Politische Rhetorik der Gewalt. Dr. Detlef Grieswelle
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Auch der Begriff der Manipulation führt im Rahmen unserer Fragestellung nicht viel weiter, weil ein „konsumentenfreundlicher Verkauf“ der „Ware Politik“ eine zentrale Funktion jeder politischen Rhetorik darstellt und bestimmte manipulative Techniken erfordert, wie sie schon der Begriff nahelegt: auf andere zu seinem eigenen Vorteil einwirken; bewusster und gezielter Einfluss auf Menschen ohne deren Wissen und oft gegen deren Willen; absichtliche Verfälschung von Informationen; undurchsichtige Kniffe; Anpassung der Politik an Verständnisse und Bedürfnisse der Zuhörer; unauffällige Beeinflussung der Handlungsmotivationen von Individuen, die frei und im eigenen Interesse zu handeln meinen; Konditionierung durch moderne Werbetechniken; Bedürfnisse und Wertmaßstäbe der Einzelnen dem Ziel der Manipulation gefügig machen. An Strategien sind hier vor allem zu nennen: Trivialisierung; Stereotypisierung, Klischierung; Standardisierung; Formalisierung; Bipolarisierung; Personalisierung; als wesentliches Merkmal der Manipulation wird häufig genannt die Anwendung von Begriffen mit beträchtlicher Variationsbreite und einem hohen Maß an Elastizität, die vielfältige positiv besetzte Konnotationen erlauben, wie Glück, Liebe, Natur, Wohlfahrt etc., also an emotionale Identifikationen appellieren und so Zustimmungsbereitschaft fördern. Aber das ist geradezu die Kernaufgabe politischer Rhetorik, nämlich Glauben zu finden mit diesen Praktiken der Gewaltlosigkeit, die also die von uns entwickelten Formen gewaltbesetzten Sprechens vermeiden.
Auch kann es im Rahmen unserer Fragestellung nicht um weit verbreitete Verstöße gegen Sprach- und Sprechnormen gehen wie z. B. Unverständlichkeit, Unklarheit, Vieldeutigkeit, Formelhaftigkeit, Polarisierung; Veränderung zentraler politischer Begriffe durch Ausweitung, Verengung, Festlegung, Dynamisierung, Schablonisierung etc.; mangelhafte Wahrhaftigkeit durch Auswahl, Weglassen, Pointierung, unzureichenden Wirklichkeitsbezug; Auf- bzw. Abwertung der eigenen und der gegnerischen Sprache; stilistische Mängel wie Modewörter, Schwulst usf.; gemeint ist auch nicht die Tendenz, politische Schlüsselbegriffe zu besetzen und sie zu gruppenhaften, z. B. parteipolitischen Bedeutungsnetzen zu verknüpfen; die Einflussnahme auf die Bedeutung politischer Begriffe und der Kampf um die Dominanz von Begriffen im Rahmen der Werbeauseinandersetzungen gehören zum Streit in demokratischer Ordnung. Erfolge in der Sachauseinandersetzung sind zwar zumeist Voraussetzung für sprachliche Erfolge, aber die geistige und politische Führung durch Besetzung von Begriffen ist unabdingbar, um politisch zu reüssieren. Maßstab der Sprachkritik darf auch nicht einfach der Wahrheitswert der Aussagen sein, geht es doch in der politischen Rhetorik nicht primär um Daseinserhellung im Lichte der Wahrheit, wie in der Wissenschaft, sondern Sprache ist als Transportmittel von Ideen und Werten ihrer Handlungsfunktion, also dem Ziel, Glaubwürdigkeit zu stiften, untergeordnet. Rhetorik zielt also nicht auf neutrale Information, sondern bedient sich vor allem der verschiedenen Formen appellativen Sprachgebrauchs.
Der Gewaltbegriff sollte in einer Betrachtung rhetorischer Auseinandersetzung nicht so extensiv gefasst werden, dass hierunter im Streit mit Kontrahenten verbreitete, ständig benutzte Strategien, um sich gegenüber Antipoden durchzusetzen und bei einem Publikum auf Zustimmung zu stoßen, als verbale Gewalt interpretiert werden. Dies geschieht z. B. in der Untersuchung von Martin Luginbühl, „Gewalt im Gespräch. Verbale Gewalt in politischen Fernsehdiskussionen am Beispiel der ‚Arena‘ “, wo Praktiken wie die Unterstellung von Inkompetenz und Unaufrichtigkeit, die Zuschreibung von negativen Wesens- und Verhaltenszügen, die Taktik der Unterbrechung von Gesprächspartnern, um zu widersprechen, das An-sich-Reißen der Sprecherrolle und die Einflussnahme auf thematische Schwerpunktsetzung unter verbale Gewalt subsumiert werden. So wird ohne große Differenzierung jede Streitrhetorik, die nicht vor allem auf Argumentation und gute Begründung abstellt, einem radikalen Verdikt des politisch Unangemessenen ausgesetzt. Um von Gewaltrhetorik zu sprechen, bedarf es der Herausarbeitung eines engeren Gewaltbegriffs, also eines spezifischen Typus radikaler Violenzrhetorik.
Die Kritik sprachlicher Handlungen in Demokratien kann sich im Kontext der Problematik gewaltbezogener Rhetorik nur auf moralische Bewertungen besonders verwerflichen Sprachgebrauchs beziehen wie: Sprache als Mittel der Freund-Feind-Erklärung, Verteufelung des Gegners, Dogmatisierung politischer Inhalte, aggressive Unterdrückung anderen Denkens, Beanspruchung eines Interpretationsmonopols, oft in Gestalt von Wortverboten und politischer Sprachverfolgung, der eschatologischen Aufladung von Begriffen und Appelle an Heils- und Erlösungssehnsüchte. Den Extremfall solcher Rhetorik stellt der absolute Sprach- und Herrschaftsanspruch dar in Form der Systemüberwindung, der Zerstörung rechtsstaatlicher und parlamentarischer Demokratie. Aber auch das Stellen des demokratischen Gegners außerhalb der Demokratie, z. B. durch assoziative Zuordnung zu Faschismus oder Kommunismus, gehört in diesen Bereich extremer Grenzüberschreitung. Solche Vorgehensweisen, den politischen Gegner in die Nähe des Faschismus bzw. des Kommunismus/DDR-Sozialismus zu rücken, waren ja in den ausgehenden 60er- und in den 70er Jahren sehr verbreitet in der Bundesrepublik Deutschland. Solche Verzerrungen der Position des Gegners im sprachpolitischen Stellungskrieg kann der Wähler in demokratischen Ordnungen mit der Vielfalt der Medien zwar erkennen, es existiert also nicht quasi die Unentrinnbarkeit eines sprachlichen Gefängnisses, Sprache verfügt nicht einfach über das Denken, aber die meinungsfordernde Macht der ideologischen Sprache ist nicht als zu vernachlässigend zu qualifizieren, insbesondere wenn die politische Wirklichkeit gute Ansatzpunkte und eine reale Basis für solche Übergriffe bietet.
Reden oder Gewalt: Das ist kein diametraler Gegensatz; Sprechen kann einerseits der Vorbereitung von Gewalt dienen und aggressives Sprachhandeln zu physischer Gewalt führen, andererseits vermag Sprechen auch ohne solchen angedrohten bzw. realisierten Übergang verbaler zu physischer Aggressivität gewaltsam zu sein. Wer Frieden will als Hauptziel in freiheitlich-demokratischer Ordnung, muss auch friedliches Kommunikations-verhalten wollen. Politik ist hier weitgehend ein kommunikatives Projekt und damit an Sprache und ihre gewaltfreie Verwendung gebunden, um Streitfragen zu klären, sich zu verständigen, Kompromisse und Lösungen zu finden, Wähler zu überzeugen.
Rhetorik gilt als eine Kunst, einen Konsens in Fragen herbeizuführen, die nicht mit zwingender Beweisführung entschieden werden können; das Merkmal der „Wahrscheinlichkeit“ kennzeichnet einen Geltungsanspruch von Aussagen, deren Gültigkeit allein durch andere verbürgt ist, d. h. durch die Intersubjektivität ihrer konsensuellen Akzeptabilität. Es geht also nicht um apodiktisches Schließen aus wahren und ersten Sätzen, sondern – wie in der Dialektik – aus wahrscheinlichen Prämissen, wobei die Rhetorik nicht nur auf eine rationale Zustimmung zielt, sondern auch auf eine emotionale, um den Hörer zu gewinnen. Die Redesituation ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Redner vermittels eines breiten Repertoires von überzeugungskräftigen Argumenten die Zustimmungsbereitschaft seines Publikums zu erreichen sucht. Dabei gibt es in der persuasiven Rede verschiedene Grade vernünftigen Redens, die vom stichhaltigen, plausiblen Begründen und ehrlichen und vorsichtigen Überzeugen bis zu Überredung als Täuschung und fanatischer und intoleranter Propaganda reichen36.
Im Rahmen der Reflexion über politischen Einfluss und politische Macht in unserer Demokratie haben insbesondere Medienwissenschaften die große und immer noch wachsende Bedeutung der Massenmedien, vor allem des Fernsehens, betont. Thomas Meyer37 z. B. konstatiert die Entwicklung der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie, europäische Demokratien würden heute ähnlich wie in Nordamerika nach dem Regelsystem der Mediendemokratie funktionieren, nicht unterschätzt werden dürfe die Macht der Medien auf die Prägung der politischen Kultur;