Die Namenlosen. Уилки Коллинз
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Читать онлайн книгу Die Namenlosen - Уилки Коллинз страница 19
„Schon Mittagessenszeit?“, fragte sie. „Das kann doch nicht sein!“
„Bist du mit Mr. Francis Clare seit zehn Uhr allein im Sträuchergarten?“, fragte Norah.
„Mr. Francis Clare! Wie lächerlich formell du bist. Warum nennst du ihn nicht Frank?“
„Ich habe dir eine Frage gestellt, Magdalen.“
„Du liebe Güte, wie düster du heute Morgen aussiehst! Ich bin wohl in Ungnade gefallen. Hast du mir noch nicht verziehen, dass ich gestern Abend so gespielt habe? Ich konnte nicht anders, meine Liebe; ich hätte aus der Julia nichts machen können, wenn ich mir nicht dich zum Vorbild genommen hätte. Das ist eine ganz und gar künstlerische Frage. Ich an deiner Stelle hätte mich durch die Auswahl geschmeichelt gefühlt.“
„An deiner Stelle, Magdalen, hätte ich zweimal nachgedacht, bevor ich meine Schwester vor einem Publikum von Fremden nachmache.“
„Genau deshalb habe ich es ja gemacht – ein Publikum von Fremden. Woher sollten sie es wissen? Ach komm, sei nicht böse. Du bist acht Jahre älter als ich und solltest mir ein Beispiel in Sachen Humor geben.“
„Ich werde dir ein Beispiel in Sachen Offenheit geben. Ich kann dir gar nicht sagen, wie Leid es mir tut, dass ich dich gerade jetzt hier treffe, Magdalen.“
„Und was kommt als Nächstes? Du triffst mich hier zu Hause im Sträuchergarten, während ich mit meinem alten Spielkameraden, den ich schon kannte, als ich nicht größer war als dieser Regenschirm, über eine private Theateraufführung rede. Das ist natürlich eine krasse Unschicklichkeit, nicht wahr? ‚Honi soit qui mal y pense.‘ Eben wolltest du eine Antwort – hier ist sie, meine Liebe, in höchst gewähltem Normannisch-Französisch.“
„Ich meine es ernst, Magdalen…“
„Daran habe ich keinen Zweifel. Niemand kann dir vorwerfen, du würdest irgendwann einmal Witze machen.“
„Es tut mir aufrichtig Leid…“
„Du liebe Güte!“
„Es ist völlig nutzlos, mich zu unterbrechen. Mir liegt es auf dem Gewissen, dir zu sagen – und ich werde es dir sagen –, dass es mir Leid tut zu sehen, wie diese Vertraulichkeit wächst. Es tut mir Leid zu sehen, dass sich zwischen dir und Mr. Francis Clare bereits ein geheimes Einverständnis gebildet hat.“
„Der arme Frank! Du musst ihn wirklich sehr hassen. Was um alles in der Welt hat er getan, dass du so beleidigt bist?“
Erste Anzeichen deuteten darauf hin, dass Norahs Selbstbeherrschung ins Wanken geriet. Ihre dunklen Wangen glühten und ihre zarten Lippen zitterten, als sie wieder zum Sprechen ansetzte. Magdalen schenkte ihrem Regenschirm mehr Aufmerksamkeit als ihrer Schwester. Sie warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf. „Einmal!“, sagte sie – und warf ihn wiederum in die Höhe. „Zweimal!“ – und sie warf ihn noch höher. „Dreimal…“ Aber bevor sie ihn zum dritten Mal auffangen konnte, griff Norah leidenschaftlich nach ihrem Arm, und der Schirm fiel zwischen ihnen zu Boden.
„Du bist herzlos zu mir“, sagte sie. „Schäm’ dich, Magdalen, schäm’ dich!“
Der unbezähmbare Ausbruch einer zurückhaltenden Natur, die von ihrem eigenen Trotz zur offenen Selbstbehauptung gezwungen wird, ist unter allen moralischen Kräften die unwiderstehlichste. Magdalen schreckte zusammen und schwieg. Einen Moment lang standen sich die beiden Schwestern – die sich in Person und Charakter so seltsam unähnlich waren – gegenüber, ohne dass zwischen ihnen ein Wort gewechselt wurde. Einen Moment lang blickten die tiefbraunen Augen der Älteren und die hellgrauen Augen der Jüngeren einander in stetigem, unnachgiebigem Forschen an. Norahs Gesicht veränderte sich als Erstes. Schweigend ließ sie den Arm der Schwester fallen. Magdalen bückte sich und hob den Regenschirm auf.
„Ich bemühe mich, mein Temperament im Zaum zu halten, und dafür nennst du mich herzlos“, sagte sie. „Du warst immer streng mit mir und wirst es immer sein.“
Norahs zitternde Hände krampften sich fest ineinander. „Streng mit dir!“, sagte sie mit leiser, trauriger Stimme – und seufzte bitter.
Magdalen trat ein wenig zurück und reinigte den Schirm mechanisch mit dem Zipfel ihres Gartenmantels.
„Ja!“, setzte sie beharrlich hinzu. „Streng mit mir und streng mit Frank.“
„Frank!“, wiederholte Norah. Sie trat auf ihre Schwester zu und wurde ebenso schnell blass, wie sie zuvor errötet war. „Redest du von dir und Frank schon so, als wären eure Interessen ein und dieselben? Magdalen! Wenn ich dich verletze, verletze ich dann auch ihn? Ist er dir so nahe und so lieb?“
Magdalen wich immer weiter zurück. Ein Zweig von einem Baum hätte sich beinahe in ihrem Mantel verfangen; sie drehte sich unwirsch um, brach ihn ab und warf ihn auf den Boden. „Welches Recht hast du, mich auszufragen?“, brach es plötzlich aus ihr heraus. „Ob ich Frank mag oder ob ich ihn nicht mag, was geht dich das an?“ Als sie diese Worte aussprach, trat sie abrupt vor, um an ihrer Schwester vorüber zum Haus zurückzugehen.
Norah, die blasser und blasser wurde, versperrte ihr den Weg. „Und wenn ich dich mit Gewalt zurückhalten muss“, sagte sie, „du wirst stehen bleiben und mir zuhören. Ich habe diesen Francis Clare beobachtet; ich kenne ihn besser als du. Er ist keinen Augenblick ernster Gefühle deinerseits wert; er ist des Interesses unseres lieben, guten, großherzigen Vaters nicht wert. Ein Mann mit den geringsten Prinzipien, mit dem geringsten Ehrgefühl, mit der geringsten Dankbarkeit wäre nicht zurückgekommen, wie er zurückgekommen ist: blamiert – ja! Blamiert durch die kraftlose Missachtung seiner eigenen Pflicht. Ich habe sein Gesicht gesehen, als der Freund, der besser als ein Vater zu ihm war, ihn mit einer Freundlichkeit, die er nicht verdient hatte, getröstet und ihm verziehen hat. Ich habe sein Gesicht beobachtet, und ich habe darin keine Scham und keinen Kummer gesehen – nichts als einen Blick der undankbaren, herzlosen Erleichterung. Er ist egoistisch, er ist undankbar, er ist kleinlich – er ist erst zwanzig und hat schon die größten Fehler eines schäbigen hohen Alters. Und das ist der Mann, von dem ich feststellen muss, dass du dich heimlich mit ihm triffst – der Mann, der in deiner Gunst einen solchen Platz einnimmt, dass du taub für die Wahrheit über ihn bist, selbst wenn sie von meinen Lippen kommt! Magdalen! Das wird böse enden. Um Gottes Willen, denke darüber nach, was ich dir gesagt habe, und beherrsche dich, bevor es zu spät ist!“ Leidenschaftlich und atemlos blieb sie stehen und nahm ihre Schwester ängstlich bei der Hand.
Magdalen sah sie mit unverhohlenem Erstaunen an.
„Du bist so heftig“, sagte sie, „und so gar nicht du selbst. Ich erkenne dich kaum wieder. Je mehr Geduld ich habe, desto mehr harte Worte bekomme ich für meine Mühen. Du hegst einen verdrehten Hass gegen Frank, und du bist unsinnig wütend auf mich, weil ich ihn nicht auch hasse. Nicht, Norah! Du tust meiner Hand weh!“
Norah stieß die Hand verächtlich von sich. „Ich werde nie deinem Herzen wehtun“, sagte sie; und während sie die Worte aussprach, drehte sie Magdalen plötzlich den Rücken zu.
Stille trat ein. Norah behielt ihre Haltung bei. Magdalen sah sie verblüfft an, zögerte und ging schließlich allein zum Haus.
An der Biegung des Weges durch den Sträuchergarten blieb sie stehen und blickte beklommen zurück. „Oh je, oh je!“, dachte sie, „warum ist Frank