KNIGGE: Über Eigennutz und Undank. Adolph Freiherr von Knigge
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Sterblichen zu höherer Würksamkeit und zu
Aufopferungen nahe liegender Privat-Vortheile zu
bewegen, er eines stärkern Antriebes bedürfe, als den,
welcher bloß die Rücksicht auf Erhaltung der
gesellschaftlichen Ordnung erzeugen kann, empfiehlt er
Liebe Gottes über alles. Wir sollen vor allen andern die
Gefühle der Liebe und Dankbarkeit gegen das höchste
Wesen, gegen unsern ersten und vornehmsten
Wohlthäter, in unsern Herzen herrschen lassen, um
ermuntert zu werden zur Nachstrebung höherer
Vollkommenheit und um nicht zu vergessen, daß wir
Theile des großen Ganzen sind, dessen Harmonie auch
durch unsre tugendhaften Handlungen befördert wird.
Dann folgt Liebe des Nächsten, Eifer für das Wohl der
geselligen Bande. Und wie sollen wir unsern Nächsten,
unsern Mitmenschen lieben? Wie uns selbst! das heißt:
unser Betragen in Rücksicht Andrer wird gewiß tadellos
seyn, wenn wir ihr Interesse uns so theuer seyn lassen,
wie unser eignes. Denn was kann dem Menschen näher
liegen, als sein eignes Wohlseyn, seine Erhaltung, sein
eignes Ich, an das ihn jeder Othemzug erinnert? Die
Beförderung dieser eignen Glückseligkeit schreibt Jesus
dann auch als das kräftigste Motiv zu Erfüllung der
Pflichten gegen Andre vor: »Handelt« sagt er »so gegen
sie, wie Ihr wünscht, daß sie gegen Euch handeln sollen!«
13.
Der Bewegungsgrund gut zu handeln, um dadurch unsre
eigne Glückseligkeit zu befördern, ist also so einfach, so
natürlich, so dringend jedem Menschen eingepflanzt, daß
es der gesunden, reinen Vernunft angemessen ist, ihn zur
Richtschnur aller Handlungen zu machen. Man sieht aber
bey genauerer Beleuchtung bald ein, daß diese eigne
Glückseligkeit des fühlenden, denkenden und in
Verbindung lebenden Wesens nur allein durch die
genaueste Beobachtung aller moralischen Pflichten
erlangt werden könne, und daß, wenn Jeder an der Hand
der Vernunft, nach diesem Bewegungsgrunde handelt, es
um die Ordnung und Harmonie des Ganzen sehr gut
stehn werde.
14.
Zuerst ist es gleich einleuchtend, daß wenn jeder Mensch
egoistisch nur die Pflichten gegen sich selbst ausüben,
nur an seinen augenblicklichen Genuß, ohne Rücksicht
auf die entfernten Folgen denken, nur den Antrieben
seines Gefühls Raum geben wollte, und dann jeder Andre
nach eben diesem Systeme handelte, das Leben der
Menschen neben einander ein immerwährender Streit
ihrer sich durchkreuzenden Wünsche und Begierden seyn
würde, und daß man also eigne Ruhe und Glückseligkeit
nur durch gegenseitige, gleichmäßige Schonung,
Nachgiebigkeit und Aufopferung erkaufen könne.
15.
Es ist aber auch sehr natürlich, daß, je näher uns das
eigne Interesse bey einer Handlung liegt, je leichter zu
übersehn die Reihe der für uns zu erwartenden Folgen
ist; auch der Antrieb zu dieser Handlung dringender seyn
werde. Deswegen ist nichts gewisser, als daß die Sorgfalt
für unser Leben, für unsre Gesundheit und unsern
äußern Wohlstand, in Collisions-Fällen, wenn wir bloß
der Vernunft folgen, allen andern Rücksichten wird
vorgehn müssen. Nächstdem wird uns die Sorgfalt für die
Personen unsrer Familie; dann das Band, das uns an das
Vaterland fesselt; hierauf das Wohl aller lebendigen
Wesen, endlich der Zusammenhang des ganzen
Weltgebäudes am Herzen liegen, und es würde thöricht
seyn, von einem irdischen Wesen zu verlangen, daß ihm
zum Beyspiel die Wohlfarth der Mond-Bürger eben so
wichtig seyn sollte, wie die Gesundheit seiner Kinder,
und doch müßte, wenn wir alle Rücksicht auf individuelle
Vortheile und Nützlichkeit aus unsern
Bewegungsgründen verbannen wollten, uns die
Harmonie der Sphären mehr interessiren, als die
Einigkeit in unsrer Familie, welches in der Theorie ganz
erhaben klingen mag, in der Ausübung aber die Kräfte
des sinnlichen Menschen überschreitet. Wir ziehen
hieraus nun folgende Schlüsse: Erstlich: Je entfernter
dem Menschen das Interesse an einem Gegenstande von
dem Einflusse auf seine eigne Glückseligkeit vorkömmt,
desto weniger wird ihn seine Vernunft zu moralischen
Handlungen bestimmen, die auf diesen Gegenstand
abzielen, und umgekehrt, je näher, desto lebhafter wird
sie ihn dazu treiben. Zweytens: je einleuchtender ihm die
Folgen, der Zweck und die Nützlichkeit einer Handlung