Die Namenlosen. Уилки Коллинз
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Namenlosen - Уилки Коллинз страница 12
Dem Beispiel, das der Hausherr auf diese Weise gegeben hatte, folgte sofort die ganze Familie – mit einer einzigen Ausnahme: Norah brachte ihre unheilbare Förmlichkeit und Zurückhaltung gegenüber dem Besucher mit einem nicht allzu eleganten, distanzierten Betragen zum Ausdruck. Die anderen, allen voran Magdalen (die in früheren Zeiten Franks liebste Spielkameradin gewesen war) verfielen wieder mühelos in den gewohnten, unbefangenen Umgang mit ihm. Für alle war er „Frank“, außer für Norah, die darauf beharrte, ihn mit „Mr. Clare“ anzureden. Nicht einmal der Bericht über den Empfang durch seinen Vater am Abend zuvor, den zum Besten zu geben er jetzt aufgefordert wurde, konnte Norahs Ernst erschüttern. Sie saß da, das dunkle, hübsche Gesicht unverrückbar abgewendet, den Blick gesenkt, die üppige Farbe ihrer Wangen wärmer und tiefer als gewöhnlich. Alle anderen, eigeschlossen auch Miss Garth, fanden die Willkommensansprache des alten Mr. Clare an seinen Sohn unwiderstehlich komisch. Der Lärm und die Fröhlichkeit waren auf ihrem Höhepunkt, als ein Diener hereinkam und die ganze Gesellschaft mit der Ankündigung verblüffte, im Salon seien Besucher. „Mr. Marrable, Mrs. Marrable und Miss Marrable; Evergreen Lodge, Clifton.“
Norah erhob sich so bereitwillig, als seien die Neuankömmlinge eine Erleichterung für ihre Seele. Als Nächste stand Mrs. Vanstone von ihrem Stuhl auf. Die beiden gingen als Erste hinaus, um die Besucher zu empfangen. Magdalen, die lieber mit ihrem Vater und Frank zusammengewesen wäre, bettelte darum hierbleiben zu dürfen; aber nachdem Miss Garth ihr eine Gnadenfrist von fünf Minuten gewährt hatte, nahm sie die junge Frau in ihre Obhut und marschierte mit ihr aus dem Zimmer. Frank erhob sich und wollte gehen.
„Nein, nein“, sagte Mr. Vanstone und hielt ihn zurück. „Geh’ nicht. Diese Leute werden nicht lange bleiben. Mr. Marrable ist Kaufmann in Bristol. Ich habe ihn ein- oder zweimal getroffen, als die Mädchen mich gezwungen haben, mit ihnen nach Clifton auf Empfänge zu gehen. Entfernte Bekannte, mehr nicht. Komm’ und rauche mit mir im Gewächshaus eine Zigarre. Man sollte alle Besucher aufhängen – sie machen einem nur das Leben schwer. Ich werde mit einer Ausrede im letzten Augenblick erscheinen; du folgst mir in sicherer Entfernung und bist der lebende Beweis, dass ich wirklich beschäftigt war.“
Während Mr. Vanstone in verschwörerischem Flüsterton diese geniale Strategie vorschlug, griff er nach Franks Arm und führte ihn durch den Hinterausgang auf die Rückseite des Hauses. In der Abgeschiedenheit im Gewächshaus vergingen die ersten zehn Minuten, ohne dass sich irgendetwas ereignete. Am Ende des Zeitraumes sahen die beiden Gentlemen durch das Glas eine Gestalt in heller Kleidung auf sich zueilen – die Tür flog auf – Blumentöpfe fielen in Huldigung der vorüberkommenden Röcke um – und Mr. Vanstones jüngste Tochter lief mit überstürzter Geschwindigkeit auf ihn zu; ihr ganzes äußeres Erscheinungsbild deutete darauf hin, dass ihre Sinne sie plötzlich verlassen hatten.
„Papa, der Traum meines ganzen Lebens ist wahr geworden“, sagte sie, sobald sie wieder sprechen konnte. „Wenn mich nicht jemand festhält, fliege ich gleich durch das Dach des Gewächshauses. Die Marrables sind mit einer Einladung gekommen. Rate mal, mein Lieber – rate mal, was sie in Evergreen Lodge veranstalten wollen!“
„Einen Ball!“, sagte Mr. Vanstone, ohne auch nur einen Moment zu zögern.
„Private Theateraufführungen!!“, schrie Magdalen, wobei ihre klare junge Stimme durch das Gewächshaus tönte wie eine Glocke; ihre lockeren Ärmel fielen zurück und entblößten die runden weißen Arme bis zu den Grübchen der Ellenbogen, als sie die Hände in der Luft begeistert zusammenklatschte. „‚Die Rivalen‘, so heißt das Stück, Papa – ‚Die Rivalen‘ von dem berühmten Wie-heißt-er-doch-gleich, und sie wollen, dass ICH mitspiele! Das, wonach ich mich unter allen Dingen im Universum am meisten sehne. Es hängt alles von dir ab. Mama schüttelt den Kopf; Miss Garth durchbohrt mich mit ihren Blicken; und Norah ist so sauer wie immer – aber wenn du ja sagst, müssen sie alle drei nachgeben und mich machen lassen. Sag’ ja!“, bettelte sie, wobei sie sich sanft an ihren Vater schmiegte und ihre Lippen mit liebevoller Zartheit auf sein Ohr drückte, während sie die nächsten Worte flüsterte: „Sag’ ja, und ich will von jetzt an immer ein braves Mädchen sein.“
„Ein braves Mädchen?“, wiederholte Mr. Vanstone. „Ich glaube, du meinst ein verrücktes Mädchen. Hängen sollte man sie, diese Leute und ihre Theateraufführungen! Ich muss wohl ins Haus gehen und mir die Sache genauer ansehen. Du brauchst deine Zigarre nicht wegzuwerfen, Frank. Mit dir hat die Sache nichts zu tun, du kannst also ruhig hierbleiben.“
„Kann er nicht“, sagte Magdalen. „Es hat auch mit ihm zu tun.“
Mr. Francis Clare hatte sich bisher bescheiden im Hintergrund gehalten. Jetzt trat er mit einem Gesichtsausdruck der sprachlosen Verblüffung vor.
„Ja“, fuhr Magdalen fort, wobei sie seinem leeren, fragenden Blick mit vollkommener Gefasstheit begegnete. „Du wirst auch mitspielen. Miss Marrable und ich haben es besprochen, und in fünf Minuten war alles erledigt. In dem Stück sind noch zwei Rollen zu besetzen. Die eine ist die Kammerzofe Lucy; das ist die Rolle, die ich übernommen habe – mit Papas Erlaubnis“, fügte sie hinzu, wobei sie ihren Vater heimlich in den Arm kniff. „Und er wird nicht nein sagen, oder? Erstens weil er ein Schatz ist; zweitens weil ich ihn liebe und er mich liebt; drittens weil es zwischen uns nie Meinungsverschiedenheiten gibt (nichtwahr?); und viertens weil ich ihm jetzt einen Kuss gebe, womit ihm der Mund verschlossen und sie ganze Frage geklärt ist. Du liebe Güte, ich schweife ab. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja! Ich wollte Frank erklären…“
„Ich bitte um Verzeihung“, setzte Frank an in dem Versuch, an dieser Stelle seinen Protest anzubringen.
„Die zweite Rolle in dem Stück“, fuhr Magdalen fort, ohne von dem Protest auch nur die geringste Kenntnis zu nehmen, „ist Falkland, ein eifersüchtiger Liebhaber mit einem schönen Redefluss. Miss Marrable und ich haben auf der Bank am Fenster im Vertrauen über Falkland gesprochen, während alle anderen sich unterhalten haben. Sie ist ein entzückendes Mädchen – so impulsiv, so empfindsam, so vollkommen unaffektiert. Sie hat mir vertraut und gesagt: ‚Wir sind in der misslichen Lage, dass wir keinen Gentleman finden, der sich mit den grässlichen Schwierigkeiten von Falkland auseinandersetzen kann.‘ Natürlich habe ich sie getröstet. Natürlich habe ich gesagt: ‚Ich habe den Gentleman, und er wird sich augenblicklich damit auseinandersetzen.‘
‚Du liebe Güte! Und wer ist das?‘
‚Mr. Francis Clare.‘
‚Und wo ist er?‘
‚Im Augenblick ist er hier im Haus.‘
‚Würden Sie so liebenswürdig sein, Miss Vanstone, und ihn holen?‘
‚Ich hole ihn, Miss Marrable. Mit dem größten Vergnügen.‘
Ich bin von der Bank am Fenster aufgestanden…ich bin ins Frühstückszimmer gelaufen…Es hat nach Zigarren gerochen…Ich bin dem Geruch gefolgt…und da bin ich.“
„Ich weiß, es ist eine Ehre, dass ich gefragt werde,