Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson
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»Was für ein Ding meinst du?« fragte Großvater. »Auf dem Felsen können nur Schafe sein.«
»'S sieht ganz wie ein Mensch aus«, meinte Sandie, der der Insel näher war als wir. »Ein Mensch«, wiederholten wir, und die Sache gefiel uns allen nicht. Denn nirgendwo war ein Boot zu sehen, um einen Menschen dorthin zu bringen, und der Schlüssel des Gefängnisses hing immer noch daheim am Kopfende von meines Vaters Wandbett. Wir blieben dicht beisammen, um nicht allein zu sein, und krochen langsam näher. Großvater hatte ein Glas, denn er war ein Seemann und Kapitän eines Fischerboots gewesen, ehe er das Schiff auf den Sandbänken des Tay verloren hatte. Und als wir durch das Glas schauten, sahen wir tatsächlich einen Mann. Da stand er in einer grünen Hügelfalte, dicht unterhalb der Kapelle, ganz mutterseelenallein, und hüpfte und sprang und tanzte herum wie so 'n tolles Frauenzimmer bei 'ner Hochzeit. »Es ist Tod«, sagte Großvater und reichte das Glas Sandie. »Ja, er ist's«, sagte Sandie. »Oder jemand anders in seiner Gestalt«, meinte der Großvater. »Das ist ungefähr dasselbe«, entgegnete Sandie. »Ob Teufel oder Hexenmeister, ich will ihm mal 'ne Probe aus meiner Büchse zu kosten geben«, sagte er und zog eine Vogelflinte heraus, die er immer bei sich hatte, denn Sandie war als Schütze in der ganzen Gegend berühmt. »Halt ein, Sandie,« warnte der Großvater, »wir müssen erst klarer sehen, sonst kann es uns beiden teuer zu stehen kommen.« »Unsinn!« meinte Sandie. »Das ist wahrhaftig die Strafe des Herrn, Himmelherrgottnocheinmal!« »Kann sein, kann aber auch nicht sein«, sagte mein Großvater, – Gott hab ihn selig! – »Hüte dich vor dem Staatsanwalt; ich denke, 's war' nicht das erstemal, daß du ihm in die Quere liefest.« Das war nur allzu wahr. Sandie schien ein bißchen abgekühlt. »Na, schön, Edie,« sagte er, »was schlägst du vor, zu tun?« »Nur das eine«, sagte mein Großvater. »Ich habe das schnellere Boot und fahre zurück nach North Berwick, und du bleibst hier und behältst das Ding da im Auge. Kann ich Lapraik nicht finden, dann bin ich gleich wieder da, und wir beide wollen mit ihm eins schwatzen. Wenn aber Lapraik zu Hause ist, dann zieh ich die Flagge im Hafen hoch, und dann kannst du das Ding dort mit deiner Büchse traktieren.« Na, so wurde es zwischen ihnen ausgemacht. Ich war nur ein Bub und kletterte in Sandies Boot, von wo es, wie ich meinte, das meiste zu sehen gäbe. Mein Großvater reichte Sandie ein silbernes Sixpencestück, daß er 's mit den Bleikugeln abschösse, da es gegen Teufelsspuk viel wirksamer ist. Und dann machte sich das eine Boot auf den Weg nach North Berwick, während das andere das unselige Ding dort auf dem Hügel bewachte. Die ganze Zeit, während wir da lagen, hüpfte und wirbelte das Geschöpf herum wie ein Kreisel, und wir konnten die Schreie hören, die es im Tanzen ausstieß. Ich habe Dirnen, tolle, wilde Frauenzimmer, eine ganze Winternacht durchtanzen sehen und erlebt, daß sie bei Morgengrauen immer noch tanzten. Aber dann waren Leute da, um ihnen Gesellschaft zu leisten und Burschen, die sie antrieben, und das hier war ganz allein. Und sonsten ist ein Fiedler da, der in der Ofenecke den Ellbogen tanzen läßt, während dieses Wesen als Musik nur die Schreie der Lummen hatte. Und die Dirnen waren junge Dinger, denen das rote Blut in den Adern brannte und sang, aber das hier war ein dicker, plumper, feister Mann, hoch in den Jahren. Sagt, was Ihr wollt, ich muß aussprechen, was meine Meinung ist. Freude war's, die in des Unwesens Herzen lebte: die Freude der Hölle vielleicht; aber doch Freude. Wie oft hab ich mich gefragt, weshalb Hexen und Zauberer ihre Seelen (als da sind ihr kostbarstes Gut) verkaufen und alte, gebrechliche, runzlige Weiber oder greise, bresthafte, saft- und kraftlose Männer bleiben, und jedesmal mußte ich dabei an Tod Lapraik denken, der ganz allein in dem Jubel seines schwarzen Herzens die Stunden vertanzte. Ohne Zweifel, sie müssen dafür in der tiefsten Hölle braten, aber hier oben freuen sie sich ihres Lebens – solange es dauert – Gott verzeih mir's! Na, endlich sehen wir die winzige Flagge draußen auf den Felsen im Hafen am Maste hochgehen. Auf das hatte Sandie gewartet. Im Handumdrehen hatte er die Flinte heraus, zielte sehr sorgfältig und drückte ab. Der Schuß krachte, und von der Insel kam ein jämmerlicher Schrei. Und wir saßen da und rieben uns die Augen und starrten uns an wie Menschen, die den Verstand verloren haben. Denn mit dem Krach und dem Schrei war das Ding vom Erdboden verschwunden. Die Sonne schien, und der Wind blies, aber da war der leere Platz, wo das Wunder noch vor einer Sekunde gehüpft und gesprungen war. Den ganzen Rückweg schrie und brüllte ich vor Schreck über diesen Richtspruch des Himmels. Den Erwachsenen ging es auch nicht viel besser; in Sandies Boot kam wenig über unsere Lippen, außer dem Namen Gottes, und als wir die Mole erreichten, war der ganze Landungsplatz schwarz von Menschen, die auf uns warteten. Es scheint, sie hatten Lapraik in einer seiner Ohnmachten gefunden, wie er das Schiffchen führte und vor sich hinlächelte, und hatten einen Burschen geschickt, um die Flagge zu hissen, während sie alle in des Webers Haus blieben. Ihr könnt Euch denken, daß ihnen dabei nicht wohl zumute war, aber manchen von denen, die dort leise beteten (denn keiner hatte Lust, es laut zu tun) und dabei das schreckliche Etwas, das das Schiffchen führte, vor Augen hatten, wurde es ein Mittel zur Bekehrung. Da, plötzlich, sprang Tod mit einem fürchterlichen Schrei von seinem Sitz auf und fiel als blutige Leiche auf das Gewirk. Als die Leiche untersucht wurde, sah man, die Bleikugeln waren von des Zauberers Körper abgeprallt; man fand auch nicht einen Tropfen Blei, aber meines Großvaters silbernes Sixpencestück stak tief in seinem falschen Herzen.« Andie hatte kaum geendet, da ereignete sich ein äußerst törichter Vorfall, der seine Folgen hatte. Neil war, wie gesagt, selbst ein großer Geschichtenerzähler. Später erfuhr ich, er wisse sämtliche Sagen des Hochlandes, und er selbst und auch andere seien nicht wenig stolz darauf. Jetzt erinnerte ihn Andies Geschichte an eine, die er kannte. »Ich haben die Geschichte schon mal gehört«, sagte er »Sie war die Geschichte von Uistean More M'Gillie Phadrig und dem Gavar Vore.« »Den Teufel war es das«, rief Andie. »Es ist die Geschichte meines Vaters (Gott hab ihn selig) und Tod Lapraiks. Das behaupte ich Euch glatt ins Gesicht,« setzte er hinzu, »und haltet in Zukunft Euer loses Hochlandsmaul.« Der Umgang mit Hochländern ist, wie man ersehen wird, und wie auch die Geschichte beweist, für Tiefländer von Rang sehr leicht, für die Plebs aus dem Flachland dagegen fast unmöglich. Es war mir längst aufgefallen, daß Andie mit unseren drei McGregors ständig auf Kriegsfuß lebte, und jetzt kam es tatsächlich zu einem offenen Streit. »Das sind keine Worte nicht zu Shentlemans«, brach Neil los. »Shentlemans!« schrie Andie. »Shentlemans, du hochländischer Ochs! Wenn Gott dir die Gnade schenkte, dich einmal selbst zu sehen, wie andere dich sehen – du kämst herunter von deinem Roß!«
Neil entfuhr eine Art gälischer Fluch; im selben Augenblick blitzte das schwarze Messer in seiner Hand. Zeit zum Denken gab es nicht; ich packte den Hochländer am Bein und hatte ihn hingeworfen und die ausgestreckte Hand mit der Waffe am Boden festgenagelt, ehe ich noch wußte, was ich tat. Seine Kameraden sprangen ihm zu Hilfe, Andie und ich waren ohne Waffen und zwei Mann gegen drei. Wir schienen rettungslos verloren, als Neil in seiner Muttersprache aufschrie und den anderen befahl, abzulassen, worauf er in der demütigsten, hündischsten Art mir seine Unterwerfung anbot und mir sogar sein Messer aushändigte, das ich ihm jedoch nach einer Wiederholung seines Versprechens am nächsten Tage zurückgab. Zwei Dinge gingen aus alledem klar hervor: erstens, daß ich nicht allzu fest auf Andie bauen durfte, der sich, bleich wie der Tod, gegen die Wand gekauert hatte, bis der Handel vorüber war; zweitens, daß ich mich den Hochländern gegenüber, die strenge Weisung haben mußten, mein Leben zu schonen, in einer sehr starken Position befand. Allein obwohl ich nicht viel von Andies Mut zu halten vermochte, konnte ich mich über Mangel an Dankbarkeit nicht beklagen. Er verfolgte mich weniger mit Dankesbezeigungen, als daß seine ganze Stellungnahme zu mir, innerlich wie äußerlich, anders schien, und da er von nun an große Scheu vor seinen Gefährten hatte, waren er und ich mehr denn je aufeinander angewiesen.
Sechzehntes Kapitel Der fehlende Zeuge
Am 16., dem Tage meines Stelldicheins mit dem Anwalt, haderte ich heftig mit dem Schicksal. Der Gedanke, wie er in den »King's Arms« vergeblich auf mich wartete, und was er wohl von mir dächte, und was er sagen würde, wenn wir uns wiedersahen, quälte und drückte mich. Die Wahrheit war unglaubhaft, das mußte ich zugeben,