Die Namenlosen. Уилки Коллинз
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Mr. Vanstone, der das unheilvolle Schweigen seiner Frau und Miss Garth’ entweder falsch deutete oder nicht beachtete, gab Magdalen nicht nur die Erlaubnis, der verzweifelten Theatertruppe zu Hilfe zu kommen, sondern nahm für Norah und sich selbst auch die Einladung an, der Aufführung beizuwohnen. Mrs. Vanstone lehnte es mit Verweis auf ihren Gesundheitszustand ab, sie zu begleiten. Und Miss Garth sagte, sie werde nur unter der Bedingung im Publikum sein, dass sie zu Hause nicht gebraucht werde. Die Rollenbücher von „Lucy“ und „Falkland“ (die die bekümmerte Familie wie eine nebenbei aufgelesene Krankheit stets bei sich trug) wurden sofort ihren Darstellern übergeben. Franks schwacher Protest wurde unbeachtet zurückgewiesen; die Tage und Uhrzeit der Proben wurden sorgfältig auf den Umschlägen der Rollenbücher vermerkt; dann verabschiedeten sich die Marrables mit überschwänglichem Dank – Vater, Mutter und Tochter setzten den lautstarken Ausdruck ihrer Dankbarkeit von der Tür des Wohnzimmers bis zum Gartentor fort.
Sobald die Kutsche davongefahren war, präsentierte sich Magdalen der Beobachtung aller unter einem völlig neuen Gesichtspunkt.
„Falls heute noch einmal Besuch kommt“, sagte sie mit der größten Gewichtigkeit in Blicken und Betragen, „bin ich nicht zu Hause. Das ist eine viel ernstere Angelegenheit als irgendeiner von euch vermutet. Geh’ allein irgendwohin, Frank, und lies deine Rolle und lass’ deine Aufmerksamkeit nicht abschweifen, wenn es dir irgendwie möglich ist. Ich bin bis heute Abend nicht zu sprechen. Wenn ihr – mit Papas Erlaubnis – nach dem Tee herkommen wollt, stehen euch meine Ansichten über das Thema Falkland zur Verfügung. Thomas! Was der Gärtner auch sonst noch tun mag, er soll unter meinem Fester keinen blumenpflegerischen Lärm machen. Während des restlichen Nachmittags werde ich mich in das Studium vertiefen – und je stiller es im Haus ist, desto mehr wäre ich euch allen verbunden.“
Noch bevor Miss Garth’ Vorwurfsbatterie das Feuer eröffnen konnte und bevor der erste Ausbruch von Mr. Vanstones herzhaftem Gelächter über seine Lippen kam, verbeugte sie sich mit unerschütterlicher Gewichtigkeit, stieg die Treppe im Haus zum ersten Mal in ihrem Leben nicht laufend, sondern gehend hinauf, und zog sich auf der Stelle in den Bereich der Schlafzimmer zurück. Franks hilfloses Erstaunen über ihr Verschwinden fügte der Szene ein weiteres Element der Absurdität hinzu. Er stand zuerst auf dem einen Bein und dann auf dem anderen, rollte sein Rollenbuch zusammen und wieder auseinander, und blickte kläglich in die Gesichter seiner umstehenden Freunde. „Ich weiß genau, dass ich das nicht kann“, sagte er. „Darf ich nach dem Tee herkommen und Magdalens Meinung hören? Vielen Dank – ich schaue gegen acht Uhr herein. Bitte erzählen Sie meinem Vater nichts von dieser Schauspielerei. Sonst höre ich ihn ewig davon reden.“ Das waren die einzigen Worte, die zu äußern er die Kraft hatte. Er schlenderte, das aufgeschlagen herunterhängende Rollenbuch in der Hand, unbestimmt in Richtung der Sträucher – der ratloseste aller Falklands und der hilfloseste unter den Menschen.
Nach Franks Abgang war die Familie allein, und damit war das Signal gegeben für einen Angriff auf Mr. Vanstones unverbesserliche Sorglosigkeit bei der Ausübung seiner väterlichen Autorität.
„Was hast du dir denn dabei gedacht, Andrew, als du deine Zustimmung gegeben hast?“, fragte Mrs. Vanstone. „Mein Schweigen war für dich doch sicher Warnung genug, damit du nein sagst?“
„Ein Fehler, Mr. Vanstone“, warf Miss Garth ein. „Begangen mit den besten Absichten – aber ein Fehler trotz allem.“
„Es war vielleicht ein Fehler“, sagte Norah, die wie gewöhnlich die Partei ihres Vaters ergriff, „aber ich weiß wirklich nicht, wie Papa oder irgendjemand sonst unter diesen Umständen hätte ablehnen können.“
„Ganz recht, meine Liebe“, bemerkte Mr. Vanstone. „Die Umstände waren, wie du sagst, ganz und gar gegen mich. Da waren auf der einen Seite diese Leute in ihrer misslichen Lage, und auf der anderen war Magdalen ganz wild darauf, mitzuspielen. Ich kann nicht sagen, dass ich moralinsaure Einwände habe – ich habe nichts Moralinsaures an mir. Welche Ausrede hätte ich sonst vorbringen sollen? Die Marrables sind ehrenwerte Leute und verkehren in Clifton in der besten Gesellschaft. Welchen Schaden sollte Magdalen in deren Haus erleiden? Wenn es um Vernunft oder so etwas geht – warum sollte Magdalen nicht tun, was auch Miss Marrable tut? Da habt ihr’s! Lasst die armen Mädchen spielen und ihren Spaß haben. Wir waren auch einmal in ihrem Alter. Es hat keinen Zweck, darum großen Wirbel zu machen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“
Mit dieser charakteristischen Verteidigung seines eigenen Verhaltens schlenderte Mr. Vanstone wieder zum Gewächshaus, um noch eine Zigarre zu rauchen.
„Ich habe es Papa nicht gesagt“, sagte Norah, wobei sie auf dem Weg zurück zum Haus ihre Mutter am Arm fasste, „aber die Schauspielerei wird nach meiner Meinung die unangenehme Folge haben, dass sie einer größeren Vertrautheit zwischen Magdalen und Francis Clare Vorschub leistet.“
„Du hast Vorurteile gegen Frank, meine Liebe“, sagte Mrs. Vanstone.
Norahs weiche, geheimnisvolle, haselnussbraune Augen senkten sich zu Boden; sie schwieg. Ihre Ansichten waren durch nichts zu erschüttern, aber sie diskutierte nie mit jemandem darüber. Sie hatte die große Schwäche eines zurückhaltenden Wesens: die Schwäche der Halsstarrigkeit; und die große Stärke: die Stärke der Verschwiegenheit. „Was geht dir jetzt wohl durch den Kopf?“, dachte Miss Garth, als sie einen scharfen Blick auf Norahs dunkles, gesenktes Gesicht warf. „Du bist eine von der undurchschaubaren Sorte. Gib mir Magdalen mit all ihrer Verdrehtheit; durch sie kann ich das Tageslicht sehen. Du bist dunkel wie die Nacht.“
Die Stunden des Nachmittags verstrichen, und Magdalen hatte sich immer noch in ihrem Zimmer eingeschlossen. Keine unruhigen Schritte trappelten auf der Treppe; keine flinke, plappernde Zunge war hier oder dort oder irgendwo zu hören, vom Dachboden bis zur Küche. Das Haus schien kaum noch das gleiche zu sein, nachdem ihm das einzige Element, das stets den Gleichmut der Familie gestört hatte, abhanden gekommen war. Miss Garth war erpicht darauf, mit eigenen Augen den Tatbestand einer Verwandlung zu sehen, an die sie auf Grund früherer Erfahrungen nicht zu glauben geneigt war. Sie ging hinauf zu Magdalens Zimmer, klopfte zweimal an die Tür, bekam keine Antwort, öffnete und blickte hinein.
Magdalen saß in einem Sessel vor dem hohen Spiegel; die offenen Haare fielen ihr über die Schultern. Sie war ganz in das Studium ihrer Rolle vertieft und hatte sich in ihren bequemen Morgenmantel gehüllt, bis es an der Zeit war, sich zum Abendessen anzukleiden. Hinter ihr saß ihre Kammerzofe; langsam kämmte sie die langen, schweren Locken ihrer Herrin mit der schläfrigen Ergebenheit einer Frau, die schon seit einigen Stunden der gleichen Tätigkeit nachgeht. Die Sonne schien; die grünen Fensterläden waren geschlossen. Das schwache Licht fiel sanft auf die beiden still dasitzenden Gestalten. Auf das kleine Bett, dessen Vorhänge mit Knoten aus rosafarbenem Band hochgebunden waren, und auf das helle Kleid, das darauf für das Abendessen bereit lag. Auf das fröhlich bemalte Waschgeschirr mit seinem Überzug aus rein weißem Email. Auf den Toilettentisch mit seinen glitzernden Utensilien, seinen Kristallflaschen, der silbernen Glocke mit einem Cupido als Griff, dem Flitter an kleinen Annehmlichkeiten, die den Tempel eines Frauenschlafzimmers schmücken. Die üppige Stille der ganzen Szene; der kühle Duft von Blüten und Parfüm in der Luft; die selbstvergessene Haltung der in ihre Lektüre vertieften Magdalen; die monotone Regelmäßigkeit der Bewegungen von Hand und Arm der Zofe, die den Kamm immer wieder sanft durch die Haare ihrer Herrin zog – all das vermittelte den gleichen beruhigenden Eindruck einer schläfrigen, köstlichen Stille. Auf der einen Seite der Tür waren das helle Tageslicht und die Realitäten des Familienlebens. Auf der anderen war ein Traumland von elysischer Heiterkeit, ein Zufluchtsort von unerschütterlicher Ruhe.
Miss