Die Namenlosen. Уилки Коллинз

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Die Namenlosen - Уилки Коллинз

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sein eigen nannte, mit denen er es in nahezu jeder von ihm gewählten Berufslaufbahn zu Ansehen gebracht hätte, war er dennoch von früher Jugend an für alle seine Angehörigen eine Schande gewesen. Man hatte ihn aus dem Milizregimnent entlassen, in dem er früher einen Rang bekleidet hatte. Er hatte es mit einem Beruf nach dem anderen versucht und war unglaublicherweise in allen gescheitert. Er hatte sich im niedersten und gemeinsten Sinn des Wortes durchgeschlagen. Er hatte eine arme, unwissende Frau geheiratet, die als Kellnerin in einem einfachen Gasthaus gearbeitet hatte und unerwartet zu ein wenig Geld gekommen war. Das kleine Erbe hatte er erbarmungslos bis auf den letzten Farthing durchgebracht. Einfach gesagt, war er ein unverbesserlicher Spitzbube; und jetzt hatte er zu der langen Liste seiner Vergehen ein weiteres hinzugefügt, indem er dreist die Bedingungen missachtete, die Mrs. Vanstone ihm bisher auferlegt hatte. Sie hatte sofort an die auf der Karte angegebene Adresse geschrieben, und das mit solchen Worten und Absichten, dass er, so hoffte und glaubte sie, sich nie wieder in die Nähe des Hauses wagen würde. Mit diesen Worten schloss der erste Teil des Briefes, in dem Mrs. Vanstone sich ausschließlich mit Captain Wragge beschäftigt hatte.

      Die so wiedergegebene Aussage ließ auf eine Schwäche in Mrs. Vanstones Charakter schließen, die Miss Garth auch nach vielen Jahren des vertrauten Umganges nie bemerkt hatte. Dennoch nahm sie die Erklärung wie selbstverständlich hin; sie zur Kenntnis zu nehmen, fiel ihr umso leichter, als man ihren Inhalt ohne Unschicklichkeit mitteilen konnte, um damit die verwirrte Neugier der beiden jungen Damen zu mildern. Insbesondere aus diesem Grund studierte sie den ersten Teil des Briefes mit einem angenehmen Gefühl der Erleichterung. Ein ganz anderer Eindruck drängte sich ihr aber auf, als sie zur zweiten Hälfte überging und als sie den Brief schließlich bis zu Ende gelesen hatte.

      Der zweite Teil des Briefes war dem Grund für die Reise nach London gewidmet.

      Als erstes sprach Mrs. Vanstone die lange, enge Freundschaft zwischen Miss Garth und ihr selbst an. Angesichts dieser Freundschaft hielt sie es jetzt für angebracht, der Gouvernante im Vertrauen mitzuteilen, aus welchem Motiv sie und ihr Gatte abgereist waren. Miss Garth hatte feinfühlig darauf verzichtet, es zu zeigen, aber natürlich hatte sie es als höchst überraschend empfunden, dass um die Abreise ein solches Geheimnis gemacht worden war, und sie empfand es auch jetzt noch so. Und zweifellos hatte sie sich gefragt, warum Mrs. Vanstone (in ihrer unabhängigen Position, was Verwandte anging) mit Familienangelegenheiten in Verbindung gebracht wurde, die doch sicher ausschließlich Mr. Vanstone etwas angingen.

      Ohne diese Angelegenheiten zu berühren, was weder wünschenswert noch notwendig war, schrieb Mrs. Vanstone als Nächstes, sie werde Miss Garth’ Zweifel, soweit sie mit ihr selbst zusammenhingen, mit einer einfachen Bemerkung sofort ausräumen. Sie habe ihren Mann in der Absicht nach London begleitet, dort einen berühmten Arzt aufzusuchen und ihn in einer sehr heiklen, Besorgnis erregenden Frage im Zusammenhang mit ihrer Gesundheit zu konsultieren. Noch einfacher gesagt, betraf diese Besorgnis erregende Frage nichts anderes als die Möglichkeit, dass sie noch einmal Mutter werden könnte.

      Als die erste Ahnung aufgetaucht war, hatte sie es als bloße Täuschung abgetan. Der lange Zeitraum, der seit der Geburt ihres letzten Kindes verstrichen war; die schwere Krankheit, an der sie gelitten hatte, nachdem dieses Kind als Säugling gestorben war; das Lebensalter, das sie mittlerweile erreicht hatte – all das bestärkte sie darin, den Gedanken abzutun, sobald er sich in ihrem Kopf erhob. Aber trotz allem war er immer wieder zurückgekehrt. Sie hatte das Bedürfnis empfunden, die höchste medizinische Autorität zu konsultieren, und gleichzeitig war sie davor zurückgeschreckt, ihre Töchter dadurch zu beunruhigen, dass sie einen Londoner Arzt in ihr Haus kommen ließ. Die medizinische Meinung, um die sie sich unter den erwähnten Umständen bemüht hatte, war nun eingeholt. Ihre Vermutungen waren mit Sicherheit bestätigt worden, und das Ergebnis, mit dem gegen Ende des Sommers zu rechnen war, gab angesichts ihres Alters und der Besonderheiten ihrer Konstitution den Anlass zu schwer wiegenden Ängsten für die Zukunft, um es gelinde auszudrücken. Der Arzt hatte sich alle Mühe gegeben, sie zu ermutigen; aber sie hatte den Unterton in seinen Fragen deutlicher verstanden, als er annahm, und sie wusste, dass er mit mehr als nur den üblichen Zweifeln in die Zukunft blickte.

      Nachdem Mrs. Vanstone diese Einzelheiten offen gelegt hatte, verlangte sie, dass die Angelegenheit zwischen der Empfängerin des Briefes und ihr selbst ein Geheimnis bleiben sollte. Sie war nicht gewillt gewesen, ihre Vermutungen gegenüber Miss Garth zu erwähnen, bevor diese Vermutungen nicht bestätigt waren – und jetzt schreckte sie mit noch größerem Widerwillen vor dem Gedanken zurück, ihre Töchter könnten sich ihretwegen in irgendeiner Weise beunruhigen. Es sei am besten, das Thema erst einmal ruhen zu lassen und voller Hoffnung abzuwarten, bis der Sommer kam. Vorerst vertraute sie darauf, dass sie alle am Dreiundzwanzigsten des Monats wieder vereint sein würden, dem Tag, den Mr. Vanstone für ihre Rückreise festgelegt hatte. Mit dieser Andeutung und den üblichen Grüßen war der Brief ganz plötzlich und verworren zu Ende.

      Während der ersten Minuten nachdem Miss Garth den Brief aus der Hand gelegt hatte, war eine natürliche Sympathie für Mrs. Vanstone das einzige Gefühl, dessen sie sich bewusst war. Es dauerte aber nicht lange, da erhob sich in ihrem Geist undeutlich ein Zweifel, der sie verwirrte und bekümmerte. War die Erklärung, die sie gerade gelesen hatte, wirklich so befriedigend und vollständig, wie sie zu sein vorgab? Überprüfte man sie an den schlichten Tatsachen, sicher nicht.

      Am Morgen ihrer Abreise hatte Mrs. Vanstone das Haus fraglos in guter Stimmung verlassen. War eine gute Stimmung bei ihrem Gesundheitszustand und in ihrem Alter mit einem Arztbesuch wie dem vereinbar, den sie zu unternehmen im Begriff stand? Und hatte nicht jener Brief aus New Orleans, der Mr. Vanstones Abreise notwendig gemacht hatte, auch einen Anteil daran, seine Frau ebenfalls zur Abreise zu veranlassen? Warum hätte sie sonst so aufmerksam aufblicken sollen, als ihre Tochter den Poststempel erwähnte? Selbst wenn man ihr den angegebenen Beweggrund für die Reise zugestand – ließen nicht ihr Betragen an dem Morgen, als der Brief geöffnet wurde, und dann auch wieder am Morgen ihrer Abreise auf die Existenz eines anderen Beweggrundes schließen, der in dem heutigen Schreiben ungenannt geblieben war?

      Wenn es so war, ergab sich daraus eine höchst erschütternde Schlussfolgerung. Mrs. Vanstone hatte in dem Gefühl, es ihrer langjährigen Freundschaft mit Miss Garth schuldig zu sein, offensichtlich bei einem Thema das vollste Vertrauen in sie gesetzt, um gleichzeitig bei einem anderen auf unverdächtige Weise strengste Zurückhaltung zu üben. Miss Garth, die von Natur aus in ihren eigenen Angelegenheiten stets aufrichtig und geradlinig war, zuckte davor zurück, ihre Zweifel bis zu diesem Ergebnis weiter zu treiben: Indem sie in ihren Geist auch nur heraufdämmerten, schienen sie einen Mangel an Loyalität gegenüber ihrer bewährten, geschätzten Freundin zu beinhalten.

      Sie schloss den Brief in ihrem Schreibtisch ein, erhob sich energisch, um ihre Aufmerksamkeit auf die flüchtigen Aufgaben des Tages zu lenken, und ging wieder hinunter ins Frühstückszimmer. Inmitten der vielen Unsicherheiten war zumindest eines klar: Mr. und Mrs. Vanstone würden am Dreiundzwanzigsten des Monats zurückkommen. Wer mochte sagen, welche neuen Offenbarungen sie mitbringen würden?

      Sie brachten keine neuen Offenbarungen mit: Keine Erwartung, die sich mit ihrer Rückkehr verbunden hatte, erfüllte sich. Was das verbotene Thema ihrer Besorgung in London anging, trat weder beim Herrn noch bei der Dame des Hauses eine Veränderung ein. Was ihr Vorhaben auch gewesen sein mochte, sie hatten es allem Anschein nach erfolgreich bewältigt, denn beide kehrten im Vollbesitz ihres alltäglichen Aussehens und Verhaltens zurück. Mrs. Vanstones Stimmung war auf ihr natürliches, ruhiges Niveau zurückgegangen; Mr. Vanstones unbeirrbare Fröhlichkeit zeigte sich so leicht und selbstverständlich wie üblich. Das war die einzige wahrnehmbare Folge ihrer Reise – mehr nicht. Hatte der häusliche Aufruhr bereits seinen Lauf genommen? War das bisher verborgene Geheimnis undurchdringlich und für immer verborgen?

      Nichts in dieser Welt ist für immer verborgen. Das Gold, das Jahrhunderte unbemerkt in der Erde gelegen hat, offenbart sich eines Tages an der Oberfläche. Sand wird zum Verräter

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