KNIGGE: Über Eigennutz und Undank. Adolph Freiherr von Knigge

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KNIGGE: Über Eigennutz und Undank - Adolph Freiherr von Knigge

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rechtmäßigen Besitzes derjenige Mensch würde haben

       können, der nichts von Eigenthum wüßte? – Gewiß gar

       keine! Und so ist es mit allen übrigen Tugenden

       beschaffen. Und wie viel Fälle giebt es nicht in der

       bürgerlichen Zusammenlebung, wo das, was unter

       andern Umständen für die erhabenste Tugend gelten

       würde, wegen der zu erwartenden schädlichen Folgen

       würklich unverantwortliches Verbrechen wird!

       9.

       Um nun noch einmal das Ganze zusammen zu fassen; so

       giebt es keine reine, angebohrne, allgemeine Begriffe von

       Tugend und Pflicht; der Mensch, wenn man ihn von allen

       äußern Verhältnissen frey betrachtet, kennt nur Ein

       Gesetz, und das ist: die Gefühle und Triebe, welche ihn

       zum Handeln bewegen, durch die Vernunft zu gewissen

       Zwecken leiten zu lassen; bey diesen Zwecken nimmt die

       Vernunft auf die zu erwartenden Folgen Rücksicht,

       wobey ihm die Erfahrung zur Lehrmeisterinn dient; und

       da diese Folgen nach der Verschiedenheit der

       Verhältnisse, darinn er sich befindet, verschieden sind; so

       können auch seine Bewegungsgründe zum Handeln und

       die Gesetze, welche er sich dabey vorschreibt, nur nach

       diesen Verhältnissen beurtheilt werden. Endlich, er

       handelt also der Vernunft gemäß, zweckmäßig, richtig,

       gut, tugendhaft und pflichtmäßig, wenn seine

       Handlungen die Harmonie in diesen Verhältnissen, das

       heißt, wenn sie seine Glückseligkeit als isolirtes Wesen

       und als Theil des Ganzen befördern.

       10.

       Kindisch und von eingeschränkten Begriffen zeugend, ist

       es daher, wenn man höhern Wesen, und sogar der

       Gottheit, Tugenden beymißt. Da wir die Verhältnisse der

       höhern Wesen nicht kennen; so können wir nicht nur

       nicht wissen, welche Zwecke ihre Vernunft zum

       Augenmerke haben muß, sondern es ist uns auch

       gänzlich unbekannt, ob nicht andre Kräfte als die, welche

       wir Kräfte der Vernunft nennen, die höhern Wesen

       leiten.

       11.

       Um nun moralisch gut, tugendhaft und pflichtmäßig, das

       heißt, um so zu handeln, daß der Mensch seine

       Glückseligkeit, als isolirtes Wesen und als Theil des

       Ganzen, befördert, würken folglich drey Triebfedern:

       erstlich sein Gefühl oder Instinct, wodurch er

       unwillkührlich zu gewissen Handlungen hingezogen wird;

       zweytens seine Vernunft, die dies Gefühl auf bestimmte

       Zwecke leitet und seinen Verhältnissen anpaßt, und

       drittens die Uebereinkunft mit andern Menschen, die sich

       gegenseitig Vorschriften und Gesetze auferlegt haben,

       wozu endlich bey den mehrsten Völkern noch viertens

       religiöse Motive und Pflichten kommen, die aber so

       unendlich verschieden sind, wie die Vorstellungen,

       welche man sich unter den verschiedenen Völkern von

       der Gottheit und den Verhältnissen der Menschen zu

       derselben macht. Jede dieser Triebfedern einzeln würde

       uns oft misleiten, und nur eine wohl geordnete

       Zusammenwürkung derselben kann die höchste Moralität

       bewürken. Daß der, welcher bloß seinen Gefühlen folgt,

       keinen Anspruch auf moralische Vollkommenheit

       machen könne, bedarf keines Beweises. Wer bloß die

       Vernunft zu Rathe zieht, wird aber nicht weniger oft

       unmoralisch und egoistisch handeln; will er dann auch

       jedesmal die zu erwartenden nahen und fernen Folgen

       genau calculiren; so wird er oft den günstigen Augenblik

       zu guten Thaten darüber verstreichen lassen. Sollen

       dagegen die so genannten reinen Vernunft-Begriffe von

       dem, was Pflicht und Tugend ist, uns bestimmen; so

       werden wir nie feste moralische Grundsätze haben,

       indem die Vorstellungsarten der Menschen sehr

       verschieden sind und auch die richtigsten

       Vorstellungsarten nicht auf jede Verhältnisse passen. Wer

       ferner bloß den Gesetzen der Uebereinkunft folgt, wird

       in unzählichen Fällen, wo die Ahndung der Gesellschaft

       ihn nicht erreichen kann, oder nichts darüber

       vorgeschrieben ist, wie ein Bösewicht oder wie ein Pinsel

       handeln, oder ganz unthätig bleiben. Endlich wer immer

       nur auf religiöse Hinsichten fortwürkt, verfällt leicht in

       Schwärmerey, in speculativen Müßiggang und gar in

       Fanatismus und Intoleranz.

       12.

       Wem ist es je mehr darum zu thun gewesen, reine,

       erhabene Moral zu lehren, als dem großen, göttlichen

       Stifter unsrer Religion, Jesu von Nazareth? Und welche

       Bewegungsgründe zur Tugend, welche Stufen in der

       Pflicht-Erfüllung schreibt er den Menschen

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