Meconomy. Markus Albers
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Vor allem die Kreative Klasse gewinnt immer mehr an Bedeutung: Laut Bundeswirtschaftsministerium wuchs die Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr 2008 gegen den allgemeinen Trend. Hierfür seien vor allem die kleinen Unternehmen verantwortlich gewesen. Sie steuert mit 2,6 Prozent einen größeren Anteil zum Bruttoinlandsprodukt bei als beispielsweise die chemische Industrie mit 2,1 Prozent.
Für diesen in Deutschland eigentlich ganz unüblichen Trend hin zu mehr Unternehmergeist, Mut und Eigenverantwortung, zu Ideen, Experimentierfreude – letztlich: zur Meconomy – gibt es strukturelle, technologische, psychologische und historische Gründe. Die wichtigsten wollen wir uns nun anhand der Kernthesen zweier prominenter Beobachter dieser Entwicklung kurz anschauen. Zunächst kommt der Kommunikationsexperte und Journalistikprofessor Jeff Jarvis zu Wort, danach ist der Unternehmer, Buchautor und Marketing-Guru Seth Godin dran.
Von Google lernen
Es spricht viel dafür, dass die Welt, wie wir sie kennen, sich gerade grundlegend wandelt. Dass bislang bewährte Geschäftsmodelle bröckeln. Dass hierarchische Strukturen von kollaborativen, netzwerk-artigen ersetzt werden. Dass Kommunikation in Unternehmen und in der Gesellschaft nicht mehr nur von oben nach unten funktioniert, dass aber der eine oder andere kosmetische Rückkanal auch nicht mehr ausreicht, sondern dass ein unordentliches Gewirr aus Sendern und Empfängern die alten Medien ersetzt. Dass Menschen sich nicht mehr als dumpf konsumierende Endverbraucher und Marketingziele sehen mögen, sondern dass sie Einfluss nehmen wollen auf Produkte, Innovationen, Gestalt und Funktion der uns umgebenden Dinge und Werkzeuge.
Ein besonders gnadenloser und hellsichtiger Analyst dieses Umbruchs ist Jeff Jarvis. Der 55-Jährige hat früher als Medienmanager gearbeitet und die bekannte US-Zeitschrift Entertainment Weekly erfunden. Dann entwickelte er eine Wissenswebsite und wurde Professor an einer Uni. Jarvis hält Vorträge über den Medienwandel, auf denen er den baldigen Tod der Tageszeitung verkündet, bloggt sehr erfolgreich und schreibt Bücher wie den Bestseller „Was würde Google tun?“.
In diesem beschreibt er, was passieren würde, wenn andere Branchen nach den Regeln des Suchmaschinen-Riesen operieren würden. Für Jarvis sind die oben beschriebenen Umbrüche auf einen knackigen Nenner zu bringen, den er – wenig bescheiden – „Jarvis’ erstes Gesetz“ nennt: „Gib den Menschen Kontrolle, und wir werden sie nutzen. Tue es nicht, und du wirst uns verlieren.“ Was bedeutet dies im Kontext der Meconomy?
Zunächst brauchen wir, was Jarvis „Googlejuice“ nennt: Wir müssen per Google (oder anderen Suchmaschinen) auffindbar sein. Mindestens unser Lebenslauf muss online sein, das Portfolio unserer bisherigen Arbeiten sowie unser Netzwerk aus Freunden und Kollegen. Und wir sollten nicht der fünfte oder zehnte Treffer sein, wenn man unseren Namen sucht. Der erste „Markus Albers“, den Sie googeln, bin ich – dafür habe ich gekämpft. Wie wir das erreichen? Indem wir uns verlinken, online, aber auch in der realen Welt: Je mehr Dinge/Produkte/Inhalte wir selbst produzieren und auf je mehr andere Produzenten wir hinweisen, desto mehr Links zeigen auf uns zurück. Desto leichter sind wir zu finden, desto mehr Aufträge/Kontakte/Wissen werden zu uns kommen.
Zudem müssen wir aufrichtig und authentisch sein – Google selbst nennt das in seinem Unternehmensmotto „Don’t be evil“. Je mehr die Interaktion zwischen Marktteilnehmern über das Internet explosionsartig zunimmt, desto weniger lohnt es sich, unmoralisch, unkollegial oder ausbeuterisch zu handeln, denn die Kosten überwiegen zunehmend die Vorteile. Jarvis: „Wenn Menschen offen mit Ihnen, über Sie und um Sie herum sprechen können, ist es keine zulässige Geschäftsstrategie mehr, Sie übers Ohr zu hauen.“
Wir müssen uns unterscheiden und positionieren wollen. „Unser Online-Schatten wird zu unserer Identität“, sagt Jarvis: „Um aus der Masse herauszuragen, brauchen wir unterscheidbare Identitäten.“ Wir müssen eine Marke werden, ein Experte, müssen für etwas stehen. Dazu müssen wir nicht Quantenphysiker werden oder Opernstar. Man kann auch für kleine Dinge bekannt sein oder ein Experte innerhalb einer kleinen Gruppe. Denken Sie an den Nachbarn, der für alle anderen die Heizung reparierte. Den VHS-Lehrer, der allen beibrachte, Briefe am Computer zu schreiben. Den Töpfer- und den Trommelkurs, die Baby-Krabbelgruppe und die Freundin, die immer die besten Partys organisierte – alles Experten. Wir sollten uns aber sehr wohl überlegen, ob wir lieber für unsere berufliche Qualifikation oder eine private Leidenschaft bekannt sein wollen. Möglicherweise können wir das online trennen – seriöses Banker-Profil bei Xing, Rock-Gitarrist auf MySpace. Glückliche Menschen schaffen es, beides zu verbinden. Was uns zum letzten Punkt bringt.
Wir müssen Dinge machen. Als Sachbearbeiter Vorgänge sauber abzuschließen macht uns weder für etwas bekannt, noch schärft es unser Profil als Experte, noch erweitern wir dadurch ein Portfolio, das uns von anderen unterscheidet. Wir wissen nicht, welche Akten Franz Kafka als Versicherungsangestellter bearbeitet hat. Wir kennen seine Romane, Erzählungen und Briefe. Standard-Arbeiten werden zum Glück heute automatisiert oder outgesourct. Deswegen muss nicht plötzlich jeder Romane schreiben. Aber die Frage, was Sie am Ende Ihres Lebens geschaffen haben wollen, was Ihr – wie es im Englischen so schön heißt – „body of work“ sein soll, muss erlaubt sein. „Das Internet macht uns nicht kreativer“, schreibt Jarvis: „aber es erlaubt unseren Kreationen, gesehen, gehört und benutzt zu werden. Es ermöglicht jedem Kreativen, ein Publikum zu finden, das er oder sie verdient.“ Bevor wir uns mit diesem letzten Punkt näher befassen, soll klargestellt sein: Kreieren kann man nicht nur Bilder, Musik oder Tanz. Auch eine Unternehmensgründung, eine Ingenieursleistung oder eine Wissensvermittlung können immens kreative Akte sein. Es kommt zunächst einmal nicht darauf an, wie „wertvoll“ ein Produkt oder eine Idee ist. Es kommt darauf an, dass wir sie schaffen.
Werden Sie der Anführer Ihres eigenen Stammes
Seth Godin ist ein Advokat des neuen Denkens. Wie wenige bringt der amerikanische Marketing-Experte, Unternehmer und Buchautor knackig auf den Punkt, was genauso anders ist an der neuen Wirtschaftsordnung, die wir Meconomy nennen wollen. Godin prägte im Jahr 2009 den Begriff der „Tribes“, zu Deutsch „Stämme“, um die neuen Beziehungsgeflechte zwischen Menschen zu beschreiben. Stämme gab es schon immer: Die Einwohner einer Kleinstadt waren ein Stamm, alle Leichtathleten in Thüringen bildeten einen Stamm oder die Hamburger SPD-Mitglieder. Bei diesen alten Stämmen spielte die Geografie eine zentrale Rolle.
Das Internet hat diesen Geografiebezug eliminiert. Heute existieren unendlich viele Stämme nebeneinander, große und kleine, horizontale und vertikale. Wir alle sind Mitglied in viel mehr Stämmen als früher: Stämme, mit denen wir gemeinsam arbeiten, reisen, einkaufen. Stämme, mit denen wir über Politik diskutieren, denen wir unsere Fotos zeigen, die dieselbe Musik mögen wie wir oder die uns ihre Kochrezepte verraten. Wir haben immer mehr Werkzeuge zur Verfügung, um die Mitgliedschaft in diesen Stämmen zu organisieren und um uns mit den anderen Mitgliedern zu verbinden: Facebook und Xing, Twitter und Basecamp, E-Mail und Websites.
Alle diese Stämme, so Godins Theorie, suchen Anführer. Und der Anführer, das können Sie sein. Am besten, Sie gründen selbst einen Stamm. Was der Gegenstand sein könnte, das Thema, das Produkt? Da horchen Sie am besten tief in sich hinein und fragen sich, wozu Sie am allermeisten Lust hätten. Was ist Ihre Leidenschaft? Wofür brennen Sie? Genau das sollte Thema Ihres Stammes werden.
• Sie interessieren sich so sehr für Schokolade, dass Sie alles darüber wissen und das Wissen weitergeben wollen? Holger In’tVeld ging es genauso, also gründete er in Berlin den „Schokoladen“, in dem er hochpreisige Kakaoprodukte verkauft. Ein Café hat er ebenfalls eröffnet, eine eigene Schokolade produziert er bereits und an einem Buch zum Thema schreibt er gerade. Früher war In’tVeld Musikjournalist – heute hat er einen Stamm von Schoko-Connaisseuren