Helmut Schmidt. Neue Osnabrücker Zeitung
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3. Oktober 1976
1976: Kohl scheitert nur knapp gegen Schmidt
Zwei Stunden nach seiner Wahl durch den Deutschen Bundestag wird Helmut Schmidt am 15.12.1976 als Bundeskanzler vereidigt. (picture alliance / dpa)
Berlin (dpa) - „Freiheit statt Sozialismus“: Mit dem polarisierenden Slogan sagt die Union im Wahlkampf 1976 der sozial-liberalen Koalition unter Helmut Schmidt (SPD) den Kampf an. Angesichts anhaltender Konjunkturflaute infolge der Ölkrise und hoher Arbeitslosigkeit setzt die SPD auf das Macher-Image des Wirtschaftsexperten Schmidt, der 1974 den über die Guillaume-Affäre gestürzten Willy Brandt abgelöst hat. Für die Union tritt erstmals der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl an.
Die Rote Armee Fraktion (RAF) hält die Republik bereits in Atem, entsprechend groß ist das Thema innere Sicherheit. Daneben bestimmen Renten-, Steuer- und Finanzpolitik den Wahlkampf. Die Rezession hat große Löcher in die öffentlichen Kassen gerissen, die Finanzierung des Sozialstaats wird schwieriger. Dennoch fehlt es an zündenden Themen, die wie Brandts Ostpolitik vier Jahre zuvor alle bewegen. Dem rationalen Schmidt fehlt nach Ansicht parteiinterner Kritiker die Emotionalität seines Herausforderers.
Bei der Wahl am 3. Oktober ist Kohl dem Kanzler so dicht auf den Fersen wie noch kein Kandidat zuvor. Die Union erhält mit 48,6 Prozent (+3,7) ihr bis dahin zweitbestes Ergebnis und wird stärkste Fraktion, doch für einen Wechsel reicht es nicht. Die SPD sinkt auf 42,6 Prozent (-3,2). Die FDP erreicht 7,9 Prozent (-0,5). Damit kann sich die rot-gelbe Koalition knapp behaupten. Schmidt bleibt Kanzler, erhält aber bei seiner Wiederwahl nur eine Stimme mehr als nötig. Kohl wechselt als Oppositionsführer von Mainz nach Bonn.
Die innere Sicherheit bleibt eines der bestimmenden Themen der neuen Wahlperiode. Im „Deutschen Herbst“ 1977 erreicht der RAF-Terror seinen Höhepunkt. Schmidt reagiert mit unnachgiebiger Härte. Der Nato-Doppelbeschluss von 1979, bei dem der SPD-Kanzler entscheidend mitwirkt, gibt der Friedensbewegung Auftrieb. Schmidt kann sich Teilen seiner Partei von da an nicht mehr sicher sein.
5. September 1977
Deutscher Herbst
Berlin (dpa) - Mit der Geiselnahme von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer am 5. September 1977 in Köln begann eine Entwicklung, die als „Deutscher Herbst“ in die Geschichte einging.
Mehr als sechs Wochen lang hielt eine Terrorwelle der Roten Armee Fraktion (RAF) die Bundesrepublik in Atem. Einen Tag nach der Entführung Schleyers, bei der seine vier Begleiter ermordet wurden, forderte die RAF die Freilassung inhaftierter Terroristen in ein Land ihrer Wahl. Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) war jedoch nicht gewillt, auf die Forderung einzugehen.
Nach Bekanntgabe eines Ultimatums und einem Polizistenmord durch die RAF in den Niederlanden kaperten schließlich am 13. Oktober vier palästinensische Terroristen ein Flugzeug. Die Lufthansa-Maschine „Landshut“ war mit 91 Menschen an Bord auf dem Weg von Mallorca nach Deutschland, als sie nach Somalia entführt wurde. Wenig später wurde der Flugkapitän Jürgen Schumann erschossen.
Die Terroristen forderten die Freilassung der RAF-Inhaftierten und 15 Millionen US-Dollar. Im Falle der Nichteinlösung drohten die Entführer mit der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten und aller Flugzeug-Passagiere.
Letzteres konnte durch ein Kommando des Bundesgrenzschutzes, die Grenzschutzgruppe GSG 9, verhindert werden. Die Geiseln wurden am 18. Oktober in Mogadischu befreit. Wenige Stunden später wurden die Leichen der drei RAF-Anführer Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Carl Raspe im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim gefunden. Das Trio hatte Selbstmord begangen. Am 19. Oktober 1977 wurde Schleyer im Kofferraum eines Autos ermordet aufgefunden.
5. September 1977
Die wichtigsten Akteure im „Deutschen Herbst“ 1977
Das undatierte Tableau zeigt die per Haftbefehl gesuchten Terroristen (oben, l-r): Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Ronald Augustin, (unten l-r): Jan-Carl Raspe, Klaus Jünschke, Ilse Stachowiak und Irmgard Möller. (picture alliance / dpa)
Berlin (dpa) - Der „Deutsche Herbst“ 1977 ist untrennbar mit bestimmten Namen verknüpft. dpa stellt einige der handelnden Personen von damals vor:
HELMUT SCHMIDT: Der SPD-Politiker macht in jenen Herbsttagen 1977 die schlimmste Zeit seiner acht Jahre im Kanzleramt durch. Schmidt leitet den Großen Krisenstab, der immer wieder über die neuesten Entwicklungen berät. Der ehemalige Oberleutnant und Verteidigungsminister bleibt bei seiner harten Linie, den RAF- Forderungen nicht nachzugeben. Als palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführen, befiehlt er die Erstürmung durch die Anti-Terror-Einheit GSG 9. Die Aktion gelingt - andernfalls hätte Schmidt wohl als Bundeskanzler zurücktreten müssen. Dennoch fühlt sich der 88-Jährige heute noch „verstrickt in Schuld“ gegenüber dem ermordeten Schleyer und seiner Witwe, wie er der Wochenzeitung „Die Zeit“ sagte, die er mit herausgibt.
HANNS MARTIN SCHLEYER: Der Mann mit dem markanten Schmiss im Gesicht ist 1977 eine der Symbolfiguren der deutschen Wirtschaft - und damit das ideale Opfer für die RAF. Seit 1963 im Vorstand von Daimler-Benz, seit 1973 Präsident der deutschen Arbeitgeber, seit Januar 1977 zusätzlich Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Aber auch wegen seiner Vergangenheit im Dritten Reich - Schleyer war früh Mitglied der SS, dann Nazi-Studentenführer und schließlich an einflussreicher Stelle im besetzten Prag tätig - ist er eine Reizfigur. Am 5. September 1977 wird Schleyer von einem RAF-Kommando in Köln entführt. Vier Begleiter sterben sofort. Sechs Wochen später wird im Kofferraum eines Autos im Elsass auch seine Leiche entdeckt. Der 62-Jährige hinterlässt Frau und vier Söhne.
HANS-JÜRGEN WISCHNEWSKI: Der ehemalige Gewerkschaftssekretär und SPD- Bundesgeschäftsführer ist seinerzeit Staatsminister im Kanzleramt mit besten Beziehungen in die arabische Welt. Diesen Kontakten verdankt Wischnewski auch seinen Spitznamen „Ben Wisch“. Als nervenstarker Krisenmanager muss er der entführten „Landshut“ bis nach Somalia hinterherreisen. Dort können die 86 Geiseln durch die GSG 9 befreit werden. Mit einem Anruf nach Bonn meldet Wischnewski Vollzug: „Die Arbeit ist erledigt.“ Für „Ben Wisch“ ist dies der Höhepunkt seiner politischen Karriere. Der ehemalige Entwicklungshilfeminister starb im Alter von 82 Jahren am 24. Februar 2005 in Köln.
HORST HEROLD: Als Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) ist Horst Herold in den 70er Jahren wohl Deutschlands erfolgreichster Terroristenjäger. Allerdings machen seine Methoden - vor allem die Einführung der elektronischen Rasterfahndung - den früheren Richter und Staatsanwalt für viele zur Verkörperung des Überwachungsstaats. Als der „Deutsche Herbst“ vorüber ist, werden seine Datenbanken mehr und mehr als Bedrohung bürgerlicher Freiheiten angesehen. Nach Meinungsverschiedenheiten mit FDP-Innenminister Gerhart