Der verborgene Erbe. Billy Remie
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Читать онлайн книгу Der verborgene Erbe - Billy Remie страница 40
Am gegenüberliegenden Ende des Übungsplatzes saß Desiderius auf einem Fass unter dem Dach der Stallungen und schärfte sorgfältig mit einem Wetzstein die geschwungene Klinge des Drachenflügelschwerts. Um ihn herum standen Stände mit stumpfen Übungsschwertern für die Rekruten, die täglich aus dem Umland kamen und darum flehten, für den Erben, dessen Offenbarung schnell die Kunde machte, kämpfen zu dürfen.
Junge Burschen waren darunter, die unter strenger Beobachtung standen, da Desiderius weiterhin mit Spionen rechnete. Doch Cohen sah in den kämpferischen Augen nur wütende Bauerssöhne, die ihre Familien rächen wollten, die von den Soldaten der sich bekämpfenden Fraktionen geschändet und getötet worden waren. Bauern mit Schwertern, keine Soldaten wie die Fahnenflüchtigen unter Sehareds Befehl, und gewiss keine Elitekrieger wie Eagles luzianische Armee. Aber es waren junge Männer mit Mut und ebenso viel Zorn wie Kampfeswillen.
Sie würden kämpfen, Feinde niederstrecken, Fronten halten, und viele würden sterben. Aber zuvor würden sie noch Feinde mitnehmen. So traurig es sich anhörte, im Krieg war dies ein Vorteil. Auch ein Soldat, der fällt, hat doch zumindest kurzweilig einem Zweck gedient. Und Cohen wusste, genau wie Desiderius es wusste, dass im Krieg Opfer erbracht werden mussten. Auch sie kämpften, es war jedoch ihre Erfahrung, die ihnen einen längeren Kampf gewährte. Aber irgendwann, darum wussten alle guten Kämpfer, würde auch ihr Glück versiegen und das Schicksal zuschlagen. Und wenn dieser Tag bald kommen mochte, wenn Cohen im Kampf um die Schwarze Stadt fallen mochte, so tat er es aus freien Stücken.
Er würde zum ersten Mal in seinem Leben als freier Mann kämpfen, mit dem freien Entschluss, sein Leben für einen Herrscher zu geben, der mit dem Recht zu Herrschen geboren worden war.
Müde gähnte Cohen, ohne Hand vor dem Mund, während die Schmerzen in seinem Kopf ihn weiter ermatteten. Zu viele Gedanken machten seinen Kopfschmerz nur noch schlimmer. Er hütete sich, heute den Sorgen nachzuhängen, und beschloss, es langsam anzugehen.
Keine Übungen heute für ihn, dafür beobachtete er mit einem verliebten Lächeln den unwissenden Blutdrachen. Lieber setzte Cohen heute einen Tag aus, als bei der Abreise ein Bild wandelnden Elends abzugeben. Bereits heute Morgen, als er nach dem Frühstück blass die Rüstung anlegte, hatte Desiderius besorgt gewirkt, und Cohen wollte nicht riskieren, aus gesundheitlichen Gründen zurückgelassen zu werden.
Desiderius brauchte ihn! In jeder kommenden Schlacht.
Denn Cohen war der einzige Mann, der den Blutdrachen in Tiergestalt kontrollieren konnte.
***
Der Tag, an dem sie ausrücken würden, war rasch nähergekommen, und obwohl er ihn sich herbeigesehnt hatte, wurde er nun Augenblick um Augenblick nervöser.
Er hatte gegen viele Feinde gekämpft, oft nur knapp den Sieg errungen, vor allem gegen Dämonen war er angetreten, und nur weil ihm das Glück hold gewesen war, hatte er sie vernichten können. Doch nun trat er nicht gegen einen einzigen Dämon an, auch nicht gegen eine wildgewordene Schar, die in der Wildnis lauerte, sondern gegen eine organisierte Armee dunkler Mächte, angeführt von einem klugen, mächtigen Fürsten, der, laut Bellzazar, wahrscheinlich schon ihr Ankommen vorhersah und sie erwartete.
Beinahe verliebt führte Desiderius den Wetzstein über die geschwungene Klinge seines treuen Schwertes, das ihm häufiger als er aufzählen konnte das Leben gerettet hatte.
Er zweifelte, und das behagte ihm nicht. Zwar stand Bellzazar an seiner Seite, aber er konnte spüren, dass auch sein Bruder voller Furcht war. Doch sie mussten die Schwarze Stadt zurückerobern, weil niemand es sonst tun konnte. Wenn Eagles Armee das erringen konnte, was Rahff nie gelang, würden mehr Leute an sie glauben, würden mehr Leute zu ihnen stehen, vielleicht sogar Adelsmänner mit Truppen, die sich gegen Rahff stellen und zurück zu ihrem wahren König fanden.
So sehr der Gedanke, wieder jenen zu vertrauen, die den Airynns in ihrer größten Not nicht beistanden, wusste Desiderius leider auch, dass ihnen in ihrer Lage keine andere Wahl blieb. Er konnte seinen Stolz nicht vor die Stärke ihrer Truppen stellen. Um Rahff und die Schavellens zu besiegen, brauchten sie jeden Freund, den sie kriegen konnten. Selbst wenn es menschliche Verbündete waren. Deshalb ließ er auch die Bauern, die kämpfen wollten, in die Mauern, denn Hochmut konnte er sich nicht mehr leisten.
»Herr?«
Verwundert sah er auf, hatte den Schatten, der auf ihn gefallen war, nicht bemerkt. Ein junger Bursche, mit feinem Antlitz, graublondem Haar und verstaubten Gesicht, ging vor ihm in die Hocke, um einen vollen Krug Trinkwasser abzustellen.
»Ich soll Euch diesen hier bringen.« Der Bursche lächelte unsicher. »Der Herr Bellzazar sagte, Ihr sollt die Finger vom Wein lassen, wenn Ihr trainiert, und stattdessen Wasser trinken.« Der junge Mann senkte beschämt den Blick, als erwartete er für seine Worte Tadel.
Desiderius lachte nur kopfschüttelnd: »Das sagt mir der richtige. War sonst noch was?«
Der Bursche nickte ergebend und sprach sogleich weiter: »Ich soll Euch auch ausrichten, Euer Hengst, Wanderer, braucht vor der Abreise frische Eisen für die Hufe.«
»Der Hufschmied soll sich darum kümmern. Ich will, dass Wanderer spätestens Morgen bereit zum Aufbruch ist.«
»Ja, Herr«, der Bursche neigte das Haupt, zögerte jedoch. Es war ihm überdeutlich anzumerken, dass ihm noch etwas auf der Seele lag, was er sich jedoch nicht zu äußern wagte.
»Was ist denn?«, fragte Desiderius belustigt. Er würde sich nie daran gewöhnen, dass die Leute so viel Respekt vor ihm hatten, dass sie scheinbar ihm gegenüber die Fähigkeit zu Sprechen verloren.
Der Bursche kratzte sich an der Schläfe und wandte sich wieder an Desiderius: »Euer Ross ist … ein weiteres Mal ausgebrochen.«
»Wann?«
»Wir sahen es nicht, er war auf einmal nicht mehr in seinem Stall, Herr. Es tut mir leid-«
Desiderius gebot ihm mit einer Handgeste Schweigen. »Beruhige dich, Junge, ich bin nicht wütend. Wanderer hasst den Stall, gelegentlich macht er einen Spaziergang. Selbst ich kann ihn daran nicht hindern. Er kommt wieder. Und wenn er da ist, ruft mich, dann helfe ich dem Schmied mit den Eisen.«
Der Bursche lächelte und nickte ergebend. »Wie Ihr wünscht, Herr. Vielen Dank, Herr. Der Schmied wird sich geehrt fühlen.«
Desiderius sah amüsiert auf. »Weshalb? Weil ihn ein hochmütiger Laie bei seiner Arbeit zur Hand gehen will? Ich fürchte, er wird sich gezwungen fühlen, mich zu erdulden, obwohl ich seine Arbeit behindere.«
Der Bursche kämpfte mit einem Lächeln. Er schöpfte Mut aus Desiderius‘ charmanten Lächeln, und wagte zu fragen: »Weshalb wollt Ihr dann dabei sein?«
»Ich will mein Pferd in guten Händen wissen«, zwinkerte Desiderius, »und dabei vielleicht noch etwas dazu lernen. Wer weiß, vielleicht werde ich Hufschmied, sollten wir diesen Krieg überleben.«
»Ich sehe Euch nicht als Arbeiter, Herr.«
»Dann falle ich wohl in der Schlacht, und überdauere die Zeitalter als Legende.«
Es sollte ein Scherz werden, doch der Bursche blickte ernst zu Boden. »Das seid Ihr schon jetzt, mein Herr.«
Nachdenklich betrachtete Desiderius ihn. Sein Gebaren erinnerte ihn auf schmerzliche Weise an die ersten Begegnungen mit Wexmell, während sie einander noch ausgetestet