Politische Rhetorik der Gewalt. Dr. Detlef Grieswelle
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Die von Feindbildern beherrschten Gruppen zeichnen sich zumeist aus durch Klischees gegenüber der wirklichen Welt und eine beachtliche Wirklichkeitsverweigerung, durch ein überzogenes Selbstwert-, ja Überlegenheitsgefühl und eine radikale Abwertung des Feindes, durch Absolutheitsansprüche und Unfehlbarkeitsideen, durch entsprechend schroffe und hasserfüllte Ablehnung des Antipoden und dessen moralische Verurteilung als grundlegend böse, durch eine Tabuisierung einer Diskussion mit dem andersdenkenden Feind, der angeblich wesentliche Werte und Bedürfnisse der Eigengruppe bedroht oder sich ihr entgegenstellt. Die Beschreibung des Feindbildes verdeutlicht, dass man unter Feindbild nicht den Kontrahenten selbst, sondern etwas Drittes, das sich zwischen ihn und einen selbst schiebt, versteht: „Ein Bild, das sich wie alle Bilder aus einer ganzen Anzahl von Komponenten zusammensetzt, die mit dem eigentlichen Objekt oft sehr wenig oder kaum etwas zu tun haben“59.
Kurt und Kati Spillmann haben im Anschluss an Daniel Frei sieben typische Merkmale, die zum Syndrom des Feindbildes gehören, entwickelt. Diese Kennzeichen seien abschließend in der Zusammenfassung von Wagenlehner60 genannt:
Misstrauen: Alles, was vom Feind kommt, ist entweder schlecht oder, wenn es vernünftig aussieht, aus unredlichen Motiven entstanden.
Schuldzuschiebung: Der Feind ist schuld an der existierenden Spannung bzw. an dem, was an den herrschenden Umständen für uns negativ ist.
Negative Antizipation: Was immer der Feind unternimmt, er will uns schaden.
Identifikation mit dem Bösen: Der Feind verkörpert in allem das Gegenteil dessen, was wir sind und anstreben, er will unsere höchsten Werte vernichten und muss deshalb selbst vernichtet werden.
Nullsummendenken: Was dem Feind nützt, schadet uns – und umgekehrt.
De-Individualisierung: Jeder, der zur Gruppe der N. N. gehört, ist eo ipso unser Feind.
Empathieverweigerung: Mit unserem Feind verbindet uns keine Gemeinsamkeit; es gibt keine Information, die uns von unserer Feind-Auffassung abbringen könnte; den Feinden gegenüber sind menschliche Gefühle und ethische Kriterien gefährlich und fehl am Platz.
Feindbilder sind ein wesentlicher Bestandteil der Politik vor allem in totalitären Ideologien, Bewegungen und Regimen. Über die verhängnisvolle Rolle der Feindbilder liefern die letzten Jahre der Weimarer Republik, wo die extreme Rechte und die extreme Linke, insbesondere Nationalsozialismus und Kommunismus, in der politischen Auseinandersetzung, ihrer Ideologie entsprechend, permanent Feindbilder verwandten, wobei sie sich auf die Vertreter demokratischer Parteien und das demokratische System insgesamt konzentrierten. Die Nationalsozialisten prägten vor allem das Feindbild des Rassenfeindes, des „ewigen Juden“ und der „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“, während sich der Kommunismus an der Weltanschauung der Klassengegensätze orientierte und eine Bekämpfung des „Klassenfeindes“ forderte. Eine innerweltliche Religion mit ihrer Verachtung einer angeblich total verdorbenen Gegenwart, ihren Absolutheitsansprüchen, ihrem unerschütterlichen Glauben an die eigene Perfektion, ihren apodiktischen Zukunfts- und Erlösungsvorstellungen, impliziert Hass und fanatische Feindbilder.
Feindbilder kennzeichneten in der Folge der deutschen Geschichte die nationalsozialistische Herrschaft und den „realen Sozialismus“ in der ehemaligen DDR. Hier wurde von Staats wegen der Hass geschürt und der Kampf mit Feindbildern zu einer wichtigen Aufgabe. Aber auch in Westdeutschland gab es seit den 50er Jahren extremistische Gruppierungen, deren Denken und Handeln von Feindbildern bestimmt waren. Zu denken ist hier an frühe rechtsradikale Bewegungen, an Ende der 60er Jahre im akademischen Bereich aufkommende Neo-Marxismen mit ihren neuen Klassenkampfforderungen, an den Versuch rechtsextremer Gruppen, mit nationalistischen und antidemokratischen Feindbildern wieder Fuß zu fassen, an extreme Gewalt im Terrorismus der 70er und 80er Jahre, aber auch an extremistische Angehörige in sog. autonomen Protestbewegungen wie denen der Hausbesetzer und in fundamentalistischen Gruppen wie beispielsweise ausländischen Widerstandsbewegungen, wo nicht selten Formen demokratischer Willensbildung und des demokratischen Pluralismus verhöhnt, einfache Welterklärungen gegeben und politische Lösungen in diktatorischen Führungen gesehen wurden.
Feindschaft gegenüber dem politischen Gegner ist aber nun nicht nur ein Konfliktverhalten extremistischer Personen und Gruppen, sondern auch häufig Wirklichkeit im Streit zwischen Demokraten. Eine vielfach angewandte Strategie ist es, die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die bürgerlichen Freiheitsrechte exklusiv für sich in Anspruch zu nehmen und den politischen Gegner aus dem demokratischen Grundkonsens auszugrenzen. Nicht selten kommt es vor, den politischen Antipoden in Nähe totalitärer Ideologien und Systeme bzw. des Rechts- und Linksextremismus zu rücken, und das vielfach in einer subtilen Manier, die auf negative Assoziationen der Begriffe abstellt. Die Kampagne „Freiheit oder Sozialismus“ der CDU, Geißlers Attacken, der SPD mit Bezug auf Pazifismustendenzen gegenüber dem Nationalsozialismus mangelhaftes Eintreten für die Verteidigung der Demokratie vorzuwerfen, CDU-Angriffe, SPD und NSDAP hätten als Gemeinsamkeiten sozialistisches Denken, aber auch Behauptungen der SPD, CDU/CSU stünden radikalem Nationalismus und Rechtsextremismus nahe und würden sich nicht hinreichend davon distanzieren, sind hierfür Beispiele. Es ist zwar zulässig, dem politischen Gegner Interessenbindungen, falsche Wertorientierungen, Fehler und Fehleinschätzungen vorzuwerfen, aber nicht Verfassungsfeindlichkeit, so hierfür keine tatsächlichen Gründe vorliegen: „Legt man es darauf an, den Andersdenkenden aus dem Grundkonsens herauszudrängen, ihn über den Rand der Verfassung hinabzustoßen, wird aus der konkurrenzdemokratischen, legitimen und notwendigen Konfliktsituation allemal ein Notstand, ein Ausnahmezustand, in dem die Hemmschwellen politischer Kultur nicht mehr zählen. Der Andersdenkende wird zum Feind, er wird zum Feind gemacht, nichts ist dann gefährlicher als die Destabilisierung des Feindbildes: Die demokratische Auseinandersetzung pervertiert zum Überlebens- und Vernichtungskampf, zum geistigen Bürgerkrieg, in dem der Zweck jedes Mittel heiligt61.“
Feindbilder zur Herabsetzung politischer Gegner sind auch keineswegs selten in den Massenmedien, man denke nur an Feinderklärungen an Adenauer, Brandt, Strauß und Kohl oder an Parteien bzw. ganze Regierungen, in „Bild“, „Stern“, „Spiegel“, wobei politische und wirtschaftliche Ziele sich vermischen. Insbesondere die Partei-, Gewerkschafts- und Verbandspresse zeigt häufig Merkmale, die den sieben Kategorien unseres Feindbildes in hohem Maße entsprechen, auch politische Magazine im Fernsehen, auf dem rechten und linken Spektrum, arbeiten mit Freund-Feind-Stereotypen und Schwarz-Weiß-Malerei von Gut und Böse. Immer mehr Rechts- und Sozialwissenschaftler äußern ihre Sorge über eine Vergiftung der Streitkultur durch zügelloswerdende Diffamierungskampagnen der Massenmedien und warnen, dass solche Tendenzen zu einer Negativauslese in der Politik führen könnten. Dabei wird häufig das Bundesverfassungsgericht mitverantwortlich für den Verfall der Streitkultur gemacht, weil „Karlsruhe“ die Meinungsfreiheit bis zur äußersten Grenze ausgeweitet und den Schutz der persönlichen Ehre auf einen minimalen Rest habe schrumpfen lassen62.
Zeitweise grassierten solche Feindstiftungen auch bei den sog. Widerstands- und Protestbewegungen