Politische Rhetorik der Gewalt. Dr. Detlef Grieswelle
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Politische Rhetorik der Gewalt - Dr. Detlef Grieswelle страница 11
Es gibt aber auch in unserer Demokratie außerhalb der Verurteilung von Extremismus häufig Hass, Zorn, Wut, die ein beachtliches Maß an Akzeptanz erfahren, vor allem in Gestalt demonstrativen Protests, wie der vielfach positiv besetzte Begriff des Wutbürgers signalisiert. Hier geht es zumeist nicht um Infragestellung fundamentaler Werte und Ordnungen, sondern um vehemente Kritik an einzelnen Vorhaben, Praktiken, Gestaltungen etc., wobei die sich als Gutmenschen Verstehenden einen hohen, ja überlegenen moralischen Status gegenüber anderen, zumeist schweigenden Mehrheiten beanspruchen, auch wenn es sich primär um eigene Interessen und Vorteile handelt. Der Glaube an den hohen Wert der vertretenen Sache ist unabdingbar, damit nicht die fanatische Gesinnung unglaubwürdig wird und selbst bei den Protestlern ein schlechtes Gewissen wachruft. Für solche Phänomene der öffentlichen Demonstration ist der Begriff des Protestes angemessen, der auf eine relativ sanfte Kultur rhetorischen Drucks hinweist.
Politische Führung wird heute herausgefordert durch in jüngster Zeit recht stark gewordene Protestformen und soziale Bewegungen wie beispielsweise Stuttgart 21, Occupy mit ihrer Kapitalismus- und Globalisierungskritik, Anti-Atomkraft-Demonstrationen, durch öffentlichen Dauerwiderstand gegen Flughafenausbau und Fluglärm, Piraten und Piratenpartei, vor allem auch durch Aktivitäten im Internet, das im Rahmen der vielfältigen öffentlichen Protestkultur zunehmend an Bedeutung gewinnt43. Die Formen des Protestes reichen von eher passiv-demonstrativen über provokativ-aktivistischen bis zu gewaltbereiten Protesten, und ganz unterschiedliche Ideen und Ziele liegen diesen Phänomenen zugrunde, oft in einer schwer zu entwirrenden Mischung: anarchistisch, kommunitaristisch, basisdemokratisch, antietatistisch und auf kleine Einheiten abstellend. Immer geht es um eine größere Partizipation im öffentlichen Raum, um eine Art demokratische Eroberung von unten nach oben, vielfach getragen von dem Leitmotiv „Empört euch!“. Der Bahnhof Stuttgart wurde zum Symbol für den Typus des neuen sog. Wutbürgers, der die Missachtung seiner Ziele für großes Unrecht hält und protestierend auf die Straße geht, oft über Wochen und Monate in regelmäßigen Zeitabständen, aber auch bei ganz konkreten Anlässen, wobei die Anliegen in einen Kontext mit hehren Werten wie Umweltschutz, Freiheitsrechten, Gesundheit, Lebensschutz etc. gebracht werden, man sich häufig nicht scheut, den eigenen Protest in großer Anmaßung in den Zusammenhang mit den Montagsdemonstrationen in Leipzig zu DDR-Zeiten oder den Befreiungsbewegungen in der arabischen Welt zu stellen, entsprechend Abscheu, Wut, Spott, Hass gegen Andersdenkende verbreitet, Starrsinn und Unbelehrbarkeit zeigt und sich des breiten Spektrums aggressiv-fanatischer Kommunikationsmittel bedient. Für die etablierten Parteien und die Regierungen werden diese unerbittlichen Wutbürger vor allem deshalb auch zu einem großen Problem, weil sich hier eine neue, breite Trägerschaft des Protests herausgebildet hat, deren Mitglieder in hohem Maße aus der Bevölkerungsgruppe der Mittelschicht, dem sog. Bürgertum, stammen. Neue Milieus der bürgerlichen Welt, die sich bisher weniger an öffentlichen Protesten in Gestalt von Straßendemonstrationen betätigt hatten, fühlen sich nun hier besser repräsentiert als in den offiziellen politischen Vertretungen. Augenscheinlich setzt eine neue Ära ein, wo sich viele Bürger auch mithilfe der neuen Medien und ihrer Vernetzungsmöglichkeiten in kurzer Zeit mobilisieren lassen. Es geht bei den Protestbewegungen um ganz verschiedene Bereiche wie beispielsweise neue Technologien, Veränderungen des vertrauten Ortsbildes, Überfremdung von Gebieten durch Migration oder Grundstücksspekulation, soziale Verwerfungen, Lärmbelästigungen, Naturschutz, Denkmalschutz, Teilhabe an Kommunikationsprozessen, Transparenz von Entscheidungen, neue Architektur, Großprojekte etc.
In den Vereinigten Staaten ist 2009 das Buch „Nimby Wars“ erschienen; Nimby – das ist die Abkürzung für „not in my backyard“, d. h. „nicht in meinem Hinterhof“, nicht in meinem Vorgarten, nicht in meiner Straße, meiner Stadt. Man ist also z. B. für die Windkraft, für den Ausbau der Elektrifizierung, für eine Umgehungsstraße, für Geothermie oder Pumpspeicherkraftwerke, für die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid, für die Endlagerung des Atommülls, für den Ausbau einer S-Bahn – aber bitte nicht bei mir, sondern beim Nachbarn, in anderen Orten, in anderen Städten. Selbst Umwelt- und Klimaschutz werden häufig zweitrangig, wenn man sich von Veränderungen negativ betroffen fühlt, sprich: Gar bei grüner Wertorientierung dominieren dann häufig Eigennutz und Egoismus. Trotzdem ist der sprachliche Habitus häufig sehr aggressiv und gewaltbesetzt.
In Demokratien geht es nicht einfach nur um Sachlichkeit von Politik, um Rationalität von Strategien, um empirisch fundierte, Objektivität beanspruchende Auffassungen und Handlungen, um plausible Begründungen in Argumentationen, sondern auch um Emotionen wie beispielsweise Leidenschaft, Empathie, Empörung, Angst. Gefühle motivieren Handlungen, unterliegen Wertvorstellungen und prägen Situationsdeutungen. Entsprechend zielt die politische Rhetorik nicht nur auf rationale Auseinandersetzung über Interessen, Normen und Werte, auf kognitive Konzepte der Bürger, sondern auch auf Emotionen; Herz und Verstand gehören eng zusammen im Streit über politische Gemeinschaft und Gemeinwohl; überzeugend sind seit der antiken Rhetorik solche Argumente, die sachlich überzeugen, aber auch die Menschen emotional berühren. Oft sind es Gefühle, die einem kognitiven Inhalt Bedeutsamkeit verleihen. Da aber Emotionen, so z. B. Patriotismus, Liebe zur Heimat, zivilreligiöse Leidenschaft, Opferbereitschaft für das Gemeinwesen etc., nicht selten zu gefährlichen Übertreibungen und extrem negativen Formen neigen, müssen sie dort ihre Grenze finden, wo sie zu Einbrüchen des Irrationalen führen, vernünftige Argumentation eliminieren, individuelle Freiheit und Menschenrechte bedrohen und im Medium der Gewaltsprache zu Bevormundungen, Zwängen und Unterdrückungen führen. Die Respektierung solcher Grenzen und die Bekämpfung und Ächtung von verbaler Gewalt gehören zu den Essentials freiheitlicher Ordnung.
II. Phänomene rhetorischer Gewalt in demokratischer Ordnung
1. Extremisierung
Der Begriff des politischen Extremismus44 ist zu verstehen als Antithese zum demokratischen Verfassungsstaat und seinen fundamentalen Werten und Spielregeln sowie als umfassende Bezeichnung antidemokratischer Gesinnung und Bestrebung. Bei allen Unterschieden der verschiedenen Extremismen in Menschen- und Gesellschaftsbildern, programmatischen Einzelfragen sowie strategisch-taktischen Verhaltensweisen zeigen sich jedoch vielerlei Gemeinsamkeiten. Extremistisches Denken offenbart sich zunächst in der Ablehnung demokratischer Grundordnung und ihrer wesentlichen Elemente wie Gewaltenteilung, Mehrheits- und Repräsentationsprinzip, Anerkennung der fundamentalen Gleichheit aller Menschen, Schutz der Menschen- und Freiheitsrechte der Bürger, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltmonopol des Staates. Der Anspruch, die alleinige Wahrheit zu besitzen und damit das Recht, als richtig erkannte Ziele kompromisslos zu verfolgen, verträgt sich nicht mit politischem und gesellschaftlichem Pluralismus der Überzeugungen mehrerer politischer Parteien und vieler einflussnehmender politischer Gruppierungen. Extremistisches Denken zeichnet sich zumeist aus durch einige ideologische Grundvorstellungen, denen zur Weltinterpretation und Problemlösung große Bedeutung beigemessen wird.
Die wesentlichen Merkmale für Extremismus sind folgende:
Anspruch von Weltanschauungen und Wertvorstellungen, als allein wahr zu gelten; grundlegende normative Meinungen, deren Wahrheitsanspruch als unumstößlich festgestellt wird; Dogmatisierung und Indoktrination als zentrale Kennzeichen; keine Zulassung von Widerspruch und Diskurs;
Verabsolutierung der Zugehörigkeit zu einer geglaubten Gemeinschaft eines Volkes, einer Nation, einer Rasse, Klasse, Ethnie, einer Religionsgruppe; Vereindeutigung der gesellschaftlichen Zugehörigkeit zugunsten einer einzelnen Gemeinschaft;
dichotome, polarisierte Weltanschauung, klare Differenzierung zwischen guter Eigen- und böser Fremdgruppe; große moralische Überlegenheit der eigenen Lehre und Gemeinschaft; Idee des Auserwähltseins; keine Zulassung von Kompromissen;
Auseinandersetzung mit