Politische Rhetorik der Gewalt. Dr. Detlef Grieswelle
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Politische Rhetorik der Gewalt - Dr. Detlef Grieswelle страница 13
Demonstration demokratischer Mehrheit in Form von Aufrufen, Werbekampagnen, Kundgebungen, Lichterketten etc. als sichtbare Gegenwelt zu extremistischen Gruppierungen, auch wenn dies mehr zur Geschlossenheit und Selbstvergewisserung überzeugter Demokraten als zur Abschreckung von Extremisten dienen sollte;
Vermeidung einer pauschalen Zusammenfassung von sehr unterschiedlichen Phänomenen unter dem Extremismus- und Fundamentalismusbegriff, die hier nicht hingehören; eine inflationäre Verwendung des Extremismusbegriffs führt zur Entgrenzung des Phänomens und Ununterscheidbarkeit von Bereichen; die Etikettierung als Extremismus wird zur Totschlagargumentation und damit zu einer stumpfen Waffe; gute Beispiele hierfür sind der sog. Extremismus der bürgerlichen Mitte49, wie er von eher linken Gruppierungen erhoben wurde, aber auch ein angeblich linker Extremismus, wie er vielfach eher von rechts demokratischen Mitgliedern von Protestbewegungen unterstellt wurde; eine solche Stigmatisierung politischer Gegner erfolgte z. B. im Herbst 1977 im Anschluss an den „Nachruf“ des Göttinger Mescaleros und dessen Aussage, er könne eine „klammheimliche Freude“ über den „Abschuss von Buback“ nicht verhehlen;
bei aller Abgrenzung gegenüber dem Extremismus Offenhalten von Möglichkeiten, um mit Extremisten und insbesondere Extremismusgefährdeten zu sprechen; Signalisierung von Gesprächsbereitschaft auch an verurteilte Gewalttäter, insbesondere an jene, die der Gewalt und dem Terrorismus abschwören50.
Es kommt darauf an, unfaire rhetorische Methoden der Extremisten zu erkennen und sie wirkungslos zu machen, vor allem gegenüber Dritten, die nicht den extremistischen Gruppen angehören bzw. deren Positionen nur eingeschränkt akzeptieren. „Man muss erkennen, wann und wie es sich um Unterstellungen, Verdrehungen, Ideologisierungen, Emotionalisierungen, Moralisierungen, Verdächtigungen und Ausweichmethoden oder auch schlichte Lügen handelt. Dabei darf man nicht dem Fehlschluss unterliegen, dass die Drittgruppe diese unfaire Dialektik gleichermaßen erkennt. Im Gegenteil: Man muss der Drittgruppe die Erkenntnis anbieten bzw. erleichtern. Das ist schon darum unerlässlich, weil damit die Glaubwürdigkeit auch der 'dialektisch geschulten' Agitatoren in Frage gestellt wird und die Sympathien auf die eigene Seite gezogen werden“51. Da Extremisten rationaler Argumentation kaum zugänglich sind, gilt es, die Provokation offen anzunehmen, in konfrontativer Rhetorik selbst anzugreifen, die eigenen moralischen und rechtlichen Grundsätze klar auszusprechen und totalitäres Denken und Verfassungsfeindschaft eindeutig zu verurteilen, sowie die unfairen Kampfmittel der Extremisten zu entlarven52. Dass Extremismus nicht allein mit Verteufelung zu bekämpfen ist, hat Jean Baudrillard im Falle Le Pens zum Ausdruck53 gebracht. Es bedarf immer eines breiten Arsenals rhetorischer Strategien.
Demokratie muss also wehrhaft sein, sie fordert von den Demokraten, sich ihren Feinden entgegenzustellen. Freiheit im Sinne unserer demokratischen Verfassung und Unfreiheit sind klar zu unterscheiden, Bedrohung der Demokratie ist als Bedrohung zu identifizieren, Gewalt als Gewalt und Terrorismus als Terrorismus, Feinde der offenen Gesellschaft sind als solche zu bezeichnen und zu bekämpfen. Ein Verzicht auf die Bestimmung als Feind, der die Wirklichkeit der fundamentalen Gegensätze verkennt, nutzt zumeist den Feinden der Demokratie. Bei aller Gegensätzlichkeit bedarf es jedoch auch gegenüber dem Feind der Bereitschaft, Kommunikation nicht völlig abreißen zu lassen, gesprächsbereit zu sein, sich im Umgang nicht von blindem Hass und Schablonendenken leiten zu lassen; es kommt auch darauf an, das Bild vom Feind nicht festzuschreiben, sondern für neue Erfahrungen offen zu halten. Selbst für den Umgang mit politischen Feinden ist ein Mindeststandard an politischer Kultur geboten54.
Die Demokratie ist allerdings notwendigerweise verbunden mit der entschiedenen Ablehnung derer, die aufgrund verschiedener Merkmale wie Geburt, Gottesgnadentum, Reichtum, ethnischer Herkunft, Rasse, Ideologie etc. das Monopol der Machtausübung für sich beanspruchen. Herfried Münkler55 formuliert hierzu ganz richtig, Bürger in Demokratien könnten sich nicht als Bürger entwerfen ohne die Feindschaft zu denen, die Herren sein wollten. Im spezifischen Selbstbild einer demokratischen Ordnung seien Feinde immer schon enthalten. Freilich: In dieser mit dem Selbstbild untrennbar verbundenen Feindvorstellung sei bloß die Potenzialität, nicht die Aktualität von Feindschaft gesetzt. Wenn denn Bürgerschaft notwendig die Feindschaft gegen Herrschaft einschlösse, so sei damit keineswegs zwingend, dass es auch tatsächlich Feinde gebe: Immerhin sei ein Zustand zumindest vorstellbar, in dem keiner beanspruche, Herr zu sein, und alle sich damit abfänden, dass sie nur Bürger sein könnten. Was markiert werde, sei die Position des Feindes, nicht der Feind selbst.
Zur Bekämpfung des Extremismus gilt es die verschiedenen Strategien der Deradikalisierung anzuwenden; hier geht es vor allem darum, Unzufriedenheit und Konflikte, z. B. durch soziale und kulturelle Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen und Deprivationen, zu mindern, den extremistischen Ideologisierungen in ihren verschiedenen Elementen entgegenzuwirken, Personen aus ihrem extremistischen sozialen Umfeld herauszulösen, z. B. Gefühle des Zweifels und der Enttäuschung zu verstärken, zu guter Letzt um eine Demobilisierung im Sinne des Unterlassens von Gewalt, weil diese in Frage gestellt wird, sei es als kontraproduktiv für die Erreichung politischer Ziele oder aus grundsätzlichen moralischen Erwägungen.
2. Hostilisierung, Feindbild
Anders verhält es sich in einer Demokratie mit Demokraten, die den Minimalkonsens der Verfassung akzeptieren und verteidigen; hier darf es keine Feinde aus politischen Gründen geben, sondern nur Andersdenkende oder auch politische Gegner. Der grundsätzliche Unterschied zwischen Gegner und Feind ist zu wahren, also zwischen gegnerischer Partei und dem Feind der Demokratie überhaupt. Es kann zwar Gegensätze und Konflikte geben, ja sie sind essenzielle Gegebenheiten und Notwendigkeiten in der Politik, aber Feindschaften und Feindbilder passen nicht zu einer angemessenen Umgangskultur im demokratischen Gemeinwesen, wo gefordert ist, auf andere zuzugehen, ihnen zuzuhören, Rücksicht zu nehmen und Respekt zu zeigen, Verständnisbereitschaft an den Tag zu legen, Informationen und Wertungen der gegnerischen Partei zu prüfen, sein Bewusstsein zu bilden und kompromissbereit zu sein. Erziehung zur Demokratie bedeutet nicht Erziehung zu Hass, Verachtung, Selbstgefälligkeit, sondern zu Würde, Selbstachtung und Achtung des anderen als ebenbürtiger Person, zu Friede und Gewaltlosigkeit. Feindschaft zerstört Verbindungen, Anderssein darf nicht als Mindersein begriffen werden, Anerkennung von Verschiedenheiten ist geboten, statt Uniformität zu fordern. Man kann innerhalb der gemeinsamen Fundamentaloption, deren Negation den Feind macht, zu verschiedenen Programmen und erst recht Methodiken gelangen, „ohne das für einen selbst Verpflichtende in jedem Fall auch anderen als sie verpflichtend ansinnen zu müssen, vielleicht dies nicht einmal immer zu dürfen. Und dies nicht bloß wegen eines möglichen Gewissensirrtums (stets des anderen?), sondern weil man oft nicht ausschließen kann, es gebe mehrere sittlich richtige Lösungen des Problems“56.
Zumeist sind nur Mehrheitsentscheidungen erreichbar, die respektiert werden müssen, weil sonst überhaupt kein Handeln und keine Ordnung zustande kämen. „Dabei wird weder von den Respektierenden (der Minderheit) verlangt, das Ergebnis für richtig zu halten (dies wäre ja selbst bei Einstimmigkeit keineswegs garantiert), noch dürfen diese beanspruchen, nur richtigen (d. h. konkret: den eigenen) Lösungen dürfe zugestimmt werden“57. Einen politischen Gegner als Feind zu behandeln, bedeutet, ihm die Teilnahme an der Gemeinschaft der Demokraten streitig zu machen; wer dies tut, zerstört die Grundlagen für eine fruchtbare Diskussion und Zusammenarbeit.
Mit Feind gemeint ist primär nicht der persönliche Feind – lateinisch: inimicus, sondern der kollektive Feind – lateinisch: hostis, der Machtansprüche stellt und sie durchzusetzen