Dünenvagabunden. Katrin Maren Schulz
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Ich begann über mich und mein Leben zu reflektieren und lernte schnell, sowohl meine Gedanken, als auch die Hyperakusis, zu verschweigen, denn die anderen verstanden mich nicht. Zu sehr gefangen waren sie in ihrer Projektarbeit und ihrem Leistungsstreben, im Geld verdienen und wieder ausgeben. Effizienz, Effizienz, war ihr Sehnsuchtswort, aber nicht mehr meines. Sie wollten alle mehr und mehr und höher und schneller und weiter kommen, ganz weit, in ihren sogenannten Karrieren.
„Ich will glücklich sein, ausgeglichen und zufrieden, ich will Dankbarkeit empfinden an jedem einzelnen Tag“, habe ich einmal, es war das letzte Treffen mit meinen alten Freunden, gewagt zu sagen.
Es folgte schallendes Gelächter. Nicht, weil sie das lustig fanden, nein. Sie haben mich ausgelacht.
„Dann verdiene mal noch ein bisschen, dann kannst du das im Ruhestand haben“, grienten sie, als hätte ich einen unerreichbaren, vermessenen Wunsch geäußert.
Habe ich vielleicht auch, aus ihrer Lebensansicht heraus, die lange Zeit auch meine war. Wie soll ich ausgeglichen, zufrieden und jedem Moment gegenüber dankbar leben, wenn ich weder mein Leben noch den Moment wahrnehmen kann - vor lauter Arbeit und Projekten und Trends, denen es galt hinterher zu rennen und mitzuspielen, wollte man wer sein.
Sie waren gefangen in ihrem Arbeits- und Konsumwahn, und ich mittendrin. Aber ich war dabei, es zu merken, und mein Körper assistierte mir dabei, indem er mein altes Leben nicht mehr hören wollte. Und so war ich plötzlich und ganz schnell dabei, meinen Ausstieg aus diesem Strudel zu planen.
Den Ausstieg aus dem Strudel des immer-weiter, immer-besser, immer-mehr habe ich geschafft. Den Wiedereinstieg in normales Hören-Können nicht.
Was ich auch nicht geschafft habe, war, gleichgesinnte Menschen zu finden, mit denen ich den neuen Weg gemeinsam gehen könnte. So blieb ich allein auf meinem Weg der Rückbesinnung auf ein einfaches, aber glückliches Leben und dem Bedürfnis nach Stille.
Seither habe ich in der Tat noch eine einzige Angst: die vor anderen Menschen, und den vielen Geräuschen, die durch ihre Anwesenheit entstehen könnten.
Ich habe Angst davor, dass sie nicht so denken und fühlen und hören wie ich. Das könnte ich aber nur herausfinden, wenn ich mit ihnen sprechen würde. Und genau das traue ich mich nicht.
Nur Kai, der blieb, über all die einsamen Jahre hinweg, ein vertrauter Mensch für mich. Leider konnten wir uns bislang nur einmal im Jahr sehen.
Auch Kai hat sich, schon lange, aus diesem Kreislauf des Arbeitens und Konsumierens befreit. Falsch - er hat ihn an seinen Eltern und erwachsenem Umfeld beobachtet, schon als er ein Kind war. Und dabei wurde ihm klar, dass er in das, was er damals als normales Erwachsenenleben kennenlernte, überhaupt erst nie einsteigen würde.
Vielleicht hat er es leichter, weil er ein ganzes Stück jünger ist als ich. Vielleicht auch, weil er nie wirklich drin war in diesen Welten, die offensichtlich eine immense Anziehung auf den Menschen ausüben: die Faszination der Warenwelt, und die Faszination der Arbeitswelt. Sie geben Status und Selbstbewusstsein, meint der Mensch. Und er kauft sich mit den Waren die Hoffnung auf ein zufriedenes Leben, das ihm die Werbung damit verspricht.
Status und Selbstbewusstsein. Beides sind Werte, die in der Realität nur von innen heraus bedient werden können. Kaufen kann man sie nicht. In anderen Welten, am Strand, unter anderen Menschen, ist dieser Status meist rein gar nichts mehr wert. Dann hat nur noch das Innere Wert. Und das Innere wächst nicht durch Konsum.
Wenn ich auf mein altes Leben zurückblicke, dann graut mir vor der Erinnerung, wie vieles ich doch ganz einfach deshalb gekauft habe, weil ich es kaufen konnte! Nicht, weil ich es wirklich brauchte.
Was ich übersehen habe dabei ist, dass ich mir auch hätte Zeit kaufen können - ganz einfach dadurch, dass ich meine Arbeitszeit reduziert hätte. Das ist der Weg, den Marielou geht. Sie hat mir im letzten Sommer davon erzählt, bei unserem ersten abendlichen Gespräch im Strandkorb.
Diese beiden Menschen, die da sind in meinem Leben. Ich merke, wie gerührt ich bin, wenn ich an sie denke. Jeder dieser beiden geht auch andere Wege, so wie ich. Wir alle drei haben jeweils unterschiedliche, eigene Wege für uns gefunden, oder sind noch dabei, sie zu entwickeln.
Das einzige, wofür Kai wirklich Geld braucht, ist das Surfen. Aber mit Gelegenheitsjobs ist das schnell verdient.
Ich habe ihn kennengelernt auf einer superschicken Party in Hamburg, bei einer Arbeitskollegin, er war, und ist, ihr Cousin. Er fiel mir gleich auf, denn er passte optisch so gar nicht in diese Partyrunde in edlen Cocktailkleidchen und eleganten Sakkos. Nein, er passte da wirklich nicht rein, in seinen verbeulten Jeans und seinem Surfer-Shirt, mit sonnenverbrannter Nase und zerzausten Haaren. Er fiel auf, nicht nur mir.
Aber den anderen fiel er optisch auf, und ihren Blicken nach zu urteilen fiel er ihnen mit seinem Äußeren auch negativ auf. Ich empfand sein Äußeres als eine Wohltat, es war schon in der Zeit, in der ich mein damaliges Leben begann, in Frage zu stellen. An der Bar kamen wir ins Gespräch, weil wir beide gerne ein bodenständiges Bier gehabt hätten, aber nur die Wahl hatten zwischen Champagner und Cocktails. Mit unseren Champagnergläsern haben wir uns an den Rand dieser Gesellschaft verzogen, an die Brüstung der riesigen Dachterrasse mit Blick auf das nächtliche Hamburg.
„Na, fühlen Sie sich unwohl in dieser Gesellschaft hier?“ fragte mich Kai augenzwinkernd.
Erschrocken gab ich zurück: „Wieso, sieht man mir das etwa an?“
Er lachte leise, schwieg, und blickte nicht mehr mich an, sondern die abendliche Stadt, die halb vor, halb unter uns lag.
Schweigen.
Es war mir zunächst unangenehm. Was denken die anderen, die uns hier stehen sehen?
Die anderen, die anderen, was denken die anderen. Das, zumindest, habe ich inzwischen nun wirklich abgelegt.
Es müssen viele Minuten vergangen sein, bis ich mich traute, etwas auszusprechen, was mir genau in diesen Minuten überhaupt erst klar geworden war. Und ich sprach es aus gegenüber diesem mir eigentlich wildfremden jungen Mann, von dem ich lediglich wusste, dass er der Cousin der Gastgeberin war:
„Ich fühle mich nicht nur unwohl in dieser Gesellschaft hier, ich fühle mich unwohl in mir selbst und in meinem Leben.“
Hätte er mir sofort geantwortet, hätte ich seine Antwort wahrscheinlich für ein beschwichtigendes Herausreden gehalten. Aber er ließ sich Zeit, und mich nervös werden. Hatte ich mich nun vollkommen vor diesem Mann blamiert, der eindeutig einer jüngeren Generation angehört, die vieles viel lockerer sieht als ich?
Nein, hatte ich nicht, wie ich aus seiner Antwort, die Minuten später kam, heraushörte:
„Ich vermute, Ihr Leben sieht schon seit einigen Jahren so aus, wie es hier auf dieser Party aussieht. Schick, aber oberflächlich. Turbulent, aber sinnlos. Allem hier fehlt jeglicher Tiefgang, oder Inhalt, so ein Inhalt, der den Gedanken ‚wow - das hier ist mein Leben‘ auslöst.“
Er machte eine kurze Pause. Auf der nächtlichen Elbe zog ein Partyschiff vorbei, voller tanzender Menschen und bunter Lampions. Sie wirkten fröhlich und ausgelassen - das genaue Gegenteil von meiner Stimmung. Endlich sprach Kai weiter:
„Was kann ich für dich tun? Soll ich dir ein anderes Leben