Dünenvagabunden. Katrin Maren Schulz
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„Das kannst du nur herausfinden, indem du es ausprobierst. Deine Ängste zeigen dir deine Schwachstellen auf, nichts weiter“, antwortet Viktoria trocken. „Für ein paar Wochen jedenfalls kannst du bei mir wohnen, dann wird es uns vermutlich zu eng miteinander.“
In diesem Moment sind wir oben auf dem Deich angelangt. Mir wird bewusst, dass ich so sehr in meine eigenen Gedanken und in dieses Gespräch mit Viktoria verstrickt war, dass ich jeglichen Gedanken an die See vergessen hatte!
Eigentlich ist sie doch mein erstes Ziel, wenn ich an die Küste fahre. Diesmal hatte ich sie vergessen. Nun liegt sie da in der Ferne vor mir, weit weg.
„Läuft das Wasser gerade auf, oder läuft es ab?“ frage ich Viktoria, noch nicht angekommen im Strom der Gezeiten, die hier mit jedem Tag mehr zu getreuen Begleitern werden.
„Es läuft ab, bald tritt die Ebbe ein, und mit ihr die Ruhe. Der Wind hat ja auch schon nachgelassen.“
Ja, es stimmt. Es ist schon viel friedlicher geworden, als es noch bei meiner Ankunft war. Ich bin schon viel friedlicher geworden, als ich es noch bei meiner Ankunft war.
In meiner Unruhe setzt die Ebbe ein.
In den kommenden Tagen mache ich mich daran, Viktorias Backhaus zu isolieren. Nach ein wenig Sträuben hat sie doch eingesehen, dass die schönen unverputzten Wände zu kältedurchlässig sind, und hat mir freie Hand gegeben, daran etwas zu ändern.
Auf der Suche nach den nötigen Materialien durchstreife ich den Baumarkt. In der Holzabteilung grüßt mich jemand. Es ist Piet, der Besitzer der Surfschule. Erstaunlich, dass er mich wiedererkennt. Wir hatten doch nur ein paar wenige Worte gewechselt im letzten Jahr, als ich mir in seiner Station eine Surfausrüstung geliehen hatte, um für ein paar Stunden aufs Wasser zu gehen.
„Na, bist du auch dabei, dein Haus zu isolieren, wie ich es für eine Freundin tue?“ frage ich ihn.
Er lacht. „Nicht ganz, aber so ähnlich. Wir werden in einer Woche damit beginnen, die Surfstation wieder aufzubauen, dafür brauche ich noch Material. Und übrigens auch helfende Hände. Hättest du Lust mitzumachen, gegen ein Taschengeld?“
Stimmt, hier in der nordfriesischen Wattenlandschaft ist ja vieles recht anders als im Rest der Welt. Sie bauen ihre Pfahlbauten am Strand ganz oder teilweise ab vor dem Winter, weil dann die See den Strand stark überspült - oft nicht nur mit Wasser, sondern auch mit Eisschollen. Da wäre es viel zu gefährlich, die aus Holzplatten zusammengezimmerte Surfschule einfach so darin stehen zu lassen. Vermutlich wäre am Ende des Winters nicht mehr viel von ihr übrig.
Und noch etwas, fällt mir auf, ist hier anders: Piet fragt gar nicht, was ich hier mache, ob ich hier lebe, wer genau ich bin. Als würde für ihn nur das Jetzt existieren, nur die Gegenwart. Und in dieser Gegenwart trifft er mich, benötigt helfende Hände, und spricht mich genau darauf an. Nicht mehr, und nicht weniger. Nordfriesisch trocken und klar. Besinnung auf die Gegenwart. Genau das, was Viktoria mir bei meiner Ankunft auch geraten hatte.
„Ja natürlich, ich helfe gerne mit!“ höre ich mich sagen und registriere dabei, dass ich gerade eben einen kleinen bezahlten Job angenommen habe. „Eine Wohnung könnte ich übrigens auch noch gebrauchen, falls du etwas weißt, gib mir doch bitte Bescheid?“
„Da lässt sich bestimmt etwas organisieren“, antwortet er. „Erst vor ein paar Tagen habe ich gehört, dass noch nicht alle Wohnungen für Saisonkräfte vermietet sind für dieses Jahr. Ich frage da mal nach.“
Ich gebe Piet meine Handynummer, damit er mir sagen kann, wann genau es losgehen wird mit dem Aufbau der Surfstation. Wie so vieles hier ist natürlich auch das: abhängig vom Wetter, und von den Gezeiten. Und wenn ich tatsächlich über ihn auch an eine möblierte Wohnung käme, wäre erst einmal einiges perfekt. Womit ich dann später mein Geld verdienen werde, wird sich zeigen.
Plötzlich geht alles so schnell, scheint es mir. Alles fällt mir entgegen, kommt auf mich zu, ich muss gar nichts tun, es geschieht einfach.
Es geschieht einfach so, dass ich eine Wohnung in Aussicht habe, und einen, wenn auch kurzzeitigen, Job.
Es fühlt sich so leicht an. Dann wird es wohl auch richtig sein?
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