Die Namenlosen. Уилки Коллинз

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Die Namenlosen - Уилки Коллинз

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zu lassen, gehörte zu jenen Eigenheiten ihres Charakters, die bei allen im Haus berüchtigt waren. Einer der Lieblingsscherze ihres Vaters war die Bemerkung, sie erinnere ihn bei solchen Gelegenheiten an eine Katze, der man den Rücken streichelt, und er rechne immer damit, dass man das Kämmen nur lange genug fortsetzen müsse, damit sie anfinge zu schnurren. So hergeholt der Vergleich auch erscheinen mochte, er war nicht ganz unzutreffend. Das leidenschaftliche Temperament des Mädchens verstärkte das zutiefst weibliche Vergnügen, den Kamm durch die eigenen Haare gleiten zu fühlen, und machte daraus einen Luxus der Empfindung, der sie so ruhig, selbstsicher, so schläfrig tief in ihrer Freude gefangen hielt, dass es unwiderstehlich an den Genuss einer Hauskatze unter der liebkosenden Hand denken ließ. So innig vertraut Miss Garth auch mit dieser Eigenheit ihrer Schülerin war, sah sie heute doch zum ersten Mal, wie sie sich in Verbindung mit irgendeiner Form der geistigen Anstrengung entfaltete. Da sie deshalb eine gewisse Neugier empfand und wissen wollte, wie lange das gleichzeitige Kämmen und Studieren schon andauerte, wagte sie es, die Frage zuerst der Herrin zu stellen; und dann (nachdem sie von dieser Seite keine Antwort bekommen hatte) der Zofe.

      „Den ganzen Nachmittag immer wieder einmal“, lautete die matte Antwort. „Miss Magdalen sagt, es besänftigt ihre Gefühle und klärt ihren Geist.“

      Da Miss Garth aus Erfahrung wusste, dass jede Einmischung unter diesen Umständen ein hoffnungsloses Unterfangen war, drehte sie sich abrupt um und verließ das Zimmer. Als sie draußen auf dem Treppenabsatz stand, lächelte sie. Der weibliche Geist eilt manchmal – allerdings nicht oft – in die Zukunft voraus. Miss Garth bedauerte prophetisch Magdalens unglückseligen Ehemann.

      Beim Abendessen bot die hübsche Studierende den Blicken der Familie den gleichen geistesabwesenden Anblick. Unter allen gewöhnlichen Umständen hätte Magdalens Appetit all jene schwächlichen Gemütsdusler mit Entsetzen erfüllt, die es vorziehen, jenen überragend wichtigen Einfluss zu ignorieren, den die Ernährung einer Frau auf ihre Schönheit ausübt. Dieses Mal jedoch lehnte sie ein Gericht nach dem anderen mit einer Entschlossenheit ab, die auf das außerordentlichste aller modernen Matyrien schließen ließ: auf das Martyrium des Magens. „Ich habe die Rolle der Lucy erfasst“, erklärte sie mit gesitteter Ernsthaftigkeit. „Die nächste Schwierigkeit besteht darin, Frank dazu zu bringen, dass er die Rolle des Falkland begreift. Da gibt es nichts zu lachen – ihr wärt alle ganz ernst, wenn ihr meine Verantwortung hättet. Nein, Papa, keinen Wein heute, vielen Dank. Ich muss eine klare Intelligenz behalten. Wasser, Thomas – und noch etwas Gelee, denke ich, bevor Sie es wegräumen.“

      Als Frank am Abend zu Besuch kam, ohne die ersten Teile seiner Rolle zu kennen, nahm sie ihn an die Hand, wie eine Schulmeisterin mittleren Alters vielleicht einen kleinen zurückgebliebenen Jungen an die Hand genommen hätte. Seine wenigen Versuche, die nüchtern-praktische Natur der abendlichen Beschäftigung abzuwandeln, indem er in Komplimente verfiel, wischte sie mit der verächtlichen Selbstbeherrschung einer Frau des doppelten Alters beiseite. Sie zwang ihn buchstäblich in seine Rolle. Ihr Vater schlief in seinem Sessel ein. Mrs. Vanstone und Miss Garth verloren das Interesse an dem Geschehen, zogen sich ans andere Ende des Zimmers zurück und sprachen im Flüsterton miteinander. Es wurde später und später; immer noch entzog sich Magdalen ihrer Aufgabe nicht – und mit der gleichen Hartnäckigkeit blieb Norah, die schon den ganzen Abend Wache gehalten hatte, wachsam bis zum Ende. Das Misstrauen verdüsterte und verdüsterte ihr Gesicht, als sie ihre Schwester und Frank ansah; als sie sah, wie dicht die beiden zusammensaßen, sich dem gleichen Interesse widmeten und auf das gleiche Ziel hinarbeiteten. Die Uhr auf dem Kaminsims hatte schon halb zwölf geschlagen, als Lucy die Resolute Falkland dem Hilflosen gestattete, sein Buch für heute zuzuschlagen. „Sie ist wunderbar klug, oder?“, sagte Frank, als er sich an der Haustür von Mr. Vanstone verabschiedete. „Ich werde morgen wiederkommen und mehr von ihren Ansichten hören – wenn Sie keine Einwände haben. Ich werde es nie schaffen; aber erzählen Sie ihr nicht, dass ich das gesagt habe. So schnell sie mir den einen Text beigebracht hat, so schnell verschwindet der andere wieder aus meinem Kopf. Das ist doch entmutigend, oder? Gute Nacht!“

      Der übernächste Tag war der Termin der ersten Hauptprobe. Am Abend zuvor war Mrs. Vanstone in einem traurig niedergeschlagenen Geisteszustand. In einem Vieraugengespräch mit Miss Garth war sie von sich aus wieder auf das Thema des Briefes aus London zu sprechen gekommen und hatte voller Selbstvorwürfe ihre Schwäche erwähnt, weil sie Captain Wragges unverschämte Behauptung, er stehe in einer familiären Bindung zu ihr, zugelassen hatte. Dann war sie wieder auf ihren Gesundheitszustand zu sprechen gekommen und auf die zweifelhaften Aussichten, die sie im kommenden Sommer erwarteten. Dabei hatte sie einen Ton der Verzagtheit an den Tag gelegt, den zu hören sehr erschütternd war. In dem Bemühen, sie aufzumuntern, hatte Miss Garth das Thema so schnell wie möglich gewechselt und auf die bevorstehende Theateraufführung angespielt. Dabei hatte sie Mrs. Vanstone alle diesbezüglichen Befürchtungen genommen, indem sie ihre Absicht kundgetan hatte, Magdalen zu allen Proben zu begleiten und sie nicht aus den Augen zu lassen, bis sie unversehrt ins Haus ihres Vaters zurückgekehrt war. Entsprechend stand Miss Garth – in der metaphorischen Gestalt eines Argus – bereit, als Frank am Morgen der Ereignisse in Combe-Raven vorsprach, und begleitete Lucy und Falkland zu Schauplatz des Geschehens. Die Eisenbahn brachte alle drei mit hervorragender Pünktlichkeit zur Evergreen Lodge, und um ein Uhr mittags begann die Probe.

      Ich hoffe, Miss Vanstone kennt ihre Rolle?“, flüsterte Mrs. Marrable, ängstlich an Miss Garth gewandt, in einer Ecke des Theaters.

      „Wenn Allüren eine Schauspielerin ausmachen, Ma’am, wird Magdalens Leistung uns alle in Erstaunen versetzen.“ Mit dieser Antwort holte Miss Garth ihre Handarbeit heraus und setzte sich auf ihren Wachposten in der Mitte des Zuschauerraumes.

      Der Schauspieldirektor hockte sich mit dem Buch in der Hand auf einen Stuhl ganz vorn vor der Bühne. Er war ein lebhafter kleiner Mann mit liebenswürdigem, fröhlichem Temperament; das Signal zum Beginn gab er mit einem so geduldigen Interesse an dem Ablauf, als hätte er ihm in der Vergangenheit keine Probleme bereitet und als würde er ihm auch in Zukunft keine Schwierigkeiten machen. Die beiden Gestalten, mit deren Auftritt die Komödie „Die Rivalen“ beginnt – „Fag“ und „der Kutscher“ – betraten die Bühne. Sie wirkten um ein Vielfaches zu groß für die Leinwandkulisse, die eine „Straße in Bath“ darstellte, legten die übliche Unfähigkeit an den Tag, mit den eigenen Armen, Beinen und Stimmen umzugehen, gingen mehrmals an den falschen Stellen ab und brachten ihre völlige Zufriedenheit über das bisherige Ergebnis zum Ausdruck, indem sie hinter den Kulissen herzhaft lachten. „Ruhe, bitte, meine Herren“ mahnte der fröhliche Schauspieldirektor. „So laut Sie auf der Bühne auch sein können, das Publikum darf Sie nicht hören, wenn Sie hinter der Bühne sind. Miss Marrable bereit? Miss Vanstone bereit? Vorsicht dort mit der ‚Straße in Bath‘; sie wird sonst krumm! Schauen Sie hierher, Miss Marrable. Genau nach vorn, wenn es beliebt. Miss Vanstone…“ Er hielt plötzlich inne. „Seltsam“, sagte er zu sich selbst, „sie stellt sich von selbst genau zum Publikum!“ Lucy eröffnete die Szene mit folgenden Worten: „In der Tat, Madam, ich habe auf der Suche die halbe Stadt durchquert: Ich glaube, es gibt in Bath keine Leihbücherei, in der ich nicht gewesen bin.“ Der Schauspieldirektor fuhr von seinem Stuhl hoch. „Du meine Güte! Sie spricht laut und deutlich, ohne zu stottern!“ Der Dialog setzte sich fort. Lucy brachte die Romane für Miss Lydia Languishs private Lektüre unter ihrem Mantel zum Vorschein. Der Schauspieldirektor sprang erregt auf die Füße. Hervorragend! Keine Hektik mit den Büchern. Keines fiel zu Boden. Sie sah sich die Titel an, bevor sie sie ihrer Herrin vorlas; sie legte „Humphrey Clinker“ auf „Die Tränen der Empfindsamkeit“, wobei sie mit einem verschmitzten kleinen „Klack“ den Gegensatz deutlich machte. Im einen Augenblick kündigte sie Julias Besuch an; im nächsten ließ sie die forschen Höflichkeiten des Kammermädchens fallen; ein dritter, und sie war auf der Seite, die das Buch für sie vorsah, von der Bühne verschwunden. Der Schauspieldirektor wirbelte auf seinem Stuhl herum und sah Miss Garth durchdringend an. „Ich bitte um Verzeihung, Ma’am“, sagte er. „Bevor wir anfingen, hat Miss Marrable mir gesagt, es sei für die junge Dame das erste Mal. Das kann doch sicher

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