In welcher Hand denn sonst?«, hatte ich wissen wollen.

      »In Gotteshand«, war seine Antwort gewesen.

      Ich stellte keine weiteren Fragen mehr, die mir keiner ehrlich beantworten konnte. Wenn ich Gott den Schutz meiner Familie überließ, war ich nicht besser als mein feiger Vater, der nur gegenüber Frauen und Kindern die Fäuste erheben konnte.

      »Steht auf, Kleiner!« Derricks Stimme holte mich aus meinen zornigen Gedanken. Er stand plötzlich neben mir, fein gekleidet in seine Leibwächter Rüstung und dem blauroten Wappenrock meiner Familie, er trug keinen Helm, tat er nie, und der kühle Frühlingswind strich ihm durch sein zotteliges, schwarzes Haar. »Ihr erkältet Euch sonst noch, Euer Gnaden«, brummte er zu mir hinab.

      Ich saß im feuchten Gras, neben der Decke, auf der die Zwillinge, meine Schwestern Irmi und Ann – beide gerade erst ein Jahr alt – , im Schatten einer Tanne lagen. Die kalte Nässe war schon durch meine Hose durchgedrungen, aber ich würde nicht aufstehen, ich musste meine Schwestern beschützen und ein wachsames Auge auf meine Brüder haben, die unweit entfernt von Mutter einem gelben Schmetterling nachjagten. Melvin war fünf und Haakon erst drei Jahre alt, ich musste auf sie achten, solange Mutter mit ihren Blumen beschäftigt war.

      Ich nahm es ihr nicht übel, das sie sich die Zeit nahm und Blumenzwiebeln einpflanzte, während sie mir die Aufsicht meiner Geschwister überließ, denn die Freude in ihrem Gesicht, sobald die erste Blüte aus einer Knospe geboren wurde, war unbezahlbar. Nichts auf der Welt konnte mein Herz so erwärmen wie das Lächeln meiner wunderschönen Mutter, mit ihrer dunkleren Haut und ihrem ebenholzschwarzen Haar, das ihr in langen Wellen wie ein Wasserfall über den schmalen Rücken fiel.

      »He!« Derrick wollte mich mit seinem Fuß anschupsen, weil ich ihn ignorierte. Doch er kam gar nicht dazu, denn ich stieß ihm meinen Ellebogen in den Schritt.

      Derricks schmerzerfülltes Grunzen glich dem eines Stieres; ich musste schmunzeln.

      Im Augenwinkel sah ich ihn auf den Hintern fallen, unmittelbar neben mir. Er fluchte unterdrück, aber leise genug, damit Mutter es nicht hörte.

      »Ihr solltet einen Lendenschutz tragen, Sir Derrick Einar«, spottete ich.

      »Wie kann ein Bursche in diesem Alter nur schon so ein verdammter ...« Derrick suchte nach einer passenden Bezeichnung, seine Stimme klang vor Schmerz erstickt, er hielt sich noch immer den Schritt.

      Ich sah ihn neugierig an, denn mein Wortschatz hatte sich seit Derricks Bekanntschaft um ein Vielfaches an Beleidigungen erweitert.

      Doch Derrick besann sich und schenkte mir ein aufgesetztes Lächeln. »Ihr seid ... so ein reizendes Kind ... Euer Gnaden.«

      Ich schnaubte und drehte mein Gesicht wieder in Mutters Richtung. ›Reizendes Kind‹ war aus Derricks Mund gleichzusetzen mit der Bezeichnung ›Drecksack‹. Er beschimpfte mich oft als Drecksack, aber auch als Bengel, Plagegeist, Satansbraten und Teufelsbrut. Aber ich wusste, er meinte es nicht ernst, zumal es sich bei ihm fast wie Komplimente anhörte. Zugegebenermaßen hatte ich diese Bezeichnungen auch oft verdient ... und irgendwie mochte ich es, wenn er mir derartige Spitznamen verlieh.

      »Ich bin kein Kind«, brummte ich verdrossen in die Stille hinein, in der nichts weiter als Derricks schwerer Atem und das Zwitschern der Vögel in den Tannen zu hören gewesen war.

      »Dann lasst Euch sagen, von Mann zu Mann«, begann Derrick und versuchte, sich richtig hinzusetzen, wobei er das Gesicht zu einer hässlichen Maske verzog, als täte ihm der Schritt noch immer furchtbar weh. »Ein Mann tritt oder schlägt niemals und unter gar keinen Umständen einem anderen Mann in die verdammten Kronjuwelen!«

      Neugierig musterte ich ihn. »Und wenn es um Leben oder Tod geht?«

      Derrick verengte skeptisch seine Augen.

      »Angenommen, man verliert im Kampf Schwert und Schild, und die einzige Möglichkeit, das eigene Leben zu retten, wäre ein gezielter Tritt oder Schlag in die Weichteile des Feindes ... ich würde diese Chance nicht verstrichen lassen.«

      Ich konnte sehen, wie es in Derricks Schädel arbeitete.

      Doch er erwiderte nur ausweichend: »Es ist nicht ehrenhaft, so zu kämpfen.«

      »Dann soll ich sterben, um ehrenhaft zu bleiben?«

      Derrick öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich darauf wieder und zog die Stirn kraus.

      »In einem Kampf um Leben und Tod würde ich nie ehrenhaft kämpfen.« Ich wandte meine Augen von Derrick und blickte durch den Garten zu einer Wache, die in der Nähe meiner Mutter stand. Etwas an dieser Wache war seltsam. Vielleicht war es nur die Tatsache, dass sie ungewöhnlich nahe bei Mutter stand, doch ich hatte plötzlich ein ungutes Gefühl, als ich sie erblickte.

      Derrick starrte mich nachdenklich von der Seite an. Er sah mich oft so an. Weder schien er meine Ansichten zu teilen noch schien er sie zu missbilligen. Ich glaube, er fragte sich, wie ein Neunjähriger derartige Gedankengänge formen konnte.

      Weder hatte ich diese Lehren von Menard, noch von sonst einem Lehrer. Nein, ich hatte diese Weisheiten aus Büchern. Aus all den Räubergeschichten, die meine Mutter so gerne las. Sie wusste nicht, dass ich mich nachts in die Bibliothek schlich und im Schein einer winzigen Kerze jedes Buch las, das auch nur im Geringsten mit Dieben und Räubern zu tun hatte.

      Die Straße, oder besser gesagt, das Leben auf der Straße, hatte einen verlockenden Ruf, dem ich gerne gefolgt wäre. Doch Mutter und meine geliebten Geschwister brauchten mich und ich würde nie ernsthaft darüber nachdenken, sie zu verlassen.

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