Die Namenlosen. Уилки Коллинз
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Und das Geheimnis, das jetzt in dem Haushalt von Combe-Raven verborgen lag? Auf welche Weise war es dazu verdammt, ans Licht zu kommen? Durch welches bevorstehende Ereignis im täglichen Leben von Vater, Mutter und Töchtern sollte das Gesetz der Offenbarung den fatalen Weg zur Aufdeckung finden? Der Weg eröffnete sich (ungesehen von den Eltern, unerwartet von den Kindern) durch das erste Ereignis, das sich nach Mr. und Mrs. Vanstones Rückkehr abspielte – ein Ereignis, das auf den ersten Blick von keinem wichtigeren Interesse sein sollte als die banale gesellschaftliche Zeremonie eines morgendlichen Besuches.
Drei Tage nachdem der Herr und die Herrin von Combe-Raven zurückgekehrt waren, saßen die weiblichen Familienmitglieder zufällig gerade zusammen im Frühstückszimmer. Aus den Fenstern eröffnete sich der Blick über den Blumen- und Sträuchergarten; letzterer war an seinem äußersten Rand durch einen Zaun geschützt, und von dem Weg dahinter erreichte man ihn durch ein Gartentor. Während einer Gesprächspause wurde die Aufmerksamkeit der Damen plötzlich durch das scharfe Geräusch des eisernen Riegels, der in seine Halterung fiel, auf dieses Tor gelenkt. Jemand war von dem Fahrweg in den Sträuchergarten getreten; Magdalen postierte sich sofort am Fenster, um durch die Bäume einen ersten Blick auf den Besucher zu erhaschen.
Nach einigen Minuten wurde an der Stelle, wo der von Sträuchern gesäumte Weg sich mit dem gewundenen Gartenpfad vereinigte, die Gestalt eines Gentleman sichtbar. Magdalen betrachtete ihn aufmerksam und anfangs offenbar ohne zu wissen, wer er war. Als er aber näher kam, sprang sie erstaunt auf, wandte sich schnell zu ihrer Mutter und Schwester, und erklärte, der Gentleman im Garten sei kein anderer als „Mr. Francis Clare“.
Der so angekündigte Besucher war der Sohn von Mr. Vanstones ältestem Gesellschafter und nächsten Nachbarn.
Mr. Clare der Ältere bewohnte ein unscheinbares kleines Cottage unmittelbar außerhalb des Gartenzauns, der die Grenze der Ländereien von Combe-Raven kennzeichnete. Er gehörte zum jüngeren Zweig einer sehr alten Familie, aber das einzige nennenswerte Erbe, das er von seinen Vorfahren erhalten hatte, war eine großartige Bibliothek, die nicht nur alle Zimmer seiner bescheidenen kleinen Behausung einnahm, sondern auch die Treppenhäuser und Korridore. Mr. Clares Bücher stellten das einzige bedeutsame Interesse in Mr. Clares Leben dar. Er war schon seit vielen Jahren Witwer und machte kein Geheimnis aus seiner philosophischen Resignation über den Tod seiner Frau. Als Vater betrachtete er seine Familie aus drei Söhnen im Licht eines notwendigen häuslichen Übels, welches ständig die Unantastbarkeit seines Studierzimmers und die Sicherheit seiner Bücher bedrohte. Wenn die Jungen in die Schule gingen, sagte Mr. Clare „Auf Wiedersehen“ zu ihnen und „Gott sei Dank“ zu sich selbst. Wie sein kleines Einkommen und seine noch kleinere häusliche Umgebung, so betrachtet er auch sie aus dem gleichen satirisch-gleichgültigen Blickwinkel. Sich selbst bezeichnete er als Almosenempfänger mit Stammbaum. Die gesamte Leitung seines Haushalts hatte er einer schlampigen alten Frau übertragen, die sei einziger Dienstbote war, und dabei hatte er nur die Bedingung gestellt, dass sie sich während des ganzen Jahres nie mit dem Staubwedel seinen Büchern nähern durfte. Seine Lieblingsdichter waren Horaz und Pope; die Philosophen seiner Wahl waren Hobbes und Voltaire. Körperliche Betätigung und frische Luft ließ er sich nur unter Protest angedeihen; dabei ging er stets auf der hässlichsten Landstraße der ganzen Gegend die gleiche Strecke bis zu einem Gatter. Er war krumm im Rücken und hitzig im Gemüt. Er konnte Radieschen verdauen und nach grünem Tee schlafen. Seine Ansichten über die Natur des Menschen waren die Ansichten eines Diogenes, abgemildert durch Rochefoucauld; in seinen persönlichen Gewohnheiten war er in höchstem Maße nachlässig; und am liebsten prahlte er damit, er habe alle menschlichen Vorurteile überlebt.
So war er, dieser einzigartige Mann, was seine vordergründigeren Eigenschaften anging. Welche edleren Qualitäten er vielleicht unter der Oberfläche besaß, hatte nie jemand herausgefunden. Mr. Vanstone behauptete zwar steif und fest, Mr. Clares schlimmste Seite sei seine Außenseite, aber mit dieser Meinungsäußerung stand er unter seinen Nachbarn allein. Die Verbindung zwischen den beiden höchst ungleichen Männern hatte schon viele Jahre überdauert und war fast so eng, dass man von Freundschaft sprechen konnte. Sie hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, an manchen Abenden der Woche im Studierzimmer des Zynikers gemeinsam zu rauchen und dabei über jedes nur vorstellbare Thema zu diskutieren – wobei Mr. Vanstone die harten Keulen der Behauptung schwang und Mr. Clare mit den scharf geschliffenen Instrumenten der Sophisterei parierte. Im Allgemeinen gerieten sie abends in Streit, und am nächsten Morgen trafen sie sich auf dem neutralen Boden des Sträuchergartens, um sich wieder zu versöhnen. Die so geschlungenen Bande des Umganges wurden auf Mr. Vanstones Seite durch ein herzliches Interesse an den drei Söhnen seines Nachbarn gestärkt – ein Interesse, von dem die Söhne umso stärker profitierten, weil sie sahen, dass eines der Vorurteile, die ihr Vater hinter sich gelassen hatte, das Vorurteil zu Gunsten seiner eigenen Kinder war.
„Ich betrachte diese Jungen mit vollkommen unparteiischem Blick“, pflegte der Philosoph zu sagen. „Ich schließe den unwichtigen Zufall ihrer Geburt aus allen Überlegungen aus; und ich halte sie in jeder Hinsicht für unterdurchschnittlich. Die einzige Ausrede, die ein armer Gentleman hat, wenn er sich erdreistet, im neunzehnten Jahrhundert zu leben, ist die Ausrede einer außergewöhnlichen Befähigung. Meine Jungen waren von frühester Kindheit an Hohlköpfe. Hätte ich Kapital, das ich ihnen geben könnte, ich würde Frank zum Metzger machen, Cecil zum Bäcker und Arthur zum Gemüsehändler – das sind nach meiner Kenntnis die einzigen Berufe, für die mit Sicherheit immer Bedarf besteht. Aber wie die Dinge liegen, habe ich kein Geld, um ihnen zu helfen; und sie haben kein Gehirn, um sich selbst zu helfen. Sie kommen mir vor wie drei menschliche Überflüssigkeiten in schmutzigen Jacken und lärmenden Stiefeln; und wenn sie sich nicht selbst aus der Gemeinde fortscheren und weglaufen, behaupte ich nicht, ich könnte erkennen, was mit ihnen anzufangen wäre.“
Zum Glück für die Jungen waren Mr. Vanstones Ansichten noch fest in den üblichen Voreingenommenheiten gefangen. Durch seine Vermittlung und seinen Einfluss wurden Frank, Cecil und Arthur in eine gut beleumundete Oberschule aufgenommen. In den Ferien wurde es ihnen wohlwollend gestattet, auf Mr. Vanstones Pferdekoppel herumzulaufen; und im Haus wurden sie durch die Mrs. Vanstones Gesellschaft und die ihrer Töchter gesitteter und kultivierter. Bei solchen Gelegenheiten pflegte Mr. Clare manchmal (in Hausmantel und Pantoffeln) von seinem Landhaus herüberzukommen und die Jungen durch das Fenster oder über den Zaun verächtlich anzusehen, als wären sie drei wilde Tiere, die sein Nachbar zu zähmen versuchte. „Sie und Ihre Gattin sind hervorragende Menschen“, sagte er häufig zu Mr. Vanstone. „Ich respektiere von ganzem Herzen Ihre ernsthaften Vorurteile zu Gunsten meiner Jungen. Aber Sie haben so Unrecht damit – ja, wirklich! Ich möchte niemanden beleidigen; ich spreche vollkommen unparteiisch – aber denken Sie an meine Worte, Vanstone: Alle drei werden sich als schlecht erweisen, trotz allem, was Sie tun können, um es zu verhindern.“
Später, als Frank das Alter von siebzehn Jahren erreicht hatte, wurde die seltsame Verschiebung im Verhältnis zwischen der Eltern- und Freundesstellung der beiden Nachbarn anschaulicher und absurder als je zuvor. Ein Bauunternehmer im Norden Englands, der gegenüber Mr. Vanstone gewisse Verpflichtungen hatte, brachte seine Bereitschaft zum Ausdruck, Frank unter Bedingungen der vorteilhaftesten Art in seine Obhut zu nehmen. Als der Vorschlag eintraf, verlagerte Mr. Clare zuerst wie gewöhnlich seine Verantwortung als Franks Vater auf die Schultern von Mr. Vanstone – um dann die väterliche Begeisterung seines Nachbarn aus dem Blickwinkel des unparteiischen Zuschauers zu mäßigen.
„Das ist für Frank die größte Chance, die sich überhaupt bieten kann“, rief Mr. Vanstone in einem Aufglühen väterlicher Begeisterung.
„Mein lieber Kamerad, er wird sie nicht ergreifen“, erwiderte Mr. Clare mit der eisigen