Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson
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»Na, Ihr gebt Euch nicht schnell geschlagen!« meinte er. »Und gestern tatet Ihr mir beinahe leid«, fügte er hinzu. »Wißt Ihr, bis dahin war ich mir nie so ganz klar, was Ihr eigentlich wirklich wolltet.«
Hier war ein Sporn für einen lahmen Gaul!
»Ein Wort in Euer Ohr, Andie«, sagte ich. »Mein Plan hat noch einen anderen Vorteil. Wir können diese Hochländer hier auf dem Felsen zurücklassen, und eines Eurer Boote aus Castleton kann sie morgen abholen. Jener Kerl Neil hat einen merkwürdigen Ausdruck, wenn er Euch ansieht; kann sein, es kommt, wenn ich erst zum Tore hinaus bin, doch zu einer Messerstecherei; diese Kittelröcke sind verteufelt rachsüchtig. Und werden irgendwelche Fragen gestellt, so habt Ihr ja eine Entschuldigung bei der Hand. Unser Leben war von diesen Wilden bedroht; da Ihr für meine Sicherheit verantwortlich waret, wähltet Ihr den Ausweg, mich aus ihrer Nachbarschaft zu entfernen und den Rest der Zeit in Eurem Boot gefangenzuhalten; und wißt Ihr was, Andie?« schloß ich lächelnd. »Ich glaube, Eure Wahl war sehr vernünftig.« »Die Wahrheit ist, ich habe nichts übrig für Neil«, sagte Andie, »und er für mich auch nichts; und ich möchte nicht mit dem Mann handgemein werden. Tam Anster wird jedenfalls besser mit dem Pack auskommen.« (Dieser Mann Anster stammte aus Fife, wo noch Gälisch gesprochen wird.) »Ja, ja,« beteuerte Andie, »Tam versteht mit ihnen auszukommen. Bei Gott, je mehr ich mir's überlege, um so weniger seh ich, wozu sie uns brauchen. Den Ort – Potz Blitz! – ja, den Ort haben sie ganz vergessen. Verdammt, Shaw, Ihr seid schon ein Schlaukopf, wenn Ihr wollt! Außerdem schulde ich Euch mein Leben«, fügte er ernsthafter hinzu und bot mir seine Hand, um das Abkommen zu besiegeln.
Darauf gingen wir unvermittelt, fast ohne weitere Worte, an Bord, stießen vom Lande ab und setzten das Luggersegel. Die Gregaras waren inzwischen mit der Bereitung des Frühstücks beschäftigt, denn die Kocherei war gewöhnlich ihre Arbeit; einer jedoch trat auf die Bastei hinaus und entdeckte unsere Flucht, ehe wir noch zwanzig Faden von dem Fels entfernt waren, worauf alle drei zwischen den Ruinen und dem Landungssteg hin und her liefen, ganz wie Ameisen um einen zerstörten Bau, und uns zuriefen und -schrien, umzukehren. Wir befanden uns immer noch im Schutze des Felsens, der einen breiten Schatten über das Wasser warf; aber wir erreichten fast im nämlichen Augenblick den Wind und den Sonnenschein; das Segel blähte sich, das Schiff folgte dem Ruder, und wir schossen pfeilschnell außer Reichweite ihrer Stimmen. Welche Schrecknisse diese drei erduldeten, die wir ohne die stärkende Gegenwart eineszivilisierten Menschen, ja selbst ohne den Schutz einer Bibel sich selbst überließen, kann niemand ermessen; sie hatten als Trost nicht einmal Schnaps, denn trotz der Hast und Heimlichkeit unseres Aufbruchs hatte Andie es fertiggebracht, den mitzunehmen.
Unsere erste Sorge war, Anster in einer Bucht bei Glenteithy Rocks an Land zu bringen, damit er am folgenden Tag planmäßig unsere Ausgesetzten erlösen könnte. Dann hielten wir firthaufwärts. Die Brise, die bis dahin so munter geweht hatte, flaute rasch ab, ohne jedoch völlig abzusterben. Den ganzen Tag rückten wir vorwärts, obwohl es oft nicht mehr als ein Schleichen war; und es war schon dunkel geworden, als wir Queensferry erreichten. Um den Buchstaben von Andies Verpflichtung (soweit davon noch die Rede sein konnte) zu erfüllen, mußte ich an Bord bleiben, aber ich sah nicht ein, weshalb ich mich nicht schriftlich mit dem Lande in Verbindung setzen sollte. Auf Prestongranges Umschlag, dessen amtliches Siegel den Empfänger ziemlich überrascht haben muß, schrieb ich beim Licht der Bootslaterne die notwendigen Worte, und Andie übermittelte sie Rankeillor. Nach rund einer Stunde war er wieder an Bord und brachte eine gefüllte Börse und die Versicherung mit: morgen um zwei Uhr nachmittags würde ein gutes Pferd für mich bei Clackmannan Pool bereitstehen. Danach legten wir uns, bedeckt von dem Segel, schlafen, während das Boot an seinem Anker ruhte. Den nächsten Tag waren wir lange vor zwei Uhr an Ort und Stelle, und es blieb uns nichts übrig, als ruhig zu warten. Ich spürte keine große Lust zu meinem Vorhaben. Jeden einleuchtenden Vorwand, es fallen zu lassen, hätte ich mit Freuden begrüßt; da sich aber keiner fand, war meine Ungeduld so groß, als ginge es zu einem ersehnten Vergnügen. Kurz nach eins wurde das Pferd an das Ufer gebracht, und ich konnte sehen, wie ein Mann es bis zu meiner Landung auf und ab führte, was meine Ungeduld noch gehörig steigerte. Andie berechnete den Augenblick meiner Freilassung mit Finesse; er zeigte sich als Mann von Wort, ohne jedoch seiner Kundschaft Maß zu häufen, und rund fünfzig Sekunden nach zwei saß ich im Sattel und jagte mit verhängten Zügeln auf Stirling zu. In weniger als einer Stunde hatte ich jene Stadt hinter mir und arbeitete mich bereits den Hang von Alan Water hinan, als das Wetter sich zu einem kleinen Orkan verdichtete. Der Regen blendete mich, und die hereinbrechende Nacht überraschte mich in einer Wildnis, immer noch einige Meilen östlich von Balwhidder, ohne daß ich die genaue Richtung wußte, während mein Gaul bereits zu ermatten begann. Um rascher vorwärts zu kommen und nicht durch einen Führer aufgehalten und belästigt zu werden, hatte ich (soweit das für einen Reiter möglich war) den Weg eingeschlagen, den ich früher mit Alan zurückgelegt hatte. Das tat ich, obwohl ich die große Gefahr, die damit verbunden war, klar voraussah; jetzt hatte das Unwetter sie herangerückt. Das Letzte, was ich von meiner Lage wußte, war, daß ich mich irgendwo in der Nähe von Uam Var befand; die Zeit muß etwa sechs Uhr abends gewesen sein. Trotzdem erachte ich es als ein großes Glück, daß ich ungefähr um elf Uhr nachts mein Ziel, das Haus von Duncan Dhu, erreichte. Wo ich inzwischen herumgeirrt bin, weiß wohl nur das Pferd. Wie ich mich erinnere, stürzten wir zweimal, wobei ich einmal kopfüber aus dem Sattel flog; und eine Sekunde lang wurden wir von einem brüllenden Gießbach mitgerissen. Roß und Reiter waren beide beschmutzt bis über die Ohren. Von Duncan erfuhr ich einiges über den Prozeß. Dieser wurde in jenem Teile des Hochlandes mit atemloser Spannung verfolgt; Nachrichten darüber verbreiteten sich von Inverary aus, so rasch Menschen nur reisen konnten, und zu meiner Freude hörte ich, er wäre heute, Samstag, zu vorgerückter Stunde noch nicht abgeschlossen gewesen; jeder glaubte, er würde sich bis Montag hinziehen. Diese Neuigkeit spornte mich so an, daß ich weder rasten noch essen wollte; da aber Duncan sich bereit erklärte, mein Führer zu sein, legte ich den Rest des Weges zu Fuß zurück, den Bissen Nahrung in der Hand, und kaute im Gehen weiter. Duncan hatte für unterwegs eine Flasche Usquebaugh sowie eine Handlaterne mitgenommen, die uns leuchtete, solange wir Häuser fanden, wo wir sie füllen konnten, denn das Ding leckte ganz ungebührlich und erlosch bei jedem Windstoß. Den größeren Teil der Nacht jedoch wanderten wir blind zwischen tönenden Mauern von Regen, und der Tag fand uns immer noch in den Bergen ohne Weg noch Ziel. Aber ganz in der Nähe stießen wir neben einem Quellenhang auf eine Hütte, wo wir ein wenig Nahrung und eine Beschreibung des Weges erhielten, und kurz vor Beendigung der Predigt standen wir vor der Tür der Kirche von Inverary. Der Regen hatte zwar die obere Hälfte meines Habits so ziemlich gewaschen, aber bis zu den Knien war ich eine einzige Kotmasse; ich triefte vor Nässe und war so müde, daß ich mich kaum schleppen konnte, und mein Gesicht glich dem eines Gespenstes. Zweifellos waren ein Kleiderwechsel und ein Bett mir nötiger als alle Wohltaten der Christenheit. Trotzdem stieß ich (in der Überzeugung, nichts sei so wichtig wie sofortige Publizität) die Tür auf und betrat, den nicht minder schmutzigen Duncan auf den Fersen, die Kirche, wo ich mich auf einen leeren Platz in der Nähe niederließ. »Dreizehntens und in Parenthese, meine Brüder, ist aber auch das Gesetz selbst als ein Mittel der Gnade anzusehen«, verkündete der Pastor mit der Stimme eines Menschen, der voller Genuß ein Argument verfolgt. Die Predigt wurde dank den Assisen englisch gehalten. Die Richter nahmen samt ihrem bewaffneten Gefolge daran teil; in der Ecke neben der Tür funkelten die Hellebarden, und auf den Bänken drängte sich eine ungewohnte Schar von Juristen. Der Text war den Römerbriefen entnommen, der Prediger ein geschickter Redner, und die gesamte, illustre Zuhörerschaft in jener Kirche – angefangen bei Argyle selbst und den Lords Elchies und Kilkerran bis zu den Hellebardisten ihres Gefolges – saß mit gerunzelter Stirn, in gespannte kritische Aufmerksamkeit versunken. Der Prediger selbst sowie ein kleiner Teil der Leute in der Nähe des Einganges hatten unseren Eintritt bemerkt und dann gleich wieder vergessen; die anderen konnten oder wollten ihn nicht hören, und so saß ich unbeachtet zwischen Freund und Feind. Den ersten, den ich erkannte, war Prestongrange. Er saß vornüber gebeugt, wie ein hitziger Reiter im Sattel; seine Lippen bewegten sich mit Behagen, seine Augen waren fest auf den Prediger geheftet; was dort gelehrt wurde, war sichtlich nach seinem Herzen. Charles Stuart dagegen war halb eingeschlafen und sah bleich und sorgenvoll