Die Namenlosen. Уилки Коллинз
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Nachdem Miss Garth ihre Gardinenpredigt mit diesen Worten beendet hatte, brachte sie Norah zur Tür der Bibliothek, schob Magdalen in das Wohnzimmer und begab sich dann entschlossen in die Regionen des Medizinschrankes.
Mit ihrem halb scherzenden, halb ernsten Betragen übte sie gewöhnlich eine Art freundliche Autorität über Mr. Vanstones Töchter aus, nachdem ihre eigentliche Funktion als Gouvernante zwangsläufig ihr Ende gefunden hatte. Norah, das braucht nicht erwähnt zu werden, war schon lange nicht mehr ihre Schülerin; und auch Magdalen hatte mittlerweile ihre Ausbildung abgeschlossen. Aber Miss Garth hatte zu lange und zu vertrauensvoll unter Mr. Vanstones Dach gewohnt, als dass man sich aus rein formalen Überlegungen von ihr getrennt hätte; die erste Anspielung auf einen Weggang, die fallen zu lassen sie für ihre Pflicht gehalten hatte, war mit einem so warmherzigen Protest zurückgewiesen worden, dass sie – außer im Scherz – nie mehr darauf zurückgekommen war. Von da an lag die gesamte Haushaltsführung in ihren Händen; und zusätzlich zu diesen Pflichten stand es ihr frei, Norah bei ihrer Lektüre jede ihr zur Verfügung stehende gesellige Hilfestellung zu leisten und Magdalens Musik mit jeder freundlichen Aufsicht, welche sie noch ausüben konnte, zu begleiten. Das waren die Umstände, unter denen Miss Garth nun in Mr. Vanstones Familie wohnhaft war.
Gegen Nachmittag wurde das Wetter besser. Um halb zwei strahlte die Sonne; begleitet von den Hunden, verließen die Damen das Haus und machten sich auf ihren Spaziergang.
Sie überquerten den Bach und stiegen den kleinen, steinigen Weg zu den dahinterliegenden Hügeln hinauf; dann bogen sie nach links ab und kehrten über eine Querstraße, die durch das Dorf Combe-Raven führte, wieder zurück.
Als sie in Sichtweite der ersten Hütten waren, kamen sie an einem Mann vorüber, der sich auf der Straße herumtrieb und aufmerksam zuerst Magdalen, dann Norah ansah. Sie bemerkten nur, dass er klein war, dass er schwarz gekleidet war und dass er ihnen völlig fremd war – und setzten ihren Heimweg fort, ohne weiter an den herumlungernden Fußgänger zu denken, den sie unterwegs getroffen hatten.
Nachdem sie das Dorf hinter sich hatten und sich auf der Straße befanden, die geradewegs zum Haus führte, verkündete Magdalen zur Überraschung von Miss Garth, der Fremde in Schwarz habe sich umgedreht, nachdem sie an ihm vorübergegangen seien, und komme jetzt hinter ihnen her. „Er geht auf Norahs Straßenseite“, sagte sie spitzbübisch. „Ich bin nicht Gegenstand der Aufmerksamkeit – geben Sie mir keine Schuld.“
Ob der Mann ihnen wirklich folgte oder nicht, spielte kaum noch eine Rolle – sie waren jetzt fast beim Haus. Als sie durch das Tor am Pförtnerhaus traten, blickte Miss Garth sich um; sie sah, dass der Fremde seinen Schritt beschleunigte und offensichtlich die Absicht hatte, ein Gespräch anzufangen. Als sie das sah, schickte sie die jungen Damen sofort mit den Hunden weiter zum Haus, während sie selbst am Tor der weiteren Ereignisse harrte.
Sie hatte gerade noch Zeit gehabt, dieses diskrete Arrangement fertig zu stellen, da hatte der Fremde auch schon das Pförtnerhaus erreicht. Als Miss Garth sich umwandte, nahm er höflich den Hut ab. Wie sah er aus, so von Angesicht zu Angesicht? Er wirkte wie ein Geistlicher, der in Schwierigkeiten steckte.
Will man sein Porträt von Kopf bis Fuß zeichnen, so beginnt das Bild mit einem hohen Hut, welcher von einem breiten Trauerband aus zerknittertem Krepp umringt war. Unter dem Hut folgte ein schmales, langes, bleiches Gesicht, übersät von tiefen Pockennarben und bemerkenswerterweise gekennzeichnet durch Augen in zwei verschiedenen Farben – das eine gallegrün, das andere gallebraun, und beide von scharfer Intelligenz. Sein eisengraues Haar war an den Schläfen sorgfältig rund gebürstet. Wangen und Kinn zeigten das bläuliche Blühen einer glatten Rasur; die Nase war kurz und römisch, die Lippen lang, dünn und geschmeidig und an den Mundwinkeln zu einem sanft-humorvollen Lächeln aufwärts gebogen. Die weiße Krawatte war hoch, steif und schäbig; der Kragen ragte noch höher, steifer und schäbiger mit seinen starren Spitzen beiderseits über das Kinn hinaus. Weiter abwärts war die schlanke kleine Gestalt des Mannes ausschließlich in nüchtern-schäbiges Schwarz gekleidet. Sein Gehrock war um die Taille eng geknöpft und konnte sich an der Brust offen und majestätisch wölben. Seine Hände steckten in schwarzen Baumwollhandschuhen, die an den Fingern sorgfältig ausgebessert waren; der Regenschirm war an der Stockzwinge bis auf den letzten Viertelzoll abgestoßen, aber dennoch sorgfältig in einem Futteral aus Öltuch verwahrt. Die Ansicht von vorn war jene, in der er am ältesten aussah; stand man ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber, konnte man ihn auf fünfzig Jahre oder mehr schätzen. Ging man hinter ihm, wirkten sein Rücken und die Schultern fast so jung, dass er für fünfunddreißig hätte durchgehen können. Sein Benehmen war durch eine ernste Gelassenheit gekennzeichnet. Wenn er die Lippen öffnete, sprach er mit volltönender Bassstimme, in leicht dahinfließender Sprache und unter strenger Beachtung der Ansprüche von Wörtern mit mehr als einer Silbe an den richtigen Vortrag. Von seinen sanft gebogenen Lippen träufelte Überzeugungskraft; und so schäbig er auch aussah, die beständigen Blumen der Höflichkeit erblühten an ihm von Kopf bis Fuß.
„Ich nehme an, dies ist der Wohnort von Mr. Vanstone?“, fing er an, wobei er eine schwungvolle Handbewegung in Richtung des Hauses vollführte. „Habe ich die Ehre, mit einem Mitglied der Familie von Mr. Vanstone zu sprechen?“
„Ja“, antwortete die geradlinige Miss Garth. „Sie sprechen mit der Gouvernante des Hauses Vanstone.“
Der überzeugungskräftige Mann wich einen Schritt zurück, bewunderte die Gouvernante des Hauses Vanstone, trat wieder einen Schritt vor und nahm die Unterhaltung erneut auf.
„Und die beiden jungen Damen“, fuhr er fort, „die beiden jungen Damen, die mit Ihnen spazieren gegangen sind, das sind doch gewiss Mr. Vanstones Töchter? Die dunklere und – so nehme ich an – ältere der beiden habe ich an der Ähnlichkeit zu ihrer gut aussehenden Mutter erkannt. Und die jüngere Dame…“
„Sie sind mit Mrs. Vanstone bekannt, nehme ich an?“, sagte Miss Garth, womit sie den Redefluss des Fremden unterbrach, der angesichts der Umstände nach ihrer Ansicht recht frei dahinzuströmen begann. Der Fremde nahm die Unterbrechung mit einer seiner höflichen Verbeugungen zur Kenntnis und überschüttete Miss Garth mit seinem nächsten Satz, als sei nichts geschehen.
„Die jüngere Dame, so vermute ich“, fuhr er fort, „kommt auf ihren Vater? Ich versichere Ihnen, ihr Gesicht ist mir aufgefallen. Als ich es mit meinem freundschaftlichen Interesse an der Familie ansah, kam es mir sehr bemerkenswert vor. Ich habe zu mir selbst gesagt: liebenswürdig, charakteristisch, denkwürdig. Nicht wie ihre Schwester, nicht wie ihre Mutter. Sie ist ohne Zweifel das Abbild ihres Vaters?“
Noch einmal unternahm Miss Garth einen Versuch, sich dem Strom seiner Worte entgegenzustemmen. Es war klar, dass er Mr. Vanstone nicht einmal vom Sehen kannte – sonst hätte er nicht den Fehler begehen können anzunehmen, dass Magdalen auf ihren Vater kam. Kannte er Mrs. Vanstone besser? In diesem Punkt hatte er Miss Garth’ Frage unbeantwortet gelassen. Um alles in der Welt, wer war er? Frechheit siegt! Was wollte er?
„Sie mögen ein Freund der Familie sein, aber ich kann mich nicht an Ihr Gesicht erinnern“, sagte Miss Garth. „Was ist Ihr Anliegen, wenn ich fragen darf? Sind Sie gekommen, um Mrs. Vanstone einen Besuch abzustatten?“
„Ich hatte mich auf das Vergnügen gefreut, mich mit Mrs. Vanstone zu unterhalten“, erwiderte der unwiderstehlich