Dünenvagabunden. Katrin Maren Schulz

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Dünenvagabunden - Katrin Maren Schulz

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      Es ist, als hätte ich keine Bestimmungskraft mehr über mich selbst, sondern mein Gehör über den ganzen Rest, inklusive dessen, was ich doch eigentlich Ich nenne. Dieses Ich hat nichts mehr zu melden, nur noch das Gehör mit seiner unerträglichen Überempfindlichkeit bestimmt darüber, wo ich sein darf, und wo nicht. Es quält mich, ich fühle mich meinem Gehör ausgeliefert.

      Also ist dies nun meine nächste Aufgabe, das wird mir in diesem kalten, einsamen Winter bewusst. Die Aufgabe lautet: versöhn e dich mit deinem Gehör.

      Wir sollen wieder zusammengehören, mein Gehör und ich. Zusammen-gehören.

      Auch für Kai scheint diese Zeit der Raunächte intensiv zu sein. Wie sonst kommt er auf die Idee, eine einfache Fahrt zu mir zu buchen? Möchte auch er seinem Leben eine neue Richtung geben?

      Es beruhigt mich, dass er kommt. Zum ersten Mal seit Jahren verspüre ich eine Freude darüber, mit jemandem zusammen an meinem Leben zu arbeiten, und vielleicht werden wir auch zusammen an unser beider Leben arbeiten. Es wäre schön.

      Zu zweit denkt es sich manchmal leichter über das Leben nach, als allein. Denn manchmal braucht es andere Menschen, die einem die richtigen Fragen stellen, damit man sich weiterentwickeln kann.

      Nach Jahren der fast totalen Einsamkeit merke ich, dass Fragen etwas sind, was mir fehlt. Tiefgehende, ernste Fragen von Menschen, die mir zugehört haben, bevor sie mir eine Frage stellen. Dann nämlich geht so manche Frage sehr tief. Und dann bewegt sie etwas. Und ich möchte, dass sich etwas bewegt in meinem Leben. So wie Kai sich das vielleicht auch für sein Leben wünscht.

      Seit langem einmal wieder habe ich Kai auf der Straße gesehen, als ich gerade einkaufen war. Er schien absichtlich weggesehen zu haben. Ich habe es so sein lassen.

      Wir haben uns schon fast ein Jahr lang nicht mehr gesprochen, seit damals, als ich ihm von meiner geplanten Auszeit an der Nordsee erzählt hatte. An diesem lauschigen frühsommerlichen Abend am Boxhagener Platz in Berlin-Friedrichshain war das, als wir vor dem Spätkauf saßen, in dem er damals gearbeitet hat. Es war so nah plötzlich, dieses Vertrauen begann zu entstehen, dieses Vertrauen des voneinander-Wissens, des einander-Verstehens. Und dann, von einem Tag auf den anderen, war er weg, irgendwohin verschwunden, zum Surfen wahrscheinlich.

      Vorhin hat er weggesehen. Warum? Haben wir uns nichts mehr zu sagen?

      Nein, so fühlt sich das nicht an. Vielleicht hätten wir uns einfach zu viel zu sagen. Zu viel für das, was in unsere jeweiligen Leben passen könnte. Wir haben keinen Platz füreinander.

      Eigenartigerweise habe ich ihn oft genau dann zufällig in unserem Kiez gesehen, wenn ich gerade von der Nordsee zurückgekehrt bin. Zuletzt war das im vergangenen Herbst. Da musste ich noch einmal hin, obwohl ich meine Auszeit im Mai und Juni dort hatte, und zwei Wochen im Sommer. Diese viele Zeit im Norden war mir nicht genug, ich war noch immer hungrig nach diesem Leben an der Küste. Also mussten es auch noch ein paar Tage im Herbst sein, im bunten Laub der Dünenwälder und im Herbststurm am Strand, an der See.

      Ich hätte es nicht ertragen, in den Winter zu gehen, ohne sie noch einmal gesehen, gerochen, gefühlt zu haben.

      Seither ist fast ein halbes Jahr vergangen.

      Nichts scheint mehr zu funktionieren in meinem Berlinleben inzwischen. Dabei war nach der Auszeit alles gut. Ich schien glücklich mit dem mir erschaffenen Leben des Pendelns zwischen Stadt und Land, Berlin und St. Peter-Ording.

      Ich schien es zu sein.

      Alles Lüge? Alles mir zurechtgebogene Wahrnehmung? Alles aus Angst, zu viel verändern zu müssen in meinem Leben?

      Alles Ausreden, vor mir selbst? Ausreden dafür, mein Leben nicht in seiner Gänze leben zu müssen?

      Feigling, ich.

      Es klang noch so gut, was ich dachte nach meiner Rückkehr. Voller Stolz, Freude und innerer Ruhe habe ich da behauptet, dass ich in der Tat neu geworden wäre. Anders aufgestellt, das innere Team von Interessenbekundern, Schwerpunktsetzern, Pläneschmiedern, Erhobene-Zeigefinger-Winkern, subjektiver Zensoren, Aber’s, Ja’s, Nein’s - als hätten sie eine neue Zusammensetzung und Aufstellung. Die Griesgrämigen und Negativen unter ihnen standen ganz hinten an und hatten nichts mehr zu melden. Die Lustvollen, Positiven unter ihnen standen vorn, und bestimmten den Tag. Ich fühlte mich authentisch, ein absolutes Ich.

      Inzwischen ist ein halbes Jahr voller Großstadt und Büroarbeit vergangen. Die Sicherheit und Authentizität, mit der ich zurückgekehrt bin im letzten Jahr, ist verflogen. Ganz langsam, Monat für Monat, hat sich die Unsicherheit eingeschlichen, und hat die Sicherheit verdrängt, die ich in meinem Leben gefunden zu haben schien.

      Woran liegt das? Am Ort, am Tun, an beidem? Am jeweiligen Umfeld, am fehlenden Alleinsein?

      Wäre ich im Norden immer so - so friedlich, ausgeglichen, authentisch - wenn ich immer dort lebte? Egal was ich dabei tun würde?

      Also wieder einmal, oder noch immer, die Frage: liegt das friedliche, authentische Dasein am Tun, oder am Ort? Oder gar am Wechselspiel aus allen Möglichkeiten?

      Die Fragen und Gedanken verstopfen mir den Kopf.

      Nachdem ich meine Einkäufe in der Küche verstaut habe, ziehe ich die Trainingsklamotten an, schnüre die Laufschuhe, und renne los.

      Das habe ich im letzten Jahr gelernt: es hilft, wenn ich mich freirenne. Meinen Kopf leerrenne.

      Es ist noch kalt, der Februarwind pfeift mir entgegen. Ich laufe durch kleine Seitenstraßen in Richtung Spree. Am Treptower Hafen liegen ein paar Ausflugsdampfer im Winterschlaf. Die letzten Eisschollen, Reste der Kälte der vergangenen Wochen, treiben auf dem Fluss. Mein Atem wirft neblige Wölkchen vor mir her, die Schuhe knirschen in gleichmäßigem Rhythmus über den sandig-erdigen Uferweg.

      Es ist Schwachsinn, was ich da vorhin verkorkst und verknotet gedacht habe. Der Winter hat ganz einfach ein Ungleichgewicht in mein Berlin-Nordsee-Pendlerleben gebracht. Aber der Winter geht gerade zu Ende, und die nächste Auszeit naht. Und was für eine!

      Die Umstände sind ganz andere als im vergangenen Jahr. Die Umstände sind eigentlich fantastisch, paradiesisch für mich. Nicht eigentlich. Sie sind es.

      Im Herbst nach meiner Auszeit im letzten Jahr habe ich mich mit Frau Martens getroffen, der Besitzerin des liebreizenden Häuschens auf Eiderstedt, in dem ich gelebt hatte. Wir wollten beide voneinander wissen, wie es uns ergangen ist: ihr damit, dass sie ihr Haus für zwei Monate vermietet hatte - mir damit, in ihrem Haus zwei Monate lang gelebt zu haben.

      Wir haben uns gegenseitig gespannt zugehört. Jede von uns gibt dem Haus einen eigenen Charakter, belebt und beseelt es anders. Aber jede von uns scheint wiederum vom Haus das Gleiche zu empfangen: Geborgenheit, Nestwärme und fast schon spirituellen Schutz. Als läge ein Segen auf diesem Haus, ein ganz spezieller, ein Segen für uns beide, für Frau Martens und mich.

      Frau Martens hat meine Liebe zu ihrem Haus deutlich gespürt. Und sie mag es, wenn Gäste in ihrem Haus sind, die es achten, schätzen, und respektvoll mit ihm umgehen.

      Sie dachte über etwas nach, das spürte ich, als wir im Café in Berlin saßen und in unseren Milchkaffees rührten. Dann sprach sie es aus:

      „Im nächsten Jahr werde ich hauptsächlich bei meinem Sohn

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